Essen. Trotz Energiekrise stellen Firmen weiter ein, finden aber immer schwerer gute Kandidaten. Was das für den Arbeitsmarkt 2023 in Essen bedeutet.
Die Agentur für Arbeit ist zuversichtlich und erwartet 2023 ein stabiles Jahr auf dem Essener Arbeitsmarkt. Anders als erwartet, schlagen Ukraine-Krieg und anhaltende Energiekrise bislang nicht auf den Arbeitsmarkt durch. Er erweist sich als robust. „Ich rechne auch 2023 nicht damit, dass die Arbeitslosigkeit stark steigen wird“, sagte Andrea Demler, Chefin der Arbeitsagentur. 2022 waren in Essen rund 30.000 Menschen arbeitslos gemeldet - über sieben Prozent weniger als im Vorjahr. Die Arbeitslosenquote lag bei 10 Prozent und war damit niedriger als im Vor-Corona-Jahr 2019.
Zuletzt mehrten sich zwar Krisennachrichten, vor allem beim insolventen Warenhauskonzern Galeria. So könnten in der Essener Zentrale bis zu 600 Jobs verloren gehen. Andera Demler bleibt dennoch bei ihrer positiven Einschätzung für 2023. „Zum einen sind die tatsächlichen Auswirkungen der Restrukturierung bei Galeria noch unklar“, sagte sie. Zum anderen hätten Fachkräfte derzeit gute Chancen am Arbeitsmarkt.
Obwohl die hohen Energiepreise und weiterhin gestörte Lieferketten die Stimmung in den Unternehmen deutlich dämpfen, wirkt sich das bislang nicht auf den Arbeitsmarkt aus. „Die Firmen halten ihre Fachkräfte und stellen weiter ein“, betonte die Arbeitsagentur-Chefin.
Unternehmen bei Entlassungen zurückhaltend
Diese Entwicklung beobachtet auch der Essener Unternehmensverband (EUV) bei seinen Rechtsberatungen. „Arbeitgeber trennen sich in Anbetracht des sich weiter verschärfenden Fachkräftemangels nicht mehr leichtfertig von Mitarbeitern. Derzeit werden auch Angestellte gehalten, denen man vor einigen Jahren noch eine Kündigung ausgesprochen hätte“, erklärte Ulrich Kanders, EUV-Hauptgeschäftsführer.
Bei der Arbeitsagentur sind zum Jahresende fast 4600 offene Stellen gemeldet. Das sind so viele wie seit elf Jahren nicht mehr. Das liegt aber nicht nur daran, dass die Unternehmen weiterhin Mitarbeiter suchen. Die Behörde braucht auch immer länger, um die Stellen mit passenden Kandidaten zu besetzen. Mittlerweile dauert es im Schnitt 163 Tage, bis die Arbeitsagentur eine Stelle erfolgreich vermittelt hat. Vor zehn Jahren waren das nur 86 Tage.
Der Arbeitskräftemangel in den Betrieben bleibt damit auch die größte Herausforderung für die Arbeitsbehörden im neuen Jahr. „Es fehlen Arbeitskräfte auf allen Ebenen“, betonte der Essener Sozialdezernent Peter Renzel. In seine Verantwortung fällt das Jobcenter, das die Langzeitarbeitslosen in der Stadt betreut.
Die Branchen sind derweil sehr unterschiedlich vom Fachkräftemangel betroffen. Die größten Probleme gibt es in Verwaltungsberufen, dem Gesundheitswesen und in geisteswissenschaftlichen Berufen. Beispielsweise waren im Dezember 811 Stellen für Arzthelfer und Arzthelferinnen unbesetzt, 723 bei Steuerberatern und 921 in der Werbung und im Marketing.
Langzeitarbeitslose in Essen profitieren wenig vom Jobboom
Trotz der 30.000 Arbeitslosen in der Stadt ist es laut Andrea Demler „in manchen Berufen nahezu unmöglich“ passende Bewerber zu finden. Für 85 Prozent der freien Jobs suchten die Unternehmen Leute mindestens mit Facharbeiterabschluss. Doch häufig bringen die arbeitslosen Menschen nicht die geforderte Qualifikation mit. Zu beobachten ist dies vor allem bei den Langzeitarbeitslosen, die häufig keinen Schul- oder Berufsabschluss haben. Ihre Zahl ging zwar 2022 um rund 1000 auf 13.200 zurück. Das sind aber immer noch 2000 Betroffene mehr als vor Corona. Das zeigt: Sie in Arbeit zu bringen ist trotz guter Rahmenbedingungen besonders schwer.
Den Fachkräftemangel lindern können auch die geflüchteten Ukrainer und Ukrainerinnen derzeit kaum. Seit Juni werden sie vom Jobcenter betreut. Zuletzt waren dort rund 1500 Kriegsflüchtlinge arbeitslos gemeldet. „Wir haben keine 100 Ukrainer und Ukrainerinnen in Arbeit vermittelt“, sagte der Leiter des Jobcenters, Dietmar Gutschmidt. Die arbeitslosen Menschen aus der Ukraine - zu 80 Prozent sind es Frauen – würden zwar häufig eine gute Qualifikation mitbringen, aber vor allem die Anerkennungsverfahren von Abschlüssen dauere zu lange. „Ich gehe aber davon aus, dass wir 2023 hier bessere Vermittlungsergebnisse erzielen werden“, meinte Gutschmidt.
Essener Arbeitsmarktexperten setzen auf Zuwanderung
Neben noch mehr Qualifizierungsangeboten für Arbeitslose sehen Andrea Demler wie auch Peter Renzel nur einen Ausweg aus der Fachkräftemisere: Sie setzen große Hoffnung in das neue Einwanderungsgesetz der Bundesregierung. „Wir brauchen Zuwanderung aus dem Ausland“, sagte Renzel. Sowohl in der Bevölkerung als auch in der Wirtschaft müsse die Erkenntnis wachsen, dass „es ohne nicht geht“. Auch Andrea Demler appelliert: „Wir werden das Problem allein mit dem inländischen Potenzial nicht bewältigen können.“
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