Essen. Die neue Klimaanalyse des RVR empfiehlt der Stadt, Neubauten besonders in Rüttenscheid, aber auch in anderen Stadtteilen zu überdenken.
Der Regionalverband Ruhr (RVR) hat im Auftrag der Stadt Essen eine neue Klimaanalyse vorgelegt. Der mehr als 300 Seiten starke Bericht liest sich wie eine Warnung: Setzt sich der globale Klimawandel ungebremst fort, werden Hitzesommer und tropische Nächte auch in dieser Stadt die Regel.
Es wäre das Worst-Case-Szenario, das unweigerlich droht, sollte es nicht gelingen, die Erderwärmung zu begrenzen, sagt der Autor der Studie, Diplom-Geograf Marco Mersmann. Zum Ende des Jahrhunderts herrschten sonst im Ruhrgebiet klimatische Bedingungen, wie man sie sonst aus den heißen Gegenden Südeuropas kennt.
Was kann die Stadt Essen dagegen tun? Der vorliegende Bericht des RVR gibt dazu klare Empfehlungen, insbesondere was die weitere Bebauung und Versiegelung weiterer Flächen angeht. Der Debatte um Neubauten, wie sie derzeit vielerorts in der Stadt geführt wird, gibt die Studie damit neue Nahrung. „Die Klimaanalyse birgt Zündstoff“, sagt die Leiterin des Umweltamtes, Angelika Siepmann.
Der August 2022 war laut Ruhrverband der trockenste und wärmste
Der zurückliegende Sommer hat bestätigt, was sich seit Jahren abzeichnet: Der Klimawandel hinterlässt auch in hiesigen Breiten seine Spuren. Der August stellte gleich mehrere Rekorde auf. Es war der trockenste und wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen, ließ der Ruhrverband dieser Tage wissen. Ein Trend setzt sich damit fort. Seit 120 Jahren beobachtet der Deutsche Wetterdienst (DWD), wie sich das Klima entwickelt. Die zwölf wärmsten Jahre registrierte der DWD nach 1988.
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Wie geht die Stadt damit um? Diese Frage stellt sich insbesondere für die dicht bebauten Quartiere – für die Innenstadt und die angrenzenden Stadtteile, für Altendorf, Frohnhausen, Holsterhausen und auch für Rüttenscheid. Diesen Stadtteilen attestiert der RVR in seiner Klimaanalyse eine „hohe Anfälligkeit gegen Hitzebelastung“ – aufgrund der teils engen und hohen Bebauung, wegen der hohen Bevölkerungsdichte und der statistisch gesehen vergleichsweise alten Bevölkerung. Ältere Menschen jenseits der 65 wie auch Kleinkinder seien in ihrer Gesundheit durch anhaltende Hitze besonders gefährdet.
Im Essener Norden kommt es durch die Topographie nur lokal zu einem Luftaustausch
Die RVR-Studie spricht mit Blick auf die genannten Stadtteile von einem „klimatischen Belastungsraum“. Autor Marco Mersmann zeigt in seiner Analyse deutliche Unterschiede auf zum Essener Süden. Dort fließt kalte Luft dem Ruhrtal zu. Bachtäler sorgen für zusätzliche für Abkühlung. Anders im Norden; in der Emscherzone verharrt Kaltluft dort, wo sie sich bildet. Zu einem Luftaustausch kommt es nur lokal, etwa im Umfeld der Schurenbachhalde in Altenessen.
Die dicht bebauten Quartiere rund um die Essener Innenstadt und die nördlichen Stadtteile profitieren nicht von der Kaltluft, die sich auf den Höhen des Ruhrtals bildet, sie sind davon praktisch abgenabelt. Das gilt ebenso für die höhere gelegenen Stadtteile Rellinghausen und Stadtwald im Süden der Stadt, kalte Luft aus dem Schellenberger strömt gen Ruhr. Und auch die Rüttenscheider haben nichts davon, dass der Essener Stadtwald gleich vor der Haustür liegt. Der Einschnitt ins Gelände im Bereich der A52 verhindert laut Klimaanalyse einen Luftaustausch.
Umso wichtiger sei innerstädtisches Grün. Wobei Kaltluft, die im Grugapark entsteht in Richtung Uni-Klinikum abfließt und nicht ins dicht bebaute Rüttenscheid. Und der Krupp-Park am Rande Altendorfs versorgt damit allenfalls das weiter nördlich gelegene Areal, auf dem das Stadtquartier Essen 51 entstehen soll. Das Klima in der Essener Innenstadt beeinflusst der Park nicht.
Der Unterschied zwischen dem Kennedyplatz und dem Salzmarkt ist gravierend
Die Klimaanalyse legt der Stadt deshalb nahe, mehr Grün anzulegen – in Innenhöfen, auf Dächern und entlang von Straßen. „Bäume spenden Schatten und verhindern, dass sich der Asphalt aufheizt“, sagt Marco Mersmann. Den Effekt hat der Geograf auf dem Kennedyplatz und dem Salzmarkt mit seinen großen Platanen untersucht. Der Unterschied im Wohlbefinden sei frappierend. Das Problem: Beton und Asphalt nehmen Wärme auf und geben diese nachts ab.
In der Innenstadt sollte die Stadt den Rückbau als Chance begreifen. Auch wenn der Autor nach eigenen Worten nicht so vermessen ist zu glauben, dass im großen Stil Gebäude abgerissen werden. Ein positives Beispiel für eine klimagerechte Stadtentwicklung sei Altendorf, wo abgewohnte Altbauten für Neubauten abgerissen wurden und ein künstlicher See entstanden ist – der Niederfeldsee. Mehr Wasser in der Stadt, auch diese Empfehlung gibt die Klimastudie der Stadt an der Hand.
Die Klimaanalyse empfiehlt „klimatische Baugrenzen“ an Siedlungsrändern
In Rüttenscheid sollte „keine weitere Bebauung und Versiegelung erfolgen“, heißt es darin wörtlich. Mersmann relativiert: Die Klimaanalyse ist zwar kleinteiliger als ihre Vorgängerin aus 2002. Dennoch müsse man jedes Bauvorhaben ganz genau ansehen.
„Klimatische Baugrenzen“ empfiehlt die Klimaanalyse für Siedlungsränder: für den Süden von Haarzopf, für den Norden von Kettwig und Freisenbruch, für den Westen von Heidhausen und entlang der Siedlungsgrenzen von Kupferdreh. Sollte es wieder einmal um die Ausweisung neuer Baugebiete gehen, werden sich Bürgerinitiativen daran erinnern.
Was macht die Stadt Essen damit? Die Erkenntnisse der Klimaanalyse würden Eingang finden in die Bauleitplanung, sagt Umweltamtsleiterin Angelika Siepmann. Wie immer gelte es abzuwägen, wenn Interessen einander widersprechen. Ziel der Stadtentwicklung sei eine „blau-grüne Infrastruktur“. Mehr Wasser, mehr Grün – dies gelte es bei Bauprojekten mitzudenken.