Essener Westen. Bebauung und Industrie sorgen für Hitze in Borbeck und den umliegenden Stadtteilen. Was das für Bauprojekte und den Klimaschutz bedeutet.
Der Klimawandel hat nicht nur weltweit unterschiedliche Folgen, er zeigt sich sogar in einzelnen Stadtteilen unterschiedlich. Versiegelte Flächen, Emissionen in Gewerbegebieten und an Verkehrsadern, im Gegenzug Grünflächen und Wälder bestimmen, wie das Klima in einem Stadtteil ist und wie gut die Luft, die die Menschen dort atmen. Die aktuelle Klimaanalyse für die Stadt Essen zeigt auch, wo im Essener Westen und Nordwesten die Pluspunkte und Schwachstellen liegen. Das soll Folgen für die künftige Entwicklung der Stadtteile haben, vor allem für Bauprojekte.
- Eine erste Klimaanalyse gab es in Essen im Jahr 2002, sie wurde nun in Kooperation mit dem Regionalverband Ruhr (RVR) fortgeschrieben.
- Die darin enthaltenen Planungshinweise, die sich sowohl auf die gesamte Stadt Essen als auch auf einzelne Bezirke und Stadtteile beziehen, sollen künftig als „strategische Ziele einer klimaangepassten Stadtentwicklung berücksichtigt“ werden.
- Die Ansprüche an die Klimaanalyse sind hoch: „Sie gewährleistet die regelmäßige und objektive Betrachtung klimatischer Belange sowie Auswirkungen infolge städtebaulicher Vorhaben auf das Stadtklima und ermöglicht, fundierte Gegenmaßnahmen zu ergreifen“ heißt es in der dazugehörigen Vorlage für die politischen Gremien der Stadt.
Im Bezirk IV mit Schönebeck, Bedingrade, Frintrop, Dellwig, Gerschede, Borbeck, Bochold und Bergeborbeck wohnt es sich vielerorts relativ grün – das zeigt die Analyse. In den meisten Wohngebieten gibt es hier nur einen geringen bis mittleren Versiegelungsgrad und einen dementsprechend hohen Grünanteil. Vor allem in Dellwig, Gerschede, Frintrop, Bedingrade und Schönebeck sowie südlich der S-Bahntrasse in Borbeck sind die Wohngebiete eher locker bebaut. Anders sieht es im Borbecker Zentrum aus: Hier gibt es höhere Gebäude und deutlich mehr versiegelte Flächen, denn auch Innen- und Hinterhöfe sind hier in vielen Fällen bebaut.
Gewerbegebiete beeinflussen Klima und Luft im Essener Nordwesten
Weitere Faktoren für das Klima im Stadtbezirk sind die Wasser- und Luftqualität und der Ausstoß von Schadstoffen durch Verkehr und Industrie. Den Nordosten des Stadtbezirks IV prägen die großflächigen Gewerbe- und Industrieansiedlungen der zumeist direkt aneinander angrenzenden Gewerbegebiete Econova, Stadthafen, Levin, Brauck, Grasstraße, Neu-Cöln und Carolus Magnus. Sie machen einen Großteil von Bergeborbeck aus. Hinzu kommen im Bezirk kleinere Gewerbebereiche, zum Beispiel Wolfsbank, Aktienstraße und Ripshorster Straße.
„Insbesondere in den Gewerbegebieten Econova und Stadhafen sind teils schwerindustrielle Nutzungen und somit bedeutende Emittenten angesiedelt“, heißt es in der Klimaanalyse für Essen. „Erhöhte (vor allem bodennahe) Emissionen von Luftschadstoffen in den Gewerbegebieten im Nordosten des Stadtbezirks sind insbesondere aufgrund der Lage in der Emscherniederung immissionsklimatisch kritisch zu bewerten.“
Über der Emscherniederung komme es häufiger zu einer Inversionswetterlage: Die oberen Luftschichten sind dann wärmer als die unteren und die Luft zirkuliert nicht mehr. Werden aber gleichzeitig Schadstoffe freigesetzt, etwa durch die Industrie, steigt die Konzentration dieser Schadstoffe in Bodennähe. Den Expertinnen und Experten zufolge kommt ein weiterer ungünstiger Faktor hinzu – die Windrichtung. Gerade bei Inversionswetterlagen komme der Wind häufig aus Nordost, damit steigt das Risiko, dass die Schadstoffe in Richtung der Wohngebiete geweht werden. Sinnvoll sei daher „die teils ausgeprägte Immissionsschutzpflanzung zwischen den Gewerbegebieten Levin, Brauck sowie Carolus Magnus und der westlich angrenzenden Bebauung“, denn die Grünstreifen sollen genau das verhindern.
Bestehende Grünflächen im Bezirk sollen erhalten bleiben
„Grundsätzlich weisen die Gewerbe- und Industriebereiche im Nordosten des Stadtbezirks einen sehr hohen Versiegelungsgrad und geringen Grünflächenanteil auf, was im Sommer zu Hitzestress und Schwülebelastungen sowie sehr hohen nächtlichen Wärmeinseleffekten führen kann“, heißt es. „Die teils großen baumbestandenen Brachflächen im Bereich Stadthafen sorgen allerdings für lokale Abmilderungen der hohen nächtlichen Wärmeinsel-Effekte und stellen lokale Kaltluftproduzenten dar. Zudem können die Gewerbe- und Industriebereiche teilweise von der direkten Anbindung an die Luftleitbahn entlang des Rhein-Herne-Kanals profitieren.“
Während die Industriegebiete das Klima negativ beeinflussen, sind Parks, Waldflächen, Grünanlagen, Bachtäler, Kleingartenanlagen, größere Privatgärten und Friedhöfe im Bezirk ein großer Pluspunkt: „Besonders auffällig ist, dass nahezu sämtliche Park- und Grünanlagen sowie die Waldflächen und Freilandbereiche ausgeprägte Grünvernetzungsstrukturen untereinander sowie eine gute Durchmischung mit den bebauten Siedlungsbereichen im Stadtbezirk aufweisen.“ Das sorge für Erholungsräume, frische Luft und ein Gegengewicht zu den Wärmeinseln anderswo.
Um das zu verstärken sollen nach Empfehlung der Expertinnen und Experten auch in der stark versiegelten Mitte Borbecks wieder mehr Flächen entsiegelt und begrünt werden. Auch die Begrünung von Innenhöfen, Dächern und Fassaden könne hilfreich sein, zudem wird die Pflanzung schattenspendender Bäume im Bereich des Marktplatzes, des Parkplatzes an der Marktstraße und entlang weiterer Straßenzüge empfohlen. Diese Empfehlung gilt auch für die Gewerbegebiete, in denen Maßnahmen zur Minderung der Emissionen und zur Vernetzung mit der Luftleitbahn über dem Rhein-Herne-Kanal erreicht werden sollen.
Für die lockerer bebauten Wohngebiete sollen die klimatischen Effekte durch die grünen Areale erhalten bleiben – „gleichwohl ist teilweise eine maßvolle bauliche Verdichtung durch die Schließung von Baulücken unter Einhaltung der aufgelockerten und durchgrünten Siedlungsstruktur aus stadtklimatischer Sicht vertretbar“. Auf genau dieses feine Gleichgewicht zu achten, wird in Zukunft unter anderem die Aufgabe der politischen Gremien sein, wenn es um Baumaßnahmen im Essener Westen und Nordwesten geht.