Essen-Altendorf. Essen-Altendorf hadert mit seinem Image. Die Geschäftsleute halten dagegen – mit Gastfreundschaft und Aktionen. Ein Zug durch die Gemeinde.

Die Altendorfer Straße in Essen: Sie ist bunt und bleibt dennoch meist unbemerkt – wenn sie nicht gerade in die Schlagzeilen gerät. Bunt, weil sie nach Einbruch der Dunkelheit in vielen Farben zu leuchten beginnt und weil sie die Internationale unter Essens Straßen ist, wo Italien schräg gegenüber von Afghanistan liegt. Unbemerkt, weil die meisten achtlos über sie hinwegbrausen und weil sie als Durchfahrtsstraße letztlich nicht mehr tut, als von Westen her den schnellsten Weg in die Innenstadt – oder aus ihr heraus – zu weisen.

Vor allem auf dem Stück zwischen Haedenkampstraße und Holdenweg ist einiges an internationaler Gastronomie zu finden. Eigentlich ein perfekter Abschnitt, um sich auf wenigen Metern durch ein vielseitiges Angebot zu schlemmen, um am Ende eines genussreichen Abends irgendwo noch auf einen Absacker hängenzubleiben.

Auf der Altendorfer drohen die Lichter auszugehen

Doch nun drohen die bunten Lichter auszugehen. Die Gründe: steigende Nebenkosten, mit denen derzeit viele Unternehmen in Essen zu kämpfen haben, und der mehr als nur angeknackste Ruf des Stadtteils. Um für die Gastfreundschaft des Viertels zu werben, hängen in vielen Altendorfer Schaufenstern derzeit gelbe Plakate mit der Aufschrift „Grüß dich! Merhaba!“ Sie laden ein, einzutreten, einen Tee zu trinken und mit die Geschäftsleute kennenzulernen.

Wir kommen der Aufforderung nach, öffnen die erste Tür und machen den Test. Wenige Minuten später halten wir im „Bamyan Kabab“ einen afghanischen Tee in der Hand. Es ist noch recht früh am Abend, nur wenige Plätze sind besetzt. Nebenan kommt gerade die „Kabul-Platte“ auf den Tisch, ein Gericht für zwei Personen mit Lamm, Hähnchen und Gemüse.

Afghanisch, das sei von persischer und indischer Küche beeinflusst, erklärt Mirwais Adel, vieles komme direkt vom Holzkohlegrill. Seit elf Jahren ist er hier Gastgeber, „aber im Moment stehe ich mit dem Rücken an der Wand“. Nicht nur, dass die Energie teurer wird, auch die Preise im Einkauf machen ihm zu schaffen. „Vor zwei Jahren haben zehn Kilogramm Hähnchen 35 Euro gekostet, heute sind es 65, ich habe aber auch schon 80 bezahlt.“ An die Gäste könne man den Preis nicht einfach weitergeben, der Verlust sei vorprogrammiert. Und: „Allein schon wegen Corona gehen die Leute nicht mehr so viel aus“, sagt Adel. Die Folge: „Früher haben wir mit Weihnachtsfeiern gut verdient. Im Moment haben wir noch nicht eine einzige Reservierung.“

Abdullah und Musa Karakaş machen sich Sorgen um das Überleben ihres Restaurants und Cafés „Tava“ in Altendorf.
Abdullah und Musa Karakaş machen sich Sorgen um das Überleben ihres Restaurants und Cafés „Tava“ in Altendorf. © Schacht 11

Clankonflikt hat die Gäste vertrieben

Ein Gespräch, das sich hier in jedem Laden wiederholen könnte. Ob im Restaurant oder in der Döner-Bude, alle leiden unter der Inflation, sind aber kaum in der Lage, Speisen zu höheren Preisen anzubieten, weil das die Gäste noch mehr abschrecken würde.

Das gilt auch für das türkische Restaurant und Café „Tava“, das zudem 2020 zum wohl ungünstigsten Zeitpunkt eröffnete – zwei Monate später musste Abdullah Karakaş aufgrund der Pandemie schon wieder schließen. Es folgte die Neueröffnung – und die erneute Schließung. Seit Mai 2021 läuft der Familienbetrieb wieder, alles schien gut. Doch dann lieferten sich im Juni dieses Jahres Clan-Mitglieder eine Straßenschlacht direkt vor der Tür des „Tava“. „Die Fassade unseres Hauses war im Fernsehen, in den Zeitungen, auf Internetseiten“, sagt Karakaş und stellt neben den türkischen Tee auch noch einige Leckereien auf den Tisch. „Seitdem werden wir ständig mit der Schlägerei in Verbindung gebracht. Da nützt es nichts, dass wir alles frisch zubereiten und die Gäste von unserer tollen Atmosphäre schwärmen.“

Gastronomen leiden unter gestiegenen Nebenkosten

Draußen ist es mittlerweile dunkel. Es wird Zeit für einen Nachtisch. Exzellente Adresse dafür: das „Burma“. Baklava und Künefe und dazu ein Mokka bilden einen perfekten Abschluss. Cem Meçoĝlu betreibt seine Backstube in Bottrop und beliefert damit drei Filialen. Am 21. Oktober will er mit seinen Gästen sein zehnjähriges Bestehen an der Altendorfer Straße feiern. Auch für ihn haben sich die Kosten für Strom und Zutaten in den vergangenen Monaten verdreifacht. Keine einfache Situation, doch er ist fest entschlossen durchzuhalten.

Der Zug durch die internationalen Küchen im Stadtteil neigt sich dem Ende entgegen. Noch schnell ein kurzer Stopp im „La Marinella“. Hier gibt es Pizza ab drei Euro – mit Geld-zurück-Garantie. Und hier ist die Diskussion zwischen Gastgeber und Gästen ebenfalls im vollen Gange. Die Mieten auf der Altendorfer Straße seien in den vergangenen Jahren stark gestiegen, heißt es. Das sei eben ein Zeichen, dass der Stadtteil populärer wird, behauptet einer. Ein anderer mag dieser These nicht folgen. Auf die Frage, ob Pizza für drei Euro nicht zu billig sei, um überleben zu können, lautet die pragmatische Antwort: „Wir müssen das einfach durchziehen.“

Image soll verbessert werden

Einfach durchziehen. Das Image verbessern. Die Gastronomen und Einzelhändler auf der Altendorfer Straße versuchen dem Trend gegenzusteuern, wollen Angebote und Veranstaltungen in den Stadtteil bringen. Geplant ist unter anderem ein Tag für Studierende, der 25 Prozent Rabatt verspricht.

Am 30. Oktober soll zudem ein „Tag des Zusammenhalts“ gefeiert werden, an dem Suppe und Brot „für eine bessere Zukunft“ geteilt werden. Dafür habe man, sagt Cem Şentürk vom Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung, sogar schon Vertreter von Lokal- und Landespolitik gewinnen können, die vor Ort kellnern wollen. Eine Aktion der Geschäftsleute, die sich jüngst zu einer eigenen Initiative zusammengeschlossen haben. Ihr Ziel: den Stadtteil zu zeigen, so wie er ist. Eben bunt und lebendig.

Ideen sind also vorhanden. Und der Test zeigt: Der Stadtteil sprüht vor Gastfreundschaft. Der Wille, die Altendorfer Straße als das zu erhalten, was sie ist – die Internationale unter Essens Straßen – scheint ungebrochen. Bunt soll sie bleiben. Weil sie anderenfalls irgendwann nur noch eines ist: unbemerkt.