Essen-Bochold/Borbeck. Helfer des Deutschen Roten Kreuzes bieten Wohnungslosen im Essener Wärmezelt ein Bett und eine warme Mahlzeit. Sie hören bewegende Geschichten.

  • Im fünften Winter finden Obdachlose einen warmen Schlafplatz.
  • Das Wärmezelt öffnet bei Minusgraden.
  • Die Geschichten der Obdachlosen sind oft sehr anrührend.

In eisigen Winternächten ist die Gefahr groß, dass Obdachlose an Unterkühlung sterben. Der Kältebus des Deutschen Roten Kreuzes dreht an kalten Abenden seine Runden durch die Innenstadt. Er versorgt die Menschen mit heißen Getränken, Erbsensuppe und wärmenden Decken. Sobald das Thermometer nachts Minusgrade zeigt, finden Menschen ohne festen Wohnsitz in zwei je 30 Quadratmeter großen DRK-Zelten der Rotkreuzbereitschaft Essen-Borbeck am Wolfsbankring einen warmen Schlafplatz.

Auch dort wird für Verpflegung gesorgt, sogar duschen können die Übernachtungsgäste und gespendete Kleidung erhalten. Möglich gemacht wird die Obdachlosenhilfe durch den Einsatz von Ehrenamtlichen. Mit Ehemann Jürgen Arenbeck und der 17-jährigen Tochter Yara geht Elke Zbiera mit gutem Beispiel voran: „Das ist unser fünfter Winter mit Schlafgästen.“ Zunächst habe es auch Frauen im Zelt gegeben, doch mittlerweile habe die Stadt in Kray eine Unterkunft nur für weibliche Obdachlose installiert: „Dort sind sie auch besser untergebracht.“

Feldbetten, Tische und Bänke: Das Wärmezelt in Essen ist zweckmäßig eingerichtet.
Feldbetten, Tische und Bänke: Das Wärmezelt in Essen ist zweckmäßig eingerichtet. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Das Telefon klingelt. Ein Obdachloser liege am Parkhaus Kennedyplatz ohne Schlafsack. Die DRK-Helfer setzen sich ins Einsatzfahrzeug. Dem Mann muss geholfen werden. Vielleicht kommt er ja mit ins Zelt? Dann ist die Obdachlosenhilfe „Fairsorger“ am Apparat. Sie hätten da einen jungen Mann, erst zwei Tage obdachlos. Der wisse nicht, wohin. Elke Zbiera ruft ihr mobiles Team an: „Der weiß nicht, was ihn erwartet da draußen. Bringt den bloß mit.“ Kurz darauf steht der 28-Jährige verlegen lächelnd auf dem Hof. Seine Mutter habe ihn herausgeworfen, nun endgültig. Und das kurz vor Weihnachten.

Essener Obdachlose finden in den Wärmezelten einen Schlafplatz

Die Obdachlosen warten geduldig vor dem Tor, denn erst um 21 Uhr ist Einlass. Nach dem obligatorischen Corona-Schnelltest besorgen sich die Männer einen Schlafplatz. In jedem Zelt stehen sechs Feldbetten mit Schlafsäcken und Decken. Aus einem Schlauch strömt warme Luft ins Zelt. Frank Loges schmunzelt: „Manchem ist das sogar zu warm. Die sind hart im Nehmen, von eisigen Nächten im Freien abgehärtet.“

DRK-Jugend-Helfer sind für die Essensausgabe im Essener Wärmezelt zuständig.
DRK-Jugend-Helfer sind für die Essensausgabe im Essener Wärmezelt zuständig. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Der 59-Jährige ist vor fünf Jahren über seinen Enkel Justin zum DRK gekommen und wird von Elke Zbiera „unser Heinzelmännchen“ genannt: „Der Frank kommt nachmittags her und macht klar Schiff. Da müssen wir uns um nichts kümmern.“ Manche Erzählungen der Übernachtungsgäste berühren zutiefst. Manfred (37, Name geändert) sagt, er sei seit zwei Jahren obdachlos und komme jeden Abend: „Tagsüber renne ich rum und gucke, das Geld zusammenkommt. Das ist aber schwierig momentan. Ich schnorre nicht, sondern sammele Pfandflaschen.“ Beim DRK fühle er sich sicher: „Ein Superangebot. Ich freue mich, dass ich hierher kommen darf.“

Selbst ein 86-Jähriger suchte schon Unterschlupf im Essener Wärmezelt

Elke Zbiera lächelt: „Wir hatten hier mal einen 86-Jährigen. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, ihn morgens wieder auf die Straße zu schicken. Wir haben beim Sozialamt angerufen und er bekam eine vernünftige Unterkunft.“ Dieter (30, Name geändert) hingegen ist schon vier Jahre ohne festen Wohnsitz: „Ich kann mir eigentlich selbst nicht erklären, wie ich obdachlos wurde. Ist einfach so passiert. Ich bin bei einem Verwandten untergekommen, aber der hat jetzt keinen Platz mehr für mich.“

Er laufe herum, wärme sich in Einkaufszentren auf: „Wenn man sich benimmt, wird man da in Ruhe gelassen.“ Das DRK-Zelt mag er nicht missen: „Die Bahnhofsmission hat mir von dem Angebot erzählt. Hier ist supergemütlich.“ Er wolle zurück ins „normale“ Leben: „Ich suche Arbeit und bin beim Jobcenter gemeldet.“

Im Essener Wärmezelt des DRK finden Obdachlose eine warme Unterkunft.
Im Essener Wärmezelt des DRK finden Obdachlose eine warme Unterkunft. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Elke Zbiera hat gleich drei Funktionen beim DRK: „Ich bin Bereitschaftsleiterin bei der Rotkreuzbereitschaft Essen-Borbeck, zugleich Kreisjugendleiterin und auch noch Arbeitskreisleiterin Obdachlosenhilfe.“ Die 57- Jährige ist gelernte Industriekauffrau, ausgebildete Rettungssanitäterin, früher waren Schäferhunde ihr Hobby. Daher dürfen auch Tiere mitgebracht werden: „Wir hatten mal so einen riesigen Schäferhund-Mix hier, der hieß Horst. Und einen ganz lieben Labrador. Eine Dame brachte ihre alte Hündin mit, die hat es leider nicht geschafft.“

Die Essensausgabe führen die Jungrotkreuzler durch. Dazu gibt es Kaffee oder Tee. Elke Zbiera: „Hier auf dem Hof herrscht striktes Alkohol- und Drogenverbot. Aber das sind alles ganz liebe Jungs, die kommen nüchtern hier an.“ Sie begrüßt einen der Männer: „Wo warst du gestern? Wir haben dich vermisst.“ Der junge Obdachlose sagt: „Ich hatte was getrunken und mich nicht hierhin getraut.“ Die Rotkreuzlerin lächelt: „Die wissen, was Ansage ist. Party ist hier nicht.“

Die Gäste erhalten eine Thermoskanne mit heißem Wasser

Als sie Jürgen (Name geändert) erblickt, ist sie alarmiert: „Das ist ein ganz Lieber. Jetzt hat er das Gesicht grün und blau, weil man ihn auf der Straße zusammengeschlagen hat. Für drei Euro.“ Spätestens um Mitternacht heißt es „Licht aus“ in den Zelten. Um sechs Uhr werden die Gäste geweckt, dann gibt es Frühstück. Für unterwegs bekommen sie eine mit heißem Wasser gefüllte Thermoskanne, dazu Kaffeesticks und Instantsuppen. Bei Bedarf ein ÖPNV-Ticket. Dann geht Elke Zbiera heim, sie hat es nicht weit. Todmüde falle sie ins Bett: „Ich schlafe dann wie ein Stein. Und abends geht der Dienst von vorne los.“

Die große Spendenbereitschaft freut die Helferinnen und Helfer

Die Spendenbereitschaft ist traditionell hoch. Im Aufenthaltsraum der Rotkreuzbereitschaft türmen sich die Lebensmittel, vorwiegend Konserven. Die Kaffeekannen sind gefüllt. Die Unterstützung sei grandios, sagt Elke Zbiera: „Mit unserem Spendenaufruf haben wir einen Stein in Bewegung gesetzt, der immer weiter rollt. Viele Menschen stellen uns Spenden an die Zelte, auch große Firmen denken an uns. Ein Discounter hat großzügig gespendet, ein Energieversorger.“

Das Team vom Karnaper Bürgerbündnis freut sich über zahlreiche Spenden: (v.l.): Elke Zbiera, Yara Zbiera, Roland Kaiser (Vorsitzender) Patrick Korte. Kniend: Thorsten Kaiser (Geschäftsführer).
Das Team vom Karnaper Bürgerbündnis freut sich über zahlreiche Spenden: (v.l.): Elke Zbiera, Yara Zbiera, Roland Kaiser (Vorsitzender) Patrick Korte. Kniend: Thorsten Kaiser (Geschäftsführer). © Karnaper Bürgerbündnis

Auch die Geldspenden stimmen Elke Zbiera fröhlich: „Unsere Aktion auf betterplace.org explodiert förmlich.“ Über die Aktion „Wir Wunder“ der Sparkasse Essen werden die Spenden sogar noch verdoppelt: „Davon können wir so vieles kaufen, unter anderem Jogginghosen, Winterschuhe, Fahrkarten, Unterwäsche oder neue Thermoskannen.“

Essener Rotkreuzler achten auf die Gesundheit der Gäste

Auch achten die Rotkreuzler auf den Gesundheitszustand ihrer Gäste, von denen schon mehrere ins Krankenhaus gebracht werden mussten. Zu diesem Zweck stehen gepackte Taschen bereit mit Schlappen, Bademantel, Hygieneartikeln. Überrascht war Elke Zbiera, als plötzlich Profiboxer Patrick Korte auf dem Hof stand: „Der Patrick hat uns schon vor zwei Jahren besucht und hat den Leuten vom Karnaper Bürgerbündnis von uns vorgeschwärmt.“

Der gemeinnützige Verein sammelte Brot, Brötchen, Suppen, Gebäck, Obst, Konserven, Getränke, Tee. Vorsitzender Roland Kaiser, Geschäftsführer Thorsten Kaiser und Patrick Korte schleppten Kiste um Kiste in den Aufenthaltsraum. Texaseintopf und Erbsensuppe standen schon auf dem Speiseplan, auch spendete ein Borbecker Restaurant einen Riesentopf mit Spaghetti Bolognese.

Die DRK-Kältehilfe steht bis zum 31. März auf Abruf. Da die Temperaturen derzeit wieder steigen, sind die Wärmezelte vorerst geschlossen und öffnen wieder, sobald die Temperaturen nachts Minusgrade erreichen. Unter 0201 22 22 22 können Menschen anrufen, die die Kältehilfe in Anspruch nehmen möchten. Auch besorgte Passanten können sich melden, wenn sie einen frierenden Obdachlosen entdecken. Wer mit Sachspenden unterstützen möchte, kann sich unter melden. Eine Liste benötigter Sachspenden ist unter www.drk-essen.de/kaeltehilfe oder auf der Facebook-Seite des DRK zu finden.