Essen. Theater, Tanz, Musik und ganz viel Gesprächsstoff: Essener Kulturszene startet große Kampagne. Mäßiges Interesse beim Auftakt in der Lichtburg.

Not, so heißt es, macht erfinderisch. Sie schweißt aber auch zusammen. Breit wie nie war denn auch die Riege der Beteiligten, die sich in der Lichtburg zum Auftakt einer stadtweiten Werbeoffensive versammelt hatten. „Back2.Live. Wir feiern die Livekultur“ heißt das Motto der großen Kampagne, mit der sich die Live-Kulturstätten ans Publikum wenden. Die Aktion tut an vielen Bühnen Not. Die Auslastungszahlen sind eingebrochen, die Finanzlage angespannt. Auch beim Eröffnungsabend in der Lichtburg blieb die Besucherschar übersichtlich und machte deutlich, dass der Mobilisationsgrad selbst in den eigenen Reihen noch steigerungsfähig ist.

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Allzu viel zu feiern gibt es momentan also nicht. So wurde es denn auch ein Abend der gemischten Töne. Mal von Optimismus getragen, mal ein wenig zornig über das, was da nach langer Corona-Zwangspause noch alles kommt: Hohe Energiekosten, Inflation, die Sorge vor kommenden hohen Tarifabschlüssen, die vor allem die Finanzplanung der Essener Theater und Philharmonie noch einmal durcheinander wirbeln dürften.

Die Tänzerin Eloisa Mirabassi gehörte zu einer Reihe von Künstlern, die das Back2.Live“-Programm in der Lichtburg gestalteten.
Die Tänzerin Eloisa Mirabassi gehörte zu einer Reihe von Künstlern, die das Back2.Live“-Programm in der Lichtburg gestalteten. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Aber vor allem das, was nicht kommt, macht vielen Sorgen: Das Publikum kehrt weiterhin nur zaghaft in die Häuser zurück. Die Gründe dafür dürften so vielfältig sein wie die Essener Kulturszene, die sich präsentierte – von Aalto-Sopranistin Mercy Malieloa bis zu Tänzerin Eloisa Mirabassi. Kazim Calisgan vom Katakomben-Theater und Musical-Preisträger Michael Ophelders waren ebenso am Programm beteiligt wie „Wildes Holz“-Musiker Tobias Reisige und Raphael Batzik und Aless Wiesemann vom Theater Süd. Die vielen prominenten Menschen, die in den kommenden Wochen dann als Köpfe der Kampagne im Stadtbild plakativ vertreten sein werden, hatten sich allerdings nicht eingefunden. Dabei hätte ein publikumswirksamer Gastauftritt von Ingo Appelt oder Herbert Knebel der Kampagne gerade zum Auftakt mehr Aufmerksamkeit verschaffen können.

Viel Konkurrenz: 20 Prozent der bundesdeutschen Theaterbetriebe sind in NRW angesiedelt

Künstler wie Tobias Reisige von der Band „wildes Holz“ flöten und trommeln gleichzeitig für die gute Sache.
Künstler wie Tobias Reisige von der Band „wildes Holz“ flöten und trommeln gleichzeitig für die gute Sache. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

So wurde es denn vor allem eine Bestandsaufnahme in eigener Sache. Mit verschiedenen Talk-Runden, in denen Akteure von Schauspiel-Intendant Christian Tombeil bis Kulturbeiratsmitglied Hanna Fink, von „Mondpalast“-Betreiber Christian Stratmann bis zu Lars Terlinden vom Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft bei der Wirtschaftsförderung Düsseldorf über die Situation der Kulturschaffenden nach der Pandemie und die Zukunftsaussichten in zehn Jahren sprachen.

Viele unterschiedliche Aspekte wurden da debattiert, die Zauberformel zur Publikums-Rückeroberung wollte aber auch an diesem Abend nicht gefunden werden. Möglicherweise mache sich nicht nur ein verändertes Freizeitverhalten, sondern auch die Konkurrenzsituation der Kulturschaffenden nach der Pandemie deutlicher bemerkbar: Immerhin seien 20 Prozent der gesamten bundesdeutschen Theaterbetriebe in NRW angesiedelt, sagt Marketing-Kenner Lars Terlinden. Andere Erklärung-Angebote für ein gedämpftes Publikumsinteresse wurden auf der großen Lichtburg-Leinwand per Filmeinspieler als Ergebnisse einer Essener Straßenumfrage eingespielt. Die Netflix-Couch-Kombi als Alternative zum Live-Erlebnis blieb dabei nicht unerwähnt.

„Wir haben noch zu viele Codes und Barrieren“

Was tun, um das Gemeinschaftsereignis Kultur doch wieder ins breite Bewusstsein zu rücken? „Familientauglich unterhalten“, lautet die Antwort aus dem Herner Mondpalast, wo man nach Angaben von Theaterprinzipal Christian Stratmann Programm fürs Volk – vom Opa bis zum Enkel – macht. Das Publikum noch persönlicher ansprechen – das hatte nach Angaben von Moderator und Kultur-Journalist Stefan Keim beispielsweise am Theater Bielefeld Erfolg, wo man während der Pandemie viel mit den Besuchern telefonierte und keinen Abonnenten verlor. Oder noch deutlich zugänglicher sein. „Wir haben noch zu viele Codes und Barrieren“, findet Kulturdezernent Muchtar Al Ghusain. Die Häuser müssten offener werden, die Spezialisierung einzelner Institute sei für ihn „nicht unproblematisch“. Mit dem großen Traditionskino Lichtburg als Gastgeber für Essens Musiker, Schauspieler, Tänzer und Ensembles war diesmal gleichwohl ein Angebot für alle gemacht.