Essen. Die Essener Polizei meldet am Freitagmorgen Einschusslöcher am Rabbinerhaus neben der Alten Synagoge in Essen. Die Ermittlungen laufen.
Auf das ehemalige Rabbinerhaus direkt neben der Alten Synagoge in Essen sind am späten Donnerstagabend mehrere Schüsse aus einer scharfen Waffe abgefeuert worden. Verletzt wurde niemand. Zeugen, die die Einschusslöcher entdeckten, alarmierten am Freitag um 8.27 Uhr die Polizei. Diese spricht auf Anfrage davon, dass es mehrere Schüsse auf eine Tür im Eingangsbereich abgegeben worden seien. Sowohl die Glasscheibe der Tür als auch deren Alumetallrahmen seien getroffen worden, so ein Polizeisprecher. Es gebe insgesamt vier Ein- und Durchschusslöcher, meldete die Polizei.
NRW-Innenminister Herbert Reul machte sich am Mittag auf nach Essen, um sich auf der Steeler Straße selbst ein Bild von der Lage zu machen. Er sagte vor Ort: „Wenn jemand mit einer scharfen Waffe schießt, muss man von einem Anschlag sprechen.“ Zu den möglichen Tatmotiven sagte er konkret nichts, diese müssten nun ermittelt werden: „Wir wissen nicht, wer es war, deswegen kann man das nicht genau sagen.“
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Die Polizei Essen äußerte sich um 10.03 Uhr via Twitter: „Aktuell haben wir einen Polizeieinsatz an der Alten Synagoge in Essen. Zeugen meldeten Einschusslöcher am Rabbinerhaus. Niemand wurde verletzt. Es besteht keine Gefahr für die Bevölkerung. Die Hintergründe werden ermittelt.“ Die Alte Synagoge ist als Haus jüdischer Kultur ein Institut der Stadt Essen.
Schüsse auf Rabbinerhaus neben der Alten Synagoge: Mann wurde gefilmt
Dem Innenminister zufolge sei der mutmaßliche Täter gefilmt worden: „Es ist ein Mann, das ist offenkundig.“ Weiter sagte Reul: „Ich bin natürlich total bewegt. Es ist aber zum Glück nichts passiert, es hätte aber etwas passieren können.“ Die Polizei Essen bestätigt auf Anfrage, dass der Tatzeitraum auf Donnerstagabend (17. 11.) zwischen 22 und 24 Uhr eingegrenzt werden könne.
Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen begleitete den Innenminister am Mittag. Er zeigte sich von den Vorkommnissen bestürzt, sagte über die Alte Synagoge: „Dies ist ein Ort, der für jüdisches Leben steht.“
Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Essen, Schalwa Chemsuraschwili, sagte im Gespräch mit unserer Redaktion: „Es ist erschreckend, dass so etwas passiert. Wir sind in engem Kontakt mit den Behörden.“ Die jüdische Kultus-Gemeinde mit rund 930 Mitgliedern selbst trifft sich nicht in der Alten Synagoge, sondern an der Sedanstraße in der Neuen Synagoge.
Steeler Straße durch rot-weißes Flatterband abgesperrt
Bereits vor dem Minister- und OB-Besuch war die Steeler Straße durch weiß-rotes Flatterband abgesperrt, die Polizei ließ niemanden durch: Die Kripo war am Tatort im Einsatz, der Staatsschutz vor Ort, die Kriminaltechnische Untersuchung lief. Auch ein Sprengstoff-Spürhund war unterwegs, um mögliche Hinweise zu erschnuppern. Während die Spurensicherung lief, gingen Ermittler Wohnungs- und Geschäftseingänge in der Nähe ab – auf der Suche nach möglichen Überwachungskameras.
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Zwei Anwohner der Steeler Straße berichteten, dass sie selbst in der Nacht keine Schüsse gehört hätten. Trotzdem war ihnen die Verunsicherung ins Gesicht geschrieben. Sie fragten sich, warum in der Nacht keine Polizei an der Alten Synagoge platziert war. Diese zählt zu den am besten bewachten Gebäuden der Stadt. Tagsüber ist auf dem kleinen Vorplatz in der Regel ein Streifenwagen postiert. Trotzdem seien auch nachts regelmäßig Streifenwagen zur Kontrolle vor Ort, hieß es seitens der Polizei am Freitagmittag ausdrücklich.
Alte Synagoge Essen: Ein Blick zurück
Ein Blick zurück in die Vergangenheit der Alten Synagoge: Im Oktober 2000 hatten demonstrierende Palästinenser aus dem Libanon das Gebäude mit Steinen beworfen. Ein Richter erließ gegen drei Beschuldigte Haftbefehl. 2019 gab es Schmierereien an dem Gebäude. Im Juli 2014 hatte die Polizei 14 Verdächtige festgenommen, die angeblich einen Anschlag auf die Alte Synagoge geplant hatten. Mehrere Tage zuvor hatten 50 überwiegend junge Männer bei Nahost-Demos in der Essener Innenstadt antiisraelische Parolen skandiert.
Das Rabbinerhaus ist ein Anbau der Alten Synagoge, die zwischen 1911 und 1913 nach den Plänen des Architekten Edmund Körner (1874-1940) errichtet wurde. Das Gotteshaus zählte damals zu den größten und schönsten Synagogen in Deutschland. Synagoge und Rabbinerhaus sind bei der Pogromnacht der Nazis am 9. November 1938 in Brand gesetzt und erheblich beschädigt worden.
Von der zunächst noch kleinen jüdischen Nachkriegsgemeinde wurde das Haus bis 1959 als Gemeindehaus genutzt. Nach dem Umzug in die am 21. Oktober 1959 eingeweihte Neue Synagoge am Sedanplatz wurde das Rabbinerhaus an die Stadt Essen verkauft, die hier 1962 das Essener Stadtarchiv einrichtete.
Die Alte Synagoge ist im Juli 2010 als „Haus der jüdischen Kultur“ wiedereröffnet worden. Das Rabbinerhaus beherbergt seit Juli 2011 das 1986 gegründete Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte mit Archiv und umfangreicher Bibliothek. Eigenen Angaben zufolge erforscht es „die Geschichte und Kultur der Juden im deutschen Sprachraum vom Mittelalter bis in die Gegenwart“. Das Institut arbeitet eng zusammen mit dem Fach „Jüdische Studien“, bis 2002 an der Universität Duisburg-Essen, nun an der Universität Düsseldorf.
Vor der Alten Synagoge kamen am Abend circa 100 Menschen unter dem Motto „Gegen jeden Antisemitismus“ zusammen.
Die Ermittler suchen Zeugen, die in der Nacht auf Freitag (18. 11.) insbesondere in der Zeit von 20 bis 1 Uhr verdächtige Personen, Fahrzeuge oder Geräusche rund um die Alte Synagoge bemerkt haben. Auch der Bereich Rathausgalerie, Rathaus Essen, Schützenbahn und Steeler Straße sei für die Polizei interessant. Mögliche Zeugen melden sich unter: 0800 66 77 123. „Im Notfall wählen Sie die 110!“, teilt die Behörde mit.