Essen-Nordviertel. Ein Grabstein im Essener Segerothpark erinnert an ein Grubenunglück vor gut 100 Jahren. Ein Bergbau-Experte erklärt, was damals passiert ist.

Die Essener Zeche Victoria Mathias war an der Ruhr einst die größte ihrer Art. Dort, wo heute im Essener Nordviertel das RWE-Gelände ist, wurde zwischen 1845 und 1965 Steinkohle gefördert. Im Jahr 1959 erbrachten 2896 Bergleute insgesamt 836.995 Tonnen – absoluter Spitzenwert. An einen Tiefpunkt erinnert noch heute ein Gedenkstein im angrenzenden Segerothpark. Vor 101 Jahren kam es in der Zeche nämlich zu einem verheerenden Unglück.

Bergmänner mit Zuständen in Essen unzufrieden

Daran erinnert auch der kürzlich erschienene Altenessen-Kalender. Darin schreibt der Essener Bergbau-Experte Andreas Dolczekala: „Die Arbeiter sind mit den Zuständen auf den Stinnes-Zechen sehr unzufrieden, was sich an den Beschäftigungszahlen widerspiegelt, die Fluktuation ist extrem hoch. Im Jahr 1921/22 verließen 1139 Bergleute die Anlage und nur 955 kamen hinzu.“

Maria Werder und Historiker Christoph Wilmer mit dem Altenessen-Kalender.
Maria Werder und Historiker Christoph Wilmer mit dem Altenessen-Kalender. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Am frühen Morgen des 20. Oktober 1921 kam es dann auf der Zeche Victoria Mathias zu einer Schlagwetterexplosion – einer Gaskonzentration in der Luft, die sich entzündet hatte. Tote und Verletzte waren die Folge. Zwei Bergleute starben sofort, weitere sieben im Laufe des Tages, ein weiterer noch etwas später. Etliche Angehörige stürmten zum Unglücksort. Dolczekala: „Das Unglück verursachte eine Rauchwolke, die sofort durch das ganze Grubengebäude zog, sodass auch auf der benachbarten Zeche Graf Beust die Arbeiten eingestellt werden und die Bergleute das Grubengelände verlassen mussten.“

Kritik an den Sicherheitsbedingungen der Essener Zeche

Der Autor Hans-Werner Wehling hat für die Chronik der Zeche (erschienen im Klartext-Verlag) etliche Zeitungsartikel herausgesucht, die im Zusammenhang mit dem Unglück erschienen sind. Darin wurde immer wieder Kritik an den Sicherheitsbedingungen und der Werksleitung geübt. „Zwischen den in den letzten Monaten sich häufenden Unglücken und dem hervorstechenden Bestreben nach Erhöhung der Produktion ist ein ursächlicher Zusammenhang nicht zu verkennen“, heißt es etwa in einem Artikel des „Ruhr-Echo“ vom 21.10.1921.

Lesebuchkreis freut sich über Verstärkung

Der Lesebuchkreis Altenessen veröffentlicht seit 1987 einen Kalender mit Bildern, Geschichten und Geschichtlichem aus dem Stadtteil. Im aktuellen Kalender geht es unter anderem um den Bunker am Altenessener Bahnhof, die Berne-Kläranlage Essen-Nord, den Altenessener Schweinemarkt und um das Allee-Center, das 2023 sein 50-jähriges Bestehen feiert.

Interessierte können den Kalender zum Preis von 8 Euro bei Tabakwaren Mundt, Altenessener Straße 432, und bei Tabakwaren Holzky, Altenessener Straße 226, kaufen.

Die Mitglieder des Lesebuchkreises Altenessen kümmern freuen sich über Verstärkung. Wer dabei sein will, meldet sich bei Christoph Wilmer per E-Mail an cw@cwilmer.de.

Das Buch „Victoria Mathias 1840-1990. Eine Chronik über 150 Jahre“ von Hans-Werner Wehling hat die ISBN-Nr: 3-88474-166-7.

Es meldete sich ein Bergmann bei der Presse und erzählte, dass es in der Vergangenheit wohl öfter Anzeichen einer nahen möglichen Schlagwetterexplosion gegeben hatte. Sie waren vernachlässigt worden. Seiner Meinung nach geschah das Unglück, weil der Ventilator über Nacht ausgeschaltet war und sich die Gase ansammeln konnten. „Etwas Vorsicht hätte das Unglück verhindert, Die Jagd nach Profit, das Antreibersystem jedoch lässt die gebotene Vorsicht missachten“, so der Bergmann.

Gedenkstein erinnert an die Toten des Essener Grubenunglücks

Das amtliche Untersuchungsergebnis des Dortmunder Oberbergamtes erschien dann etwa einen Monat später und widerspricht dieser Darstellung. Demnach hatte sich an der Unfallstelle das Hangende abgesetzt und zerklüftet, dadurch sei Gas ausgetreten, das sich wiederum an einer kaputten Benzinsicherheitslampe entzündet hatte.

Die Beisetzung der Kumpel erfolgte auf dem Segerothfriedhof in einem sehr großen Rahmen. Noch heute erinnert der Gedenkstein an das Unglück und die Toten. Das Grabmal steht seit 2019 unter Denkmalschutz, verwittert jedoch zunehmend – zum Ärger einiger Spaziergänger. Das zweite Denkmal im heutigen Segerothpark erinnert übrigens an das Grubenunglück durch eine Kohlenstaubexplosion mit 24 Toten vom 31. Mai 1922 auf der Schachtanlage Sälzer Amalie.

Auf Anfrage erklärt die Stadt, dass es keinen regelmäßigen Reinigungszyklus für den unter Denkmalschutz stehenden Grabstein gebe. Der Fachbereich Grün und Gruga werde tätig, wenn er zu wackeln beginnt oder andere Auffälligkeiten hinsichtlich der Verkehrssicherheit auftreten. Weiter heißt es seitens der Stadt: „Reinigung und Pflege erfolgen im Rahmen der dem Fachbereich Grün und Gruga zur Verfügung stehenden personellen Kapazitäten.“