Essen. Streit ums Bundesfotoinstitut geht weiter. Kritiker des Votums werben für eine Zwei-Städte-Lösung. Essens Kompetenz zu ignorieren, sei sträflich.
Wenn sich in diesen Tagen die Gründungskommission zur Einrichtung des Deutschen Fotoinstituts in Düsseldorf formiert, dann dürfte die Stimmung bei so manchem Teilnehmer der Runde eher gedämpft statt euphorisch sein. Zu viele unbeantwortete Fragen stehen immer noch im Raum. Zu viel Kritik wird an der für manchen nach wie vor unverständlichen Entscheidung des Berliner Haushaltsausschusses laut, der das bundesweite Renommeeprojekt gegen jeden Expertenrat nach Düsseldorf vergeben hat. Und das lange favorisierte Essen leer ausgehen ließ.
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Doch obwohl noch in den Sternen steht, an welchem Standort das mit einem zweistelligen Millionenbetrag von Bund und Land finanzierte Fotoinstitut überhaupt realisiert werden kann, soll das Gründungsgremium bereits damit beginnen, Zeitplan und Agenda vorzubereiten. Neben „wichtigen Vertreterinnen und Vertretern aus der Fotoszene und aus dem musealen und archivarischem Bereich“ sollen nach Angaben des NRW-Ministeriums auch Essener Experten und Vertreter aus dem Museum Folkwang in die Kommission eingeladen werden.
Essen hat eine große Kompetenz im Bereich der Presse- und Dokumentarfotografie
Für Beobachter stellt sich nun die Frage, ob sich die Essener Akteure in den künftigen Runden mit der Rolle des Beraters abfinden müssen oder ob sich nicht doch noch die Möglichkeit einer Zwei-Städte-Lösung bietet. Nur so kann nach Ansicht von Experten eingelöst werden, was Ex-Kulturstaatsministerin Monika Grütters der Szene versprochen hatte: Ein Institut, das Nachlässe wichtiger Fotografen in Deutschland sichern und die Forschung in Fragen der Restaurierung und Konservierung vorantreiben soll – und die Fotografie dabei in ihrer ganzen Breite abdeckt.
Für den Fotoexperten Peter Liedtke steht außer Frage, dass man Essen vor allem angesichts der „immensen Kompetenz“ im Bereich der journalistischen und dokumentarischen Fotografie dabei eigentlich nicht übergehen kann. Beide Bereiche sind nach Ansicht von Liedtke so groß und wichtig, dass man dafür durchaus einen zweiten Standort vertreten könnte. Denn diese wesentlichen Facetten der Fotografie würden im Düsseldorfer Konzept voraussichtlich kaum abgedeckt.
Nach bisherigem Kenntnisstand wollen sich Starfotograf Andreas Gursky und die seinen vor allem auf die künstlerische Fotografie und die Erforschung von Restaurierungsverfahren für Farbfotografie konzentrieren. Essen hingegen verfüge mit seinem Folkwang-Erbe und Ikonen wie Fotolehrer Otto Steinert über einen einzigartigen Bestand im Bereich der Presse- und Dokumentarfotografie und über internationale Anerkennung.
Entscheidung spielt der Politikverdrossenheit einmal mehr in die Karten
Nicht nur bei Peter Liedtke hat die Entscheidung in Berlin deshalb für Kopfschütteln gesorgt. Selbst Gremien, die sich im Wettbewerb der Städte zuvor neutral verhalten hätten wie die Deutsche Gesellschaft für Photografie (DGPh), äußerten sich nun enttäuscht über die Art und Weise der Entscheidungsfindung, die der verbreiteten Politikverdrossenheit einmal mehr in die Karten spielen würde, fürchtet Liedtke.
Der Gelsenkirchener Fotograf ist in der Ruhrgebiets-Fotoszene bestens vernetzt. Als Koordinator des „Pixelprojekt Ruhrgebiet“ hat Liedtke mit renommierten Kollegen vor 20 Jahren das mittlerweile umfangreichste fotografische Gedächtnis des Ruhrgebiet auf den Weg gebracht. Die Initiative umfasst inzwischen über 10.000 Fotos von mehr als 370 Fotografinnen und Fotografen. Jedes Jahr kommen neue aktuelle Positionen dazu.
Pixelprojekt ist zu einer maßgeblichen Adresse für die aktuelle Fotografie im Revier geworden, aber sie wirkt eben nicht so renommeeträchtig wie die Düsseldorfer Becher-Schule, die es mit Andreas Gursky an der Spitze offenbar verstanden hat, die politische Lobbyarbeit so zu forcieren, dass in Berlin am Ende ein Entschluss gegen Expertenmeinung und Machbarkeitsstudie gefällt wurde.
Ob ein offensiver ruhrgebietsweiter Schulterschluss das heißumworbene Bundesinstitut am Ende nach Essen geholt hätte, weiß auch Liedtke nicht. Er habe eine gemeinsame Initiative in Betracht gezogen, aber dann doch verschoben, räumt der Gelsenkirchener ein. Am Ende aber habe er wie so viele auf die Überzeugungskraft der Sachargumente gebaut.
Grüne monieren schwache Lobbyarbeit aus dem Ruhrgebiet
Dass die politische Entscheidung dann letztlich entgegen aller Fachurteile gefällt wurde und sich die grüne Kulturstaatsministerin Claudia Roth das Heft des Handelns von Haushaltspolitikern gänzlich aus der Hand nehmen ließ, schmerzt auch so manchen Grünen-Politiker im Land. „Daran hat man schon zu schlucken“, sagt Jörg Obereiner, Grünen-Kulturpolitiker und Vorsitzender des Ausschusses für Sport, Kultur und Vielfalt beim Regionalverband Ruhr (RVR). Auch dort stand das Bundesinstitut für Fotografie in der Vergangenheit immer wieder auf der Agenda. Eine weitere Resolution, die der Essener Bewerbung noch einmal Schub geben sollte, war seit langem in Vorbereitung. Doch ausgerechnet an dem Tag, als auch die letzte Unterschrift geleistet und das Schriftstück postreif war, so Obereiner, fiel in die Berlin die für viele unerwartete Entscheidung pro Düsseldorf.
Freilich weiß auch Obereiner, dass „schon viel passieren muss“, um eine haushaltspolitische Entscheidung, wie sie 2019 ja schon mal für den Standort Düsseldorf gefällt worden war, noch einmal umzudrehen. Zumal für manchen am Ende die Losung galt: „Besser ein Düsseldorfer Fotoinstitut als gar kein Fotoinstitut.“ Ganz ausgeschlossen sei so eine Kehrtwende aber nicht. „Wenn sämtliche Oberbürgermeister, Landräte und Bundestagsabgeordnete der Region aus allen Fraktionen Lobbyarbeit geleistet hätten, wäre das vermutlich anders gelaufen“, mutmaßt der Kulturpolitiker aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis. Und so sei das Bundes-Fotoinstitut am Ende wohl auch eine Lehre für künftige regionale Projekte dieser Größenordnung, geschlossener anzutreten.
Bürgerinitiative wirft Bundestag Verstoß gegen die guten Sitten und sogar Verdacht auf strafbares Handeln vor
Die „Bürgerinitiative Deutsches Fotoinstitut“ um die Essener Bürger Dr. Richard Kiessler und Dr. Axel Wiesener will die Hoffnung noch nicht aufgeben und drängt in Schreiben an Mitglieder der Bundesregierung und des Bundestags weiter auf eine politische Kehrtwende. Ihr Hauptargument: Der Bundestag hatte de facto kein Recht dazu, eine Entscheidung zu treffen, die gleich zwei aufwendige, aus Steuermitteln finanzierte Gutachten pro Essen komplett ignoriert.
Die Begünstigung der Stadt Düsseldorf könne „zu einer Fehlleitung der Haushaltsmittel führen, wenn sie für die Errichtung des Instituts an dem als ungeeignet qualifizierten Standort Verwendung finden“, heißt es in einem Schreiben an das Bundestagspräsidium. Im äußersten Fall liege hier strafbare Veruntreuung vor, mindestens aber widerspreche der Beschluss den allgemein anerkannten guten Sitten, da er das „Gerechtigkeits- und Anstandsgefühl“ eklatant verletze. (mit F.S.)