Essen. Um junge Frauen zu erreichen, ist die Essener Drogenberatung „Bella Donna“ jetzt bei Instagram. Darum ist das für die Betroffenen wichtig.

Sie sind längst etabliert, feierten in diesem Jahr ihren 30. Geburtstag – und müssen ihren Auftrag doch immer noch erklären: Die Drogenberatungsstelle „Bella Donna“ in Essen wendet sich exklusiv an Mädchen und Frauen. Die stellen ein Drittel der Drogenkonsumenten, bleiben mit ihren Nöten und Bedürfnissen jedoch oft unsichtbar. „Zu uns können sie kommen, auch wenn sie nicht völlig abhängig und ganz unten sind“, sagt Bella-Donna-Leiterin Nicole Gutsch. „Wir beraten rund um das Thema Konsum.“

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Viele Klientinnen zögerten, sich Hilfe zu suchen, obwohl sie etwa merkten, dass ihr Cannabiskonsum problematisch sei, ergänzt Beraterin Christiane Breimhorst. „Sie denken, dass sie sofort ganz aufhören müssen, und merken: ,Das schaffe ich nicht.’ Dabei erwarten wir das gar nicht.“ Denn solange die Situation der Frauen unverändert bleibe, könnten sie das Cannabis (oder ein anderes Suchtmittel) eben nicht so leicht weglassen.

Essener Drogenberatung verlangt keinen sofortigen Entzug

„Selbst wenn die Frau dann clean ist, hat sie Angst rückfällig zu werden, sobald sie in eine Krise gerät“, sagt Renate Kreke, Beraterin bei „Bella Donna“ über einen Entzug, der nicht mit einer Verbesserung der Lebenslage einhergehe.
„Selbst wenn die Frau dann clean ist, hat sie Angst rückfällig zu werden, sobald sie in eine Krise gerät“, sagt Renate Kreke, Beraterin bei „Bella Donna“ über einen Entzug, der nicht mit einer Verbesserung der Lebenslage einhergehe. © Bella Donna

Also sage sie nicht „Hör auf“, sondern „Wir sind für Dich da“. Das Team helfe ihnen erstmal, ihre Probleme zu lösen, ihr Leben zu ändern. Auch ein Drogenentzug sei sonst wenig aussichtsreich. „Selbst wenn die Frau dann clean ist, hat sie Angst rückfällig zu werden, sobald sie in eine Krise gerät“, sagt Renate Kreke. Darum biete man auch eine ambulante Nachsorge an.

Drogensüchtige Frauen blieben länger im Verborgenen als Männer. Selbst wenn sie wohnungslos seien, falle das häufig nicht so bald auf, etwa wenn sie bei einem „Sozialfreier“ unterkommen: Einem Mann, der sie gegen kostenlosen Sex in seiner Wohnung aufnimmt und das oft als gute Tat verkauft, tatsächlich aber ihre Notlage ausnutzt. „Wir beraten auch Freundinnen, Mütter oder andere Angehörige, die sich Sorgen um eine Frau machen“, erklärt Christiane Breimhorst.

Online-Beratung läuft anonym über eine geschützte Seite

In der Online-Beratung könnten die Ratsuchenden unerkannt bleiben und unter einem Nickname über eine geschützte Seite Fragen an Bella Donna stellen – „losgelöst von Zeit und Raum.“ Das sei zum Beispiel für berufstätige Frauen, Studentinnen und Mütter interessant, die vielleicht nicht die Zeit fänden, in die offene Sprechstunde am Montag zu kommen. Eine Antwort bekommen sie auch online binnen 48 Stunden.

Erste Suchthilfe-Einrichtung für Mädchen und Frauen in NRW

1992 startete die Drogenberatung Bella Donna in Essen. Sie war die erste Suchthilfe-Einrichtung in NRW, die sich ausschließlich an Mädchen und Frauen richtete. Bis 1995 wurde sie als wissenschaftlich begleitetes Modellprojekt von Land und Stadt finanziert. Seither wird sie – mit gekürztem Zuschuss – allein von der Stadt getragen.

Heute ist belegt, dass es geschlechtsbezogene Unterschiede bei den Motiven zum Drogenkonsum gibt. Oft hängt die Sucht mit frühen sexuellen Gewalterfahrungen zusammen. Das Projekt „Viola“ (1997-2001) wandte sich wiederum an Mütter mit Suchtproblematik. Familienarbeit ist noch immer ein Schwerpunkt von Bella Donna.

Kontakt: Mo-Do unter 0201-240 88 83. Offene Sprechstunde: Bella Donna, Kopstadtplatz 24/25, Heck-Passage, 5. Etage: Mo, 14-16 Uhr. Mail: post@belladonna-essen.de, Instagram: belladonna.essen

Froh ist das Bella-Donna-Team, dass es seit einiger Zeit auch per Instagram berät. Erstens erreiche man so Jugendliche und jüngere Frauen, zweitens könne man dort bei manchem Thema eine Gegenstimme sein; etwa wenn es um einen Schönheitskult gehe, der zu einer heiklen Körperwahrnehmung führe. „Instagram ist ein Ort, an dem viel Druck aufgebaut wird“, sagt Christiane Breimhorst. „Es ist wichtig, dass wir auch da sind – wir stehen für Empowerment.“ Also für das Bestärken junger Frauen, das sie besser gegen eine Sucht wappnen mag. Gleiches gelte beim Kampf gegen sexualisierte Gewalt, denn die gilt als ein wichtiger Mitauslöser für eine spätere Sucht; ob sie in der Partnerschaft oder schon in der Kindheit erlitten wird.

Manchmal raucht der Vater den ersten Joint mit der Tochter

Auch jetzt konsumieren 15- oder gar 12-Jährige – das ist die Lebensrealität“, sagt Christiane Breimhorst, Beraterin bei „Bella Donna“, zur Legalisierung von Cannabis.
Auch jetzt konsumieren 15- oder gar 12-Jährige – das ist die Lebensrealität“, sagt Christiane Breimhorst, Beraterin bei „Bella Donna“, zur Legalisierung von Cannabis. © Bella Donna

Oft werde der Drogenkonsum schon in den Familien erlernt: Da rauche der Vater den ersten Joint mit der Tochter, da erlebten die Kinder ihre Eltern regelmäßig unter Drogen. „Teils waren die jungen Frauen, die sich an uns wenden, schon als Kinder bei uns – in Begleitung ihrer Mütter“, erzählt Renate Kreke. Viele der Klientinnen hätten Kinder, deren Wohl die Beraterinnen mit im Blick haben müssen. Aktuell kommen vier Frauen mit Babys zur Beratung. „Eine Entgiftung ist für Mütter viel schwieriger zu organisieren.“

Die geplante Legalisierung von Cannabis sieht das Bella-Donna-Team mit verhaltener Zustimmung. „Die jahrzehntelange Illegalsierung hat jedenfalls nicht funktioniert“, sagt Christiane Breimhorst. Eine Freigabe der Droge für Erwachsene könne einige Vorteile bringen, angefangen bei einer Trennung der Märkte, ergänzt Renate Kreke. Herstellung und Abgabe des Rauschmittels wären kontrolliert. „Der Reiz des Illegalen fällt weg, und die Konsumentinnen müssten sich nicht an den Dealer wenden, der auch Speed, Ecstasy und Co. im Angebot hat.“

Viele junge Frauen wissen nichts über die Drogen, die sie nehmen

Es sei gut, wenn das Verbot für Jugendliche bestehen bleibe. Das allein schütze sie indes nicht: „Auch jetzt konsumieren 15- oder gar 12-Jährige – das ist die Lebensrealität“, betont Christiane Breimhorst. Viele hätten keine Ahnung, was sie da zu sich nähmen, sähen weder Problem, noch gar Gefahr: „Im Gegenteil: Der Drogenkonsum scheint ihnen etwas Gutes zu tun.“

Nicole Gutsch bestätigt: „Für sie stehen ganz andere Probleme im Vordergrund: ihr Aussehen, die Anforderungen in der Schule oder Mobbing.“ Wer ihnen helfen wolle, müsse bei diesen Sorgen anfangen, nicht beim Cannabis.