Oberhausen. Dr. Nagel ist von dem Erfolg seines neuen Zentrums in Oberhausen überzeugt. Drogen auf Rezept sollen den Süchtigen helfen.
An der Theke des neuen Zentrums in Oberhausen im Eingangsbereich hängt ein Schild, das auf eine 24-stündige Kameraüberwachung hinweist. Das Wartezimmer nebenan ist voll, die Drahtglas-Tür zur Straße geht immer wieder auf: Neue Patienten kommen, um sich hier ein für sie überlebenswichtiges Medikament abzuholen.
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Seit Kurzem gibt es an der Hermann-Albertz-Straße 61 in Oberhausen ein Substitutionszentrum: In der Praxis erhalten Menschen, die von opiathaltigen Drogen (zum Beispiel Heroin) abhängig sind, einen medikamentösen Ersatzstoff. Der habe nicht den berauschenden Effekt von Heroin, erklärt Dr. Robert Nagels, aber das Medikament wirke ansonsten wie die Droge.
Lebenssituation der Drogensüchtigen verbessert sich
Mit dem Unterschied, dass die Ersatzmittel Methadon oder Diamorphin die gesundheitlichen Schäden, die Heroin mit sich bringt, minimierten und die soziale Situation der Süchtigen sich durch die Substitution meist deutlich verbessere, erläutert Allgemeinmediziner Nagels. Denn der Drogenabhängige müsse dann nicht mehr permanent auf der Suche nach dem nächsten Schuss sein, um die Sucht zu befriedigen und Entzugserscheinungen zu bekämpfen.
Der Hausarzt ist der Leiter des neuen Zentrums, das auch aus der Not heraus geboren ist. Denn um die Versorgung der derzeit 410 Patienten aufrechtzuerhalten, die zum großen Teil täglich ihr Methadon bekommen müssen, „müssen wir uns an einem Standort konzentrieren“, sagt Nagels.
Bisher sei die Substitution in Hausarzt-Praxen übers Stadtgebiet verteilt vollzogen worden. Aber die beteiligten Mediziner seien überwiegend im Rentenalter und „die Nachfolge gestaltet sich schwierig“, sagt Robert Nagels (59).
Randale, Ausraster und Ärger mit Nachbarn
Er und sein Kollege Dr. Knut Krausbauer (70), die wie Dr. Christina Ratiu und Dr. Manfred Feldhaus in dem Zentrum arbeiten, machen die Erfahrung, dass der jüngere Ärztenachwuchs weniger bereit ist, in seinen Praxen Ersatztherapien für Suchtkranke anzubieten.
Für diese kassenärztliche Leistung muss der Arzt eine zusätzliche Qualifikation erwerben, um die Genehmigung von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) zur Substitution zu erhalten. Das sei aber nicht der Grund für die Zurückhaltung, sondern eher die Patienten selbst.
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Bei diesen handele es sich durchaus um ein schwieriges Klientel, das in den Praxen nicht gerne gesehen sei, gibt Doktor Nagels zu. Randale, Ausraster und Ärger mit den Nachbarn sind nicht ausgeschlossen. „Aber warum bin ich denn Arzt geworden?“, fragt Dr. Krausbauer. Die Süchtigen seien „Schwerstkranke“, sie zu behandeln gehöre seit 35 Jahren für ihn mit „zum Spannendsten und Erfüllendsten“.
So erreicht man die städtische Drogenberatung
Die 410 Patienten, die das Substitutionszentrum derzeit behandelt, kommen zu einem Drittel aus Duisburg. In der Psychosozialen Betreuung der Fachstelle Substitution der Drogenberatung der Stadt Oberhausen befanden sich 2018 rund 350 substituierte Klienten in Betreuung. Hiervon waren 293 männlich und 57 weiblich.
Die städtische Drogenberatung hat 2018 rund 890 Menschen beraten, die von illegalen Drogen abhängig sind (z.B. Heroin, Kokain, Cannabis). 401 Menschen suchten 2018 Hilfe wegen ihrer Abhängigkeit von legalen Drogen (Alkohol).
Die Drogenberatung ist zum Januar 2020 Teil des Kompetenzzentrums Suchtberatung geworden, Termine nach Vereinbarung: 0208 4092050, offen Sprechstunden gibt’s montags und donnerstags von 8 bis 12 Uhr und von 13 bis 15 Uhr (Dorstener Straße 52, Mail: drogenberatung@oberhausen.de). Die Fachstelle Substitution der städtischen Drogenberatung begleitet Menschen, die an einer Ersatztherapie teilnehmen oder dies wollen, Kontakt: 0208-409205-11, -12, -13.
Das Substitutionszentrum an der Hermann-Albertz-Straße 61 ist telefonisch erreichbar unter 0208-645688.
Die Substitutionstherapie sei für die Gesellschaft positiv, die entstehenden Kosten würden sich allemal rechnen. Einbrüche (Stichwort Beschaffungskriminalität) gingen zurück, Patienten könnten wieder arbeiten gehen, Ehen funktionierten wieder, zählt Krausbauer die Effekte der Ersatztherapie auf. Eine völlig verwahrloste Frau habe nach zwei Monaten unter Substitution wieder angefangen, sich anständig anzuziehen, sich zu pflegen, wieder gegessen, beschreibt der Mediziner ein Beispiel. Dabei sei psychosoziale Betreuung ergänzend zur medizinischen Behandlung enorm wichtig.
Sprechstunde an 365 Tagen im Jahr
Zusätzlich zum neuen Zentrum in der Innenstadt gibt es in Oberhausen nach wie vor Hausärzte, die substituieren, elf sind es nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung. Der Vorteil des Zentrums an der Hermann-Albertz-Straße ist für die Mediziner: Die angeschlossenen Ärzte müssen keine eigene Praxis mehr haben, um die Ersatztherapie durchzuführen. Vorteil für die Patienten: 365 Tage im Jahr hat das Zentrum Sprechstunde.
Um in das Substitutionsprogramm aufgenommen zu werden, muss ein Abhängiger mindestens 18 Jahre alt sein und seit mindestens zwei Jahren opiathaltige Drogen konsumiert haben. In der Einrichtung erhalten sie das Medikament, das sie vor Ort unter Aufsicht einnehmen müssen – um die Einnahme sicherzustellen und illegalen Handel zu unterbinden.
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Verlässliche und stabile Patienten dürfen ihre Dosis zum Teil mit nach Hause nehmen und müssen nicht täglich erscheinen. Regelmäßig werden Urintests durchgeführt, um unerlaubten „Beikonsum“ festzustellen: Alkohol, Heroin, Amphetamine, was zum Ausschluss aus dem Programm führt.
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Nach Erfahrung von Robert Nagels ist eine Ersatztherapie meist lebenslang notwendig. Ob ein Drogen-Entzug nicht sinnvoller wäre? „Entgiftungen, Entzüge – das haben diese Suchtkranken alle schon hinter sich“, sagt Nagels. Wenn das nicht funktioniere, „ist das Substitutionsprogramm unumgänglich“. In dieser Gesellschaft sei Drogensucht „so tief verankert, wo wollen Sie da die Grenze ziehen?“, fragt der Arzt. Dazu, diese Menschen zu behandeln und ihnen zu helfen, gebe es keine menschenwürdige Alternative, so das Team.