Essen-Huttrop. Das Berufskolleg des Franz-Sales-Hauses in Essen organisierte eine Veranstaltung mit dem Verein „Zweitzeugen“. Schüler reagierten emotional.

  • Das Berufskolleg des Franz-Sales-Hauses und der Verein „Zweitzeugen“ organisierten einen Workshop.
  • Im Mittelpunkt standen Schicksale jüdischer Familien in der NS-Zeit.
  • Den Schülern gingen die Schilderungen sehr nahe.

Ein Projekt gegen Rassismus und Diskriminierung: Mit jüdischem Leben und dem Holocaust beschäftigen sich angehende Sozialassistenten und -assistentinnen am Berufskolleg des Essener Franz-Sales-Hauses. Dort gab es erstmals einen Workshop mit dem Verein „Zweitzeugen“. Die Schüler reagierten auf die Berichte von Holocaust-Überlebenden teils mit Tränen.

Die Schicksale gingen den Berufsschülern, die später Menschen mit Behinderung im Alltag begleiten werden, sehr nahe – zum Beispiel das der jungen Herta, deren Familie in der NS-Zeit deportiert und ermordet wurde. Die Original-Tondokumente der Überlebenden, vom Verein „Zweitzeugen“ verschriftlicht und mit Bildern und Karten versehen, beeindruckten die jungen Zuhörer sehr.

Essener Schülern kamen bei den Berichten der Holocaust-Überlebenden die Tränen

„Es gab Tränen, vor allem bei Schülerinnen und Schülern, deren Familien einen Fluchthintergrund haben“, berichtet Svenja Frings, Lehrerin am Berufskolleg des Franz-Sales-Hauses. Die Schüler konnten im Rahmen des Workshops Briefe an die Überlebenden beziehungsweise deren Nachfahren schreiben und darin ihre Gefühle ausdrücken.

Einige wünschten sich, dass ihnen schon früher die Thematik auf solch eindringliche Weise vermittelt worden wäre. Die Interviews mit den Holocaust-Überlebenden hatten sie sehr berührt. „Kein Geschichtsbuch konnte uns das Wissen, das wir heute erhalten haben, so gut vermitteln“, so ihre Einschätzung.

„Zweitzeugin“ Romina Leiding berichtete im Berufskolleg des Franz-Sales-Hauses über das Schicksal von Herta, deren Familie von den Nationalsozialisten deportiert wurde.
„Zweitzeugin“ Romina Leiding berichtete im Berufskolleg des Franz-Sales-Hauses über das Schicksal von Herta, deren Familie von den Nationalsozialisten deportiert wurde. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Die Lehrerin unterrichtet Politik, Religion und Englisch, hat sich in Sachen „interreligiöser Dialog“ weitergebildet. „Jeder von uns kennt Menschen muslimischen Glaubens, aber kaum jemand kennt jemanden, der offen seinen jüdischen Glauben lebt“, hat sie beobachtet. Dabei spiele sicherlich auch Angst vor gesellschaftlicher Diskriminierung eine Rolle. Sie erfahre immer wieder, wie viele Jugendliche nichts mit dem Begriff Holocaust anfangen könnten. Deshalb seien Projekte wie dieser Workshop ihrer Meinung nach extrem wichtig, um Antisemitismus in der Gesellschaft entgegenzuwirken.

Berufsschule am Franz-Sales-Haus

Das Berufskolleg auf dem Gelände des Franz-Sales-Hauses an der Steeler Straße in Huttrop befindet sich im selben Gebäude wie die dortige Förderschule für Menschen mit geistiger Behinderung.

Im Berufskolleg werden Heilerziehungspflegerinnen und -pfleger ausbildet, die nach einer dualen Ausbildung Wohngruppen für Menschen mit Behinderung leiten werden. Zudem werden dort Sozialassistenten und -assistentinnen geschult, die die Bewohner im Alltag betreuen.

„Mit jedem Hakenkreuz, das ich an einer Wand sehe, mit jeder antisemitischen Tat, von der wir in den Medien erfahren, wird mir klar, dass wir Menschen von heute einen Auftrag haben: Wir können nichts ungeschehen machen, aber wir können für das Heute und das Morgen sorgen. Mit jedem Menschen, der zum ,Zweitzeugen’ wird, stärken wir die Zivilcourage, sich für das Gute und Richtige einzusetzen und Diskriminierung jedweder Art zu stoppen“, so die Lehrerin.

Workshop ist nur ein Baustein des Projekts zum Thema Judentum

Für sie ist der Workshop nur ein Baustein, den Berufsschülerinnen und -schülern das Judentum nahezubringen. Sie wünscht sich mehr interreligiöse Begegnungen, Führungen durch die Synagoge, vielleicht die Teilnahme an einem jüdischen Fest. Kontakte zur jüdischen Gemeinde habe sie bereits aufgenommen. Eine Spurensuche im benachbarten Steele, wo es früher eine jüdische Grundschule und eine Synagoge gab und wo bis heute vieles an das damalige jüdische Leben erinnert, habe sie bereits mit den Schülern unternommen.

Das Franz-Sales-Haus ist eine katholische Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung. „Ein solcher Workshop ist gerade hier wichtig, weil Menschen mit Behinderung ebenfalls besonders von Diskriminierung bedroht sind“, findet auch Valeska Ehlert, Sprecherin der Einrichtung. Deshalb sei es wichtig, das Bewusstsein zu schärfen und eine offene, vorurteilsfreie Haltung bei Menschen zu fördern, die in der Behindertenarbeit tätig seien.

„Zweitzeugen“ geben Erinnerungen von 37 Zeitzeugen weiter

Der vom Land geförderte Workshop fand in Zusammenarbeit mit dem Verein „Zweitzeugen“ statt. Dieser war vor gut zehn Jahren aus einem studentischen Projekt entstanden. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Erinnerungen und Berichte von Holocaust-Überlebenden in Wort, Bild und Ton aufzubereiten und auch nach deren Tod zu erhalten und zum Beispiel an Schüler weiterzugeben. Die Erinnerungen von 37 Zeitzeugen konnten so bereits gesichert werden.

Den Workshop im Berufskolleg leitete Romina Leiding, die hauptberuflich als „Zweitzeugin“ unterwegs ist. „Es ist toll, dass die Schüler das Thema so offen annehmen und sich kritisch damit beschäftigen“, resümierte sie nach dem Workshop, an dem angehende Sozialassistenten teilnahmen, die später in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, in Kindergärten, Wohneinrichtungen, im Freizeitbereich oder in Werkstätten die Begleitung und Förderung übernehmen.