Essen-Kettwig. „Spätlese“ heißt das Buch der Essenerin Ingeborg Herdecke. Was die frühere Lehrerin bewogen hat, ihre Kindheit und Jugend im Revier zu erzählen.
Wie sah Kindheit früher aus? Was haben Mädchen und Jungen erlebt in der Nazizeit, im Zweiten Weltkrieg und danach? Ihre persönlichen Eindrücke hierzu hat die Kettwigerin Ingeborg Herdecke, Jahrgang 1930, aufgeschrieben. Daraus ist ein Buch entstanden, das im Hummelshain Verlag in der Reihe „Zeitzeugen“ erscheint.
„Spätlese“ ist es betitelt – und wie bei jenen Weintrauben, die aus Reifegründen ganz zuletzt geerntet werden, ist dieses Buch quasi die Essenz eines reifen Lebens. „Diese Aufzeichnungen sind meinen Kindern und Enkelkindern gewidmet, die das Glück hatten und haben, in einer friedlichen, behüteten Zeit aufwachsen zu dürfen“, stellt die Bewohnerin des Altenheims St. Josefshaus dem Buch voran.
Aktueller Krieg in der Ukraine war Auslöser
„Mich haben der Ukraine-Krieg an so vieles erinnert, was ich selbst erlebt habe. Da habe ich gedacht, ich trage das zusammen“, erzählt sie über ihre Motivation. Damit daraus ein Buch wurde, bedurfte es einiger Gespräche mit Verleger Peter Marx, der Ingeborg Herdecke schließlich überzeugen konnte, das Erlebte allen zugänglich zu machen.
Denn zu erzählen gibt es viel. Von der zunächst unbeschwerten Kindheit, die die kleine Ingeborg in einer Krupp-Siedlung in Holsterhausen verbrachte. Der Vater war Ingenieur, deshalb wohnte die Familie bevorzugt in einem Einfamilienhaus. In der Siedlung fanden Ingeborg und die anderen Kinder viel Raum, sich auszutoben. Eingekauft wurde beim Konsum, sonntags war Ausflugstag, montags wurde gewaschen. Ein bürgerlicher Alltag, der bald vom Krieg überschattet wurde.
Nach dem Krieg herrschte bittere Not
In Episoden schildert sie die Ideologisierung durch die Nazis als Jungmädel, den Krieg mit der Zerstörung des Elternhauses und die Übersiedlung in ein Dorf in Württemberg. Bittere Not herrschte vom Kriegsende bis zur Währungsreform. Eine Zeit, die viele Entbehrungen erforderte, dennoch kann Ingeborg Herdecke auch auf schöne Sommer-Erlebnisse zurückblicken. Das Buch endet 1951, als sie das Abitur absolvierte -- und ihren späteren Mann kennenlernte.
Ingeborg Herdecke: „Spätlese. Kindheit und Jugend in Essen 1930-1951“, 98 Seiten mit Abbildungen, Hummelshain, 12 Euro (ISBN 978-3-943322-477)