Essen-Rüttenscheid. Thilo Fuhrmann ist eine Institution der Essener Friseur-Branche, früh hat er sich neuen Trends verschrieben. Warum er Schere und Kamm niederlegt.
Friseure auf der Rüttenscheider Straße gibt es viele, einige sind schon nahezu ein Berufsleben lang vor Ort, andere nach kurzer Zeit wieder verschwunden, generell ist die Fluktuation hoch. Einer, der seit Jahrzehnten zu den Institutionen der Essener Branche gehört, hat jetzt Schere und Kamm aus der Hand gegeben: Thilo Fuhrmann, Gründer und Inhaber der „Paintbox“, schnitt kurz vor Jahreswechsel seinem letzten Kunden die Haare.
Für einen leidenschaftlichen Friseur muss das ein großer, auch ein wenig trauriger Einschnitt gewesen sein, so könnte man denken. Aber Thilo Fuhrmann verströmt große, unsentimentale Gelassenheit. „Ich hatte das Gefühl, dass es nun genug ist“, sagt er, obwohl er mit 60 Jahren das Rentenalter eigentlich noch nicht erreicht hat und sein Handwerk zweifellos noch immer beherrscht.
Fast hundertjährige Familientradition mit Wurzeln auf der Margarethenhöhe
Thilo Fuhrmann blickt auf eine immerhin fast hundertjährige Familientradition zurück, stammt aus einer Friseur-Dynastie, deren Wurzeln auf der Margarethenhöhe liegen. Dort eröffnete seine Großmutter väterlicherseits 1926 am Marktplatz einen Salon, der alle Umbrüche und Katastrophen der kommenden Jahrzehnte überdauerte. Genau 30 Jahre später im Jahr 1956 übernahm sein Vater das Geschäft, unterstützt von der Mutter, auch sie eine Friseurin. Und wiederum 30 Jahre später stieg dann Sohn Thilo verantwortlich ein.
Vorausgegangen war eine Lehre, die er mit 18 beim stadtbekannten Coiffeur Allwermann in der Innenstadt begann. Allwermann, damals wie heute im Heroldhaus am I. Hagen beheimatet, war das, was man früher gern „erstes Haus am Platze“ nannte, mit der entsprechend wohlhabenden Kundschaft. „Manchmal wartete draußen der Chauffeur, während sich die Vorstandsgattin die Haare machen ließ“, erinnert sich Fuhrmann. Eine sorgfältige Ausbildung habe er hier erhalten, wobei es bisweilen zeittypisch streng zuging und das, was später „Work-Life-Balance“ hieß, jedenfalls keine Rolle spielte.
Fuhrmann war bei aller Leidenschaft fürs Haarige immer auch einer, der gerne intellektuell über den Tellerrand schaute und der was von der Welt sehen wollte. Deshalb standen nach Lehre und Meisterschule erst einmal Friseur-Wanderjahre in den USA und Großbritannien an, bevor 1986 die Übernahme von den Eltern folgte. Und schon zwei Jahre später zog es ihn – zusätzlich zum bestehenden Stammgeschäft auf der „Höhe“ – nach Rüttenscheid. „Es war schon damals so, dass hier die Musik spielte.“
Farbe und Schnitt, sonst nichts – das war sein Konzept
Nach einem Zwischenspiel als Hotelier in Tirol („der Liebe wegen“), eröffnete er dann 1997 die „Paintbox“ in der Rüttenscheider Straße 65, wo das Geschäft noch heute existiert. Der Name war Programm: „Farbe und Schnitt und sonst nichts – das war für mich modernes Friseurhandwerk.“ Ergänzt wurde das Angebot noch durch Wellness rund um den Kopf, was heute viele machen, damals aber noch Seltenheitswert besaß. Ein eher junges Publikum wollte Fuhrmann so in seinen neu und ungewöhnlich gestalteten Laden locken, Dauerwellen und anderes Altmodische sollten jene Läden machen, die damals nach ihren Besitzerinnen noch gerne „Salon Erika“ oder „Salon Gisela“ hießen – und oft auch beim Interieur etwas altbacken wirkten.
Das Konzept trug, der Erfolg kam, die Mitarbeiterzahl wurde zweistellig, einige sind schon Jahrzehnte dabei. Und es fand sich auch immer mehr Essener Prominenz ein, wobei Thilo Fuhrmann Namen nicht nennen will. Ein Friseur muss so diskret sein wie ein Arzt, er erfährt beim Schneiden vieles sehr Private und Intime, ohne dass ein Sterbenswort den Platz verlassen darf. Ein bisschen Beichtvater, ein bisschen Ratgeber – alles nur auf Kundenwunsch selbstverständlich.
Mancher Stammkunde konnte nicht glauben, dass er es ernst meint
Kein Wunder, dass mancher Stammkunde nach jahrzehntelanger Vertrautheit es nicht glauben mochte, als Thilo Fuhrmann eröffnete, nun Schluss zu machen. „Bei mir machst du aber eine Ausnahme...“, hieß es, und Fuhrmann fühlte sich einerseits geehrt, fand das aber auch belustigend. Nein, er meint es schon sehr ernst, Schluss heißt Schluss und Basta! „Haarschnitte sind Teil der Mode, und mit 60 fällt es nun mal zunehmend schwer, Mode zu verkaufen“, sagt er. Klar, er könnte es noch, aber es ist was Wahres dran.
Die härteste Phase in seinem Berufsleben? „Das war eindeutig die Corona-Zeit“, sagt Fuhrmann, der wie alle anderen monatelang schließen musste und dann nur unter harten Auflagen wieder öffnen durfte. Ganz erholt habe sich das Geschäft seither ungeachtet des ersten Nachholeffekts übrigens nicht mehr. „Manche haben sich entwöhnt und glauben, sie sehen auch ohne regelmäßigen Friseur-Besuch gut aus.“ Leider stimme das oft nicht.
Ein halbes Jahr ist er noch als Ratgeber im Hintergrund an Bord, dann übergibt Thilo Fuhrmann das Geschäft an Lisa Nitsche (31) und Nathalie Gniech (28). Beide kamen als Azubis zu ihm, sind längst aber selbst gestandene Friseurmeisterinnen. Ob sie was verändern wollen? Erst mal nicht. Und wenn, dann wäre auch dies einfach nur der Lauf der Zeit.