Essen. Der Bahnhof Essen-Dellwig und das Umfeld machen wegen Vandalismus und Graffiti einen ungepflegten Eindruck. Rollstuhlfahrer haben ein Problem.
Als das Schienennetz im deutschen Kaiserreich immer dichter wird, zählt die traditionsreiche Köln-Mindener-Eisenbahngesellschaft von 1847 zu den Pionieren eines neuen Mobilitätszeitalters. Es war die erste Linie, die durchs Emschertal führte. 1891 machen sie Dellwig, das damals noch zur selbstständigen Gemeinde Borbeck gehört, zur Bahnstation. Bahn-Nostalgiker mag das verzücken, der Pendler hingegen sieht den Haltepunkt im Essener Nordwesten sehr viel nüchterner. Und viele dürften gar enttäuscht sein.
Taktung
Der Bahnhof Dellwig wird von zwei Zuglinien angesteuert: der Regionalbahn (RB) 32 (Duisburg - Dortmund) und der RB 35 (Gelsenkirchen - Mönchengladbach). Beide Linien verkehren jeweils nur im Stundentakt, dafür sind damit attraktive Ziele zu erreichen, ohne über den Knotenpunkt Essen-Hbf fahren zu müssen. Oberhausen-Hbf ist in vier, Duisburg in elf, Gelsenkirchen in 13, Dortmund in 40 und Mönchengladbach in 59 Minuten erreichbar. Die RB 32 legt an Werktagen nachts eine dreistündige Pause ein: Erster Zug Richtung Dortmund um 4.45 Uhr. Die RB 35 fährt nur werktags (Richtung Gelsenkirchen erster Zug um 5.06 Uhr, letzter um 19.06 Uhr). Weitere Stationen auf Essener Gebiet: Bergeborbeck, Altenessen, Zollverein-Nord. Was am Testtag (Donnerstag, 17. November) negativ auffällt: In kürzester Zeit sind Züge ausgefallen, weil laut DB-Durchsage Zugpersonal erkrankt war.
Anbindung an Bus, Straßenbahn, Leihräder
Nahe dem Bahnhof halten die Ruhrbahn-Buslinien 166 und 185, ferner empfiehlt sich der Umstieg in die Tram 103 (bis Steele), die tagsüber im 10-Minuten-Takt vorbeifährt. Wer die Essener Innenstadt ansteuert und sich den umständlichen Umstieg in die S 9 am Bahnhof Dellwig-Ost ersparen will, ist in der 103 gut aufgehoben. Für Radfahrer: Leihräder gibt es in Dellwig nicht, aber vier abschließbare Fahrradboxen. Die Fahrradstellplätze sind zwar überdacht, aber das Diebstahlrisiko ist hoch.
Sauberkeit
Der Haltepunkt macht insgesamt einen vernachlässigten, ungepflegten und deshalb ungemütlichen Eindruck. Wie die Bahn mitteilt, wird der Bahnhof zwei Mal pro Woche gereinigt, im Frühjahr/Sommer sogar drei Mal wöchentlich. „Sollte verstärkt Müll auftreten, kommen unsere Reiniger auch häufiger, zum Beispiel nach Großveranstaltungen“, sagt ein Bahnsprecher.
Besonders unangenehm fallen die vielen Graffiti auf – aus Sicht der Bahn eine Form von Vandalismus. Stark verschmiert sind die Wartehäuschen auf den beiden Außenbahnsteigen und darin besonders die DB-Schaukästen mit Fahrgastinformationen. Aber auch der schlichte Flachbau, in dem die DB ein Stellwerk betreibt, ist verunziert.
Kein schöner Zug: Als Urheber der Graffiti-Schmierereien tun sich RWE-Fans besonders hervor. RWE in roten Buchstaben auf weißem Untergrund dahingesprüht – dieser Versuchung scheinen die „Rude Fans“ (rüpelige Fans) nicht widerstehen zu können. Ärgerlich nur, wenn dadurch wichtige DB-Fahrgastinformationen unleserlich gemacht werden: ein echtes „No Go“.
Dazu die DB: „Allein für die Graffitibeseitigungen mussten wir seit Anfang 2021 einen mittleren vierstelligen Betrag ausgeben, um die Schmierereien zu entfernen – Geld, das die DB lieber direkt für ihre Kunden einsetzen würde.“
Sicherheit
Die Studentin Daniela (23) aus Frintrop fühlt sich auf dem Bahnhof unwohl. „Besonders in der dunklen Jahreszeit habe ich auf dem Bahnsteig ein mulmiges Gefühl“, sagt die angehende Politikwissenschaftlerin, die unterwegs zur Universität in Duisburg ist. Ein eher generelles Problem: Sie mag es nicht, wenn Männer sie einfach ansprechen oder sich während der Zugfahrt auf den Sitzplatz neben sie setzen und sie anmachen.
Bauliche Defizite: Am Treppenabgang neben dem DB-Flachbau haben Unbekannte die Pforte ausgehängt, die Treppe führt zu einem offenen Kellervorraum mit schäbigem Matratzenlager. Ein kompakter Abfallbehälter (Bahnsteig 1) ist irreparabel verrostet, der Deckel nur provisorisch mit einem Kabelbinder befestigt. Warum wird er nicht komplett abgebaut?
Als wir den Bahnhof in der Mittagszeit testen, werden Regional- und Fernzüge (RE 2, IC nach Bremerhaven) gerade über Dellwig umgeleitet. Die Züge rauschen mit hoher Geschwindigkeit, geschätzt 140 km/h, durch den Bahnhof. Zu Recht weist die Bahn auf Hinweisschildern und per Lautsprecherdurchsage auf die damit verbundenen Gefahren hin. Zusätzlich ist der Gefahrenbereich vor der Bahnsteigkante großflächig markiert. Ein „Train Spotter“ aus Essen, also ein Eisenbahnfreund, der hobbymäßig gerne Züge und Bahnhöfe beobachtet und fotografiert, behauptet auf dem Bahnsteig, dass der Windstoß eines Schnellzuges schlimmstenfalls so stark sein könne, dass er einen ungesicherten Kinderwagen umzustürzen vermag.
Gesamtnote des VRR: „Entwicklungsbedürftig“
Im Stationsbericht 2021 des Verkehrsverbundes Rhein Ruhr (VRR) wird der Bahnhof Dellwig im Gesamturteil mit „Entwicklungsbedürftig“ bewertet, die zweitschlechteste von vier Noten.
Drei Kategorien werden von den VRR-Testern untersucht: Aufenthaltsqualität, Fahrgastinformation und Barrierefreiheit. Die Noten sind Blau (sehr gut), Grün, Gelb und Rot (schlecht).
Aufenthaltsqualität: Der Stationsbericht bewertet Dellwig mit der zweitbesten Note, der Farbe Grün. Das heißt: zufriedenstellend.
Fahrgastinformation: Hier ist Dellwig für den VRR spitze - nämlich Blau: hervorragend.
Barrierefreiheit: Wie zu erwarten schneidet Dellwig hier schlecht ab: Die Farbe Rot bedeutet „sehr hoher Handlungsbedarf“.
Ein ernstes Problem sieht der Bezirkspolitiker Ulrich Schulte-Wieschen (SPD-Fraktionschef) in jenen leichtsinnigen Menschen, die sich den Weg über die Brücke sparen wollen und einfach über die Gleise laufen. Es handelt sich dabei um eine Ordnungswidrigkeit, schlimmstenfalls sogar um einen gefährlichen Eingriff in den Bahnverkehr und somit um eine Straftat.
Service
Die Fahrgastinformationen sind – von dem Graffiti-besprühten DB-Schaukasten abgesehen – nicht zu beanstanden. Im Umfeld des Bahnhofs gibt es eine Gastwirtschaft und einen Kiosk.
Wartekomfort
Drei Wartehäuschen gibt es am Bahnsteig 1 für die Züge in Richtung Altenessen und Gelsenkirchen, aber nur eins auf Bahnsteig 2 (Richtung Oberhausen/Duisburg). Die Studentin, die regelmäßig nach Duisburg pendelt, ist damit sehr unzufrieden, zumal der Bahnhof Dellwig in der Rushhour stark frequentiert sei. „Morgens zwischen sieben und acht Uhr ist hier Hochbetrieb“, fügt sie hinzu. Wer es nicht unters Dach des Wartehäuschen schafft, steht buchstäblich im Regen.
Barrierefreiheit
Wer auf den Rollstuhl oder einen Rollator angewiesen beziehungsweise mit Kinderwagen unterwegs ist oder sein Fahrrad im Zug mitnehmen will, hat in Dellwig ein Problem. Denn Bahnsteig 2 ist nur über eine hohe Brücke (29 Stufen) zu erreichen: im Rollstuhl eine unüberwindbare Hürde. Wer den Kinderwagen oder sein Fahrrad über die Brücke wuchten will, muss schon sehr gut in Form sein.
Parkmöglichkeiten
Wie das gesamte Bahnhofsumfeld so macht auch der mit Pfützen übersäte Parkplatz einen ungepflegten Eindruck. Reste von Gleisen im Kopfsteinpflaster erinnern daran, dass die Straßenbahn hier einst hielt. Vom kleinen Parkplatz aus ist der Bahnhof direkt nur über Treppen zu erreichen. Der SPD-Bezirkspolitiker ärgert sich seit Jahren über die Vermüllung. „Bei der Aktion Sauber-Zauber haben wir hier schon alles mögliche gefunden: Reifen, Felgen, sogar Spritzen.“ Auch abgestellte Autos ohne Kennzeichen waren wegen der Nähe zum Problem-Gewerbegebiet Ripshorster Straße ein Ärgernis.
Fazit
Der Bahnhof Dellwig, mit täglich 700 Fahrgästen eher eine weniger frequentierte Station, ist in keinem guten Zustand. Zu Recht hat die Bezirksvertretung die DB schon vor Jahren aufgefordert, beide Bahnhöfe in Dellwig zu überprüfen. Auf Anfrage bestätigt die DB, dass der Bahnhof Dellwig in die Jahre gekommen sei. Daher liefen erste Planungen für die Modernisierung der Station. Allerdings befinde man sich in einem sehr frühen Planungsstadium. Zum jetzigen Zeitpunkt seien beabsichtigt: Neubau der Personenüberführung und barrierefreie Zugänge zu den Bahnsteigen, voraussichtlich durch den Bau von Fahrstühlen.