Essen. Der Hauptbahnhof Essen könnte bald viel stärker als bislang ein Anziehungspunkt für Drogensüchtige aus der ganzen Region werden. Die Gründe.

Dem Hauptbahnhof Essen und seinem Umfeld droht die Gefahr, künftig noch viel stärker als bislang Anziehungspunkt für Drogensüchtige aus der gesamten Region zu werden. Die Stadtverwaltung arbeitet seit Monaten an einem Plan, um dies zu verhindern. Hochrangige Vertreter der Stadt baten am Mittwoch (26. 10.) auch den Drogenbeauftragten der Bundesregierung während einer Gesprächsrunde in der „Suchthilfe Direkt“ um Unterstützung.

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Anlass der städtischen Befürchtungen: Ein Düsseldorfer Mediziner plane die Eröffnung einer großen Praxis in direkter Nähe zum Hauptbahnhof. Dort sollen demnach Drogenkranke mit Diamorphin versorgt werden – reinem Heroin. Praxen wurden in NRW beispielsweise bereits in Düsseldorf, Wuppertal und Iserlohn eröffnet, Weitere sollen folgen: neben Bielefeld und Köln etwa auch in Essen. Anfragen unserer Redaktion an den Mediziner blieben bisher unbeantwortet.

Dem Vernehmen nach hätte die Essener Praxis die Kapazität, um 200 Suchtkranke zu versorgen. Während der Gesprächsrunde in der „Suchthilfe direkt“ wurde davor gewarnt, dass sich diese Patienten den ganzen Tag über rund um den Hauptbahnhof aufhalten müssten, denn mancher Fall erfordere drei Behandlungen über den gesamten Tag verteilt.

Ordnungsdezernent: Diamorphin-Praxis am Hauptbahnhof Essen würde öffentlichen Raum „erheblich überfordern“

„Die Ansiedlung einer solchen Praxis würde den öffentlichen Raum rund um den Hauptbahnhof erheblich überfordern und die gesellschaftliche Akzeptanz des Themas Sucht, die in Essen über Jahrzehnte aufgebaut wurde, massiv gefährden“, warnte der städtische Ordnungsdezernent Christian Kromberg am Mittwoch.

Kamen am Mittwoch in der „Suchthilfe direkt“ zu einem Gespräch zusammen: Chistian Kromberg (Ordnungsdezernent), Prof. Norbert Scherbaum (Ärztlicher Direktor LVR-Klinikum Essen), Burkhard Blienert (Suchtbeauftragter der Bundesregierung), Bärbel Marrziniak Geschäftsführerin der „Suchthilfe direkt“, Peter Renzel (Stadtdirektor) und Dirk Kalweit (stellv. Fraktionsvorsitzender CDU-Essen und Aufsichtsratsvorsitzender „Suchthilfe direkt“).
Kamen am Mittwoch in der „Suchthilfe direkt“ zu einem Gespräch zusammen: Chistian Kromberg (Ordnungsdezernent), Prof. Norbert Scherbaum (Ärztlicher Direktor LVR-Klinikum Essen), Burkhard Blienert (Suchtbeauftragter der Bundesregierung), Bärbel Marrziniak Geschäftsführerin der „Suchthilfe direkt“, Peter Renzel (Stadtdirektor) und Dirk Kalweit (stellv. Fraktionsvorsitzender CDU-Essen und Aufsichtsratsvorsitzender „Suchthilfe direkt“). © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

CDU-Ratsherr Dirk Kalweit, der dem Aufsichtsrat der städtischen „Suchthilfe direkt“ vorsitzt, erinnert daran, dass vor etwa 20 Jahren die Situation rund um den Hauptbahnhof Essen schon einmal ausgesprochen schwierig war – bis man die „Suchthilfe direkt“ am Westrand der City etablierte; zunächst in der Hindenburg-, heute in der Hoffnungsstraße. Dort bekommen Süchtige, Hilfe und Beratung. Doch sie ist nur für Bürgerinnen und Bürger aus Essen gedacht. Die Folge der „Suchthilfe direkt“ war: Für Drogensüchtige aus anderen Städten wurde Essen uninteressant. Die „Suchthilfe direkt“ gibt auch Ersatzstoffe wie Methadon heraus.

800 Essenerinnen und Essener erhalten Substitute

Nach Angaben von Peter Renzel, dem städtischen Dezernenten für Gesundheit, gibt es etwa 800 Drogenkranke in Essen, die unter ärztlicher Aufsicht sogenannte „Substitute“ wie Methadon erhalten. Diese sollen helfen, die Drogensüchtigen von der illegalen Drogenbeschaffung fernzuhalten und damit vor dem Risiko weiterer Krankheiten wie Hepatitis zu schützen, aber auch dem Sog der Kriminalität zu entreißen.

Die neue Praxis, die jetzt offenbar in der Nähe des Hauptbahnhofs angesiedelt werden soll, will ausschließlich Diamorphin ausgeben. Die Behandlung mit diesem reinen Heroin gilt seit einem Beschluss des Deutschen Bundestages im Jahr 2009 in der Suchtmedizin als eine Möglichkeit, Kranken zu helfen, deren Behandlung mit Methadon und anderen Ersatzstoffen nicht zum Erfolg geführt hat. „Die Zahl der Essener Drogenkranken, die für eine Behandlung mit Diamorphin in Frage kommen, liegt bei gerade einmal bei 50 Personen“, sagt Renzel.

Dem Düsseldorfer Mediziner, der derzeit im großen Stil Diamorphin-Praxen in NRW-Städten eröffnet, wird unterstellt, nicht bedarfsgerecht, sondern allein „an der Vergütung orientiert“ zu handeln, so Renzel. Eine Zunahme von Suchtkranken von außerhalb sei in Städten bereits erkennbar, in denen solche Praxen in Hauptbahnhof-Nähe errichtet wurden.

Essens Gesundheitsdezernent fordert mehr Mitentscheidung für Kommunen

Die Stadt Essen habe bereits vor Wochen bei der Bezirksregierung die Errichtung einer eigenen Diamorphin-Ambulanz beantragt. Diese Behörde sowie die Kassenärztliche Vereinigung (KV) entscheiden am Ende darüber, ob der Düsseldorfer Mediziner seine Pläne auch in Essen umsetzen kann.

„Es muss künftig anders als bisher den Kommunen möglich sein, bei der Einrichtung solcher Praxen mitentscheiden zu können“, appellierte Essens Gesundheitsdezernent Renzel bei der Gesprächsrunde in der „Suchthilfe direkt“ am Mittwoch in Richtung des Bundesdrogenbeauftragten Burkhard Blienert (SPD). Der Berliner Politiker ist aktuell in Essen zu Gast; im Rahmen einer Fachtagung der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), die bis zum Wochenende im Haus der Technik tagt.

>>> INFO: Was ist Diamorphin?

  • Diamorphin ist reines Heroin. Im Jahr 2009 hat der Deutsche Bundestag beschlossen, dass es in der Suchtbehandlung eingesetzt werden darf. Als verschreibungspflichtiges Betäubungsmittel kommt es nur bei schwerst Suchtkranken zur Anwendung, die älter als 23 Jahre sind. Diese müssen seit fünf Jahren abhängig sein und zweimal erfolglos behandelt worden sein.

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