Essen. Das Snowdance Independent Filmfestival geht 2023 in Essen an den Start. Der Macher Tom Bohn hat große Pläne für die Filmlandschaft im Ruhrgebiet.

Im Januar, wenn in den Bergen von Utah ordentlich Schnee fällt, feiern sie in der US-amerikanischen Mormonen-Metropole Salt Lake City unter der Leitung von Hollywood-Ikone Robert Redford das Sundance Filmfestival. Die deutsche Antwort auf dieses Kinohappening in molliger Winterbekleidung soll im kommenden Jahr, vom 28. Januar bis 5. Februar, in Essen Premiere feiern – als Snowdance Independent Filmfestival.

Erfinder und Festivalchef ist der renommierte Filmemacher, Autor und „Tatort“-Regisseur Tom Bohn. Essen ermöglicht nach Meinung des gebürtigen Wuppertalers, was in den vergangenen Jahren in Landsberg am Lech schon vorgelebt wurde: Ein Festival der kurzen Wege – mit Kinos wie Lichtburg und Astra in fußläufiger Nachbarschaft, zahlreichen Rahmenveranstaltungen, einem großen Einzugsgebiet und Heimatgefühl für den Festivalmacher. „Ich habe sofort gemerkt: das passt“, sagt Tom Bohn.

Er holt den Indenpendent-Film nach Essen: Filmemacher und Festivalchef Tom Bohn.
Er holt den Indenpendent-Film nach Essen: Filmemacher und Festivalchef Tom Bohn. © Bernd Brundert

2015 hat Bohn das Festival damals gemeinsam mit dem Schauspieler Heiner Lauterbach ins Leben gerufen. Acht Jahre lang trafen sich die Filmschaffenden im Landsberger Stadttheater. Schauspieler wie Til Schweiger, Nora Tschirner, Axel Milberg und viele andere wurden als Special Guests begrüßt. Im Februar dieses Jahres verkündete Bohn den Rückzug. In der Kritik stand zum einen Bayerns sprunghafte Corona-Politik. Nach Ansicht von Bohn war es in der oberbayerischen Kreisstadt aber auch zu eng geworden für das prosperierende Festival, das zuletzt mehr als zwei Dutzend Lang- und etliche Kurzfilme im Angebot hatte; aufgrund der Corona-Pandemie in den vergangenen zwei Jahren aber teils nur online oder in hybrider Form stattfinden konnte.

„Bei uns gibt es keinen Roten Teppich und keine VIP-Lounge“

In Essen soll das Snowdance Festival Anfang 2023 nun wieder richtig Fahrt aufnehmen: innovativ, nachhaltig, international, aber doch bodenständig. „Bei uns gibt es keinen Roten Teppich und keine VIP-Lounge“, erklärt Bohn. Stattdessen stehen die Begegnung und der Austausch von Publikum und Filmschaffenden aus aller Welt im Mittelpunkt. „Hier kann man die Macher treffen.“ sagt der 63-jährige Regisseur, unter anderem bekannt für seine „Tatort“-Folgen mit der Ludwigshafener Kommissarin Lena Odenthal, gespielt von Ulrike Folkerts. Essen sei mit seinem seit Jahren etablierten Filmkunst-Angebot der richtige Standort für einen Neustart: „Wir wollen mit Snowdance dazu beitragen, dass sich die Filmlandschaft im Ruhrgebiet kreativ weiterentwickelt.“

Dass es eine kreative Filmszene gibt, mit interessanten Regisseurinnen und Regisseuren und aufregenden Schauspielerinnen und Schauspielern, die jenseits des Mainstreams für neue Stoffe mit überraschendem Zugriff und neuen Sichtweisen sorgen, das soll das Snowdance Independent zeigen, das sich selbst als das wichtigste deutsche Festival für unabhängige, frei denkende Filmschaffende bezeichnet. Wobei unabhängig nicht zwangsläufig sperrig und kommerziell erfolglos bedeute: „Wir wollen mit der Ansicht aufräumen, dass das keine Publikumserfolge sind“, betont Tom Bohn.

Festivalchef Tom Bohn ist überzeugt: „Es liegt unheimlich viel Kreativität brach“

Der Begriff Independent kommt dabei aus den USA, wo große Filmstudios die Marktmacht haben. In Deutschland ist die Situation eine andere. Dort sorgen Filmförderung und Fernsehsender zumeist für die Finanzierung von Kinoproduktionen. Mit entsprechenden Vorgaben, „nach denen man zu arbeiten hat“, sagt Bohn. Das führe zu einer gewissen Einseitigkeit, „man bekommt den richtigen Rock’n’Roll nicht mehr mit, der möglich ist“, sagt der Regisseur, „es liegt unheimlich viel Kreativität brach.“

In Essen sollen sie nun wieder freitanzen, austauschen, reden, vielleicht nicht im Schnee, aber in den Sälen der Essener Filmkunsttheater, wo Kinochefin Marianne Menze und der 2020 verstorbene Kinobetreiber Hanns-Peter Hüster der Filmkunst seit Jahrzehnten einen besonderen Stellenwert verleihen. Die Zusammenarbeit mit Menze, ihrer Kino-Crew und dem Team der Essen Marketing GmbH sei hervorragend angelaufen. „Wir haben zusammen das Ziel, Snowdance zu einem der größten und interessantesten Filmfestivals in Deutschland zu machen.“ Snowdance zählt dabei schon jetzt auf eine Reihe von Förderern, die dieses vornehmlich aus Eintrittsgeldern und Sponsorenmittel finanzierte Festival in Essen unterstützen.

Die Zuschauer für „Außergewöhnliches begeistern, das es nicht auf Netflix gibt“

Die Filmfest-Konkurrenz zwischen Hof und München, Cottbus und Köln ist dabei nicht gering. Und doch ist Bohn davon überzeugt, dass das Essener Independent-Festival eine Nische besetzt, die gerade in Zeiten zunehmender Streaming-Nutzung wichtig ist. „Wir wollen Menschen dafür begeistern, sich Außergewöhnliches anzusehen, das es nicht auf Netflix gibt“, sagt Bohn.

Der Ruhr-Film-Award

Beiträge aus dem Ruhrgebiet sind gefragt. Das Snowdance Independent Film Festival und die WAZ suchen den besten Film aus dem Ruhrgebiet.

Kurz- oder Langfilme, Doku- und Spielfilme können eingereicht werden, vorausgesetzt, sie spielen größtenteils im Ruhrgebiet oder wurden zumindest zu 50 Prozent dort gedreht.

Mehr Infos unter www.snowdance.net

Eine Snowdance-Academy soll der unabhängigen Filmszene einen weiteren Schub geben. Geplant ist im kommenden Jahr ein Workshop für Schauspielerinnen und Schauspieler, die von unterschiedlichen Profis aus der Film- und Fernsehbranche gecoacht werden.

Zudem wird in Zusammenarbeit mit dieser Zeitung ein eigener Ruhr-Film-Award ausgelobt. Schon jetzt sei die Zahl der Einreichungen hoch. Tom Bohn ist zufrieden mit der bisherigen Resonanz: „Ich hab das Gefühl, dass es hier Leute gibt, die richtig Bock haben, Film zu machen.“