Essen-Altenessen. Juliana Schmidt war im Auftrag eines Essener Bundestagsabgeordneten in Texas und schnupperte dann Landtags-Luft. Darum empfiehlt sie das anderen.

Wirklich alleine war Juliana Schmidt nicht. Aber wenn man als 17-Jährige ein Jahr in Amerika verbringt, können Mama und Papa eben doch nicht mehr so genau auf die Farbe der Hose und den Inhalt der Brotdose schauen: „Es war am Anfang schwierig, so eigenständig zu sein.“ Gleichzeitig sei das aber einer der Gründe, warum die Essenerin das Abenteuer Amerika auch anderen empfiehlt.

Von Altenessen nach Texas mit dem Parlamentarischen Patenschaftsprogramm

Um die Reise finanzieren zu können bewarb sich Juliana Schmidt beim Parlamentarischen Patenschaftsprogramm (PPP), ein Stipendium des Deutschen Bundestages. Dirk Heidenblut, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Essen, wählte die Leibniz-Schülerin aus und so ging es im Sommer vergangenen Jahres für zwölf Monate nach Texas, in das kleine Städtchen Mc Gregor mit seinen 5000 Einwohnern. Zum Vergleich: In Altenessen, dort wo Juliana Schmidt herkommt, wohnen 43.000 Menschen.

Ziel des PPP ist es, ein Netzwerk persönlicher Verbindungen zwischen jungen Menschen in den USA und in Deutschland zu knüpfen, um unterschiedliche Lebensweisen im anderen Land kennenzulernen. „Wir haben da richtig kitschig Weihnachten gefeiert“, gibt Juliana Schmidt ein Beispiel. Es habe drei Tannenbäume gegeben, einer hing von der Decke.

Gymnasiastin lebte in Amerika, als der Krieg in der Ukraine ausbrach

Die Stipendiaten vermitteln an ihren Schulen, an ihren Praktikumsplätzen, in ihren Gastfamilien und in ihrer Freizeit ihre Erfahrungen vom kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Leben in Deutschland. Im Alltag lernen sie, was Deutschland und die USA verbindet und unterscheidet. „Man lernt andere Lebensumstände kennen und kann dann entscheiden, ob man das selbst auch will“, erklärt Juliana Schmidt. So fand sie es am Anfang cool, dass ihre Gastfamilie oft auswärts essen ging und irgendwann fühlte sie sich davon genervt. Anderes Beispiel: „Zu Hause haben wir feste Tage, wann wir aufräumen, hier konnte ich es mir selbst einteilen.“ Die Essenerin musste für sich herausfinden, wie sie sich in einem Umfeld verhält, in dem sie niemand kennt. Und genau das empfiehlt sie auch anderen: „Man lernt sich selbst anders kennen.“

Das Leibniz-Gymnasium an der Stankeitstraße in Essen: Hier will Juliana Schmidt 2024 ihr Abitur machen.
Das Leibniz-Gymnasium an der Stankeitstraße in Essen: Hier will Juliana Schmidt 2024 ihr Abitur machen. © FUNKE Foto Services | Julian Heppe

Kennenlernen musste sie auch ihre Gasteltern. Eine Politiklehrerin als Gastmutter und einen Wirtschaftsdirektor als Gastvater – das sei jedoch Zufall gewesen und habe nichts mit dem Stipendium zu tun. „Vorher war ich politisch wenig interessiert“ erklärt Juliana Schmidt. Mit dem Stipendium habe sich das geändert. „Wir haben viele Diskussionen geführt, etwa über den Ukrainekrieg und die Gaspreise“, erinnert sich die Schülerin aus dem Essener Norden, die in Texas weilte, als der Krieg in der Ukraine ausbrach. „Meine Gasteltern fanden die europäische Perspektive spannend.“

Gymnasiastin nahm am Jugendlandtag in Düsseldorf teil

Zwischendurch besuchte die Essenerin im Auftrag des PPP Seminare in Washington und lernte in einem Online-Workshop auch die Arbeit des Auswärtigen Dienstes kennen. Seitdem steht für die 17-Jährige fest: „Da will ich später arbeiten.“ Internationale Kontakte könnten so verbessert werden, sodass verschiedene Länder besser zusammenarbeiten. „Dafür will ich Jura oder BWL international studieren.“

Verschiedene Schüleraustausch-Organisationen

Verschiedene Organisationen bieten Auslandsaufenthalte für Schüler und Schülerinnen auch ohne Stipendien an. Dazu zählen unter anderem YFU, Experiment und AFS. Die Aufenthalte kosten rund 15.000 Euro für ein Jahr. Darin enthalten sind unter anderem Flug und Organisation sowie Betreuung vor Ort. Die Gastfamilien bekommen kein Geld.

Für die Planung und Durchführung des Auslandsaufenthaltes bei Juliana Schmidt war der Verein „Experiment“ zuständig. Infos unter www.bundestag.de/ppp und www.experiment-ev.de

Was sie in den vergangenen eineinhalb Jahren auch herausgefunden hat: Für eine Partei will sie zunächst nicht arbeiten. Das liege unter anderem daran, dass sie keinem Parteiprogramm auf ganzer Linie zustimme. Diese Erfahrung machte sie beim Jugendlandtag, bei dem sie sich wenige Wochen nach ihrer Rückkehr nach Altenessen bewarb: „Hier wirkte im Vergleich plötzlich alles superklein und winzig, selbst die Wände im Haus fand ich eng.“

Plenarsitzung der Höhepunkt beim Jugendlandtag

Beim Jugendlandtag bewerben sich 16- bis 20-Jährige in diesem Fall bei den Landtags-Abgeordneten und schlüpfen in ihre Rolle. Auch bei dieser Bewerbung überzeugte die Altenessenerin und durfte kurzfristig den Job von Thomas Kutschaty (SPD) in Düsseldorf übernehmen. Drei Tage hat sie mit den anderen Jugendlichen in Fraktions- und Ausschusssitzungen sowie in Sachverständigenanhörungen über den Ausbau des ÖPNV und das Wahlrecht ab 16 Jahren diskutiert und Anträge für die Plenarsitzung vorbereitet. Das sei dann auch der Höhepunkt des Wochenendes gewesen. Es habe einen wahren Parteienkampf gegeben, bei dem sich alle positioniert hätten. „Wenn die Vertreter der AfD gesprochen haben, sind alle anderen einfach rausgegangen“, erinnert sich die Essenerin, die im Sommer 2024 ihr Abitur am Leibniz-Gymnasium ablegen will. Schulleiter Martin Tenhaven sagt: „Dass Schülerinnen so eine klare Vorstellungen haben, was sie später machen wollen, ist absolut unüblich.“