Essen. Zwischenbilanz der Arbeitsagentur Essen: Es gibt noch viele freie Lehrstellen in fast allen Branchen. Drei Fakten zum Essener Ausbildungsmarkt.
Fast ein Drittel der gemeldeten Stellen in der Dualen Ausbildung auf dem Essener Arbeitsmarkt ist noch nicht besetzt. Bewerberinnen und Bewerber, die jetzt auf der Suche sind, haben in nahezu sämtlichen Branchen noch gute Chancen. Das berichtet Andrea Demler, Chefin der Essener Agentur für Arbeit: „Der Zug für dieses Jahr ist noch lange nicht abgefahren, man muss nur einsteigen.“
Die Agentur für Arbeit zog am Freitag eine Zwischenbilanz des laufenden Ausbildungsjahres 2021/22. Von den gemeldeten 3195 Lehrstellen sind 933 noch nicht besetzt. Bewerbungen sind vielerorts noch möglich. Die landläufige Meinung, dass Anfang August die Würfel für das gesamte Jahr gefallen sind, erweist sich zunehmend als haltlos.
Bei näherer Betrachtung des Essener Ausbildungsmarktes lassen sich drei Thesen formulieren, die zwar nicht neu, aber immer bedeutsamer werden.
1. Medizinische Helferberufe sind kaum gefragt
Auf Platz 1 der Liste unbesetzter Lehrstellen: Knapp 100 offene Ausbildungsplätze gibt es noch für das Berufsbild „Zahnmedizinische/r Fachangestellte/r“, also die klassische Zahnarzthelferin (der Job ist fast zu 100 Prozent weiblich).
Womöglich liegt’s daran, dass die Arbeit durchaus körperlich fordernd ist – man steht den ganzen Tag.
Auch die Arzthelferin oder der Arzthelfer in einer normalen Hausarztpraxis, also der oder die „Medizinische Fachangestellte“ ist wenig nachgefragt: 63 Jobs sind derzeit allein in Essen noch offen.
Im Handwerk ist die Branche „Sanitär, Heizung, Klimatechnik“ händeringend auf der Suche nach Azubis – 24 vakanten Stellen stehen allerdings 16 registrierte, suchende Bewerber gegenüber.
Da drängt sich die Frage auf: Wieso kommen Bewerber und Betrieb nicht zusammen? „Vor allem kleine Betriebe, die man bei ,Google’ nicht findet, haben es schwer, viele bekommen keine einzige Bewerbung“, berichtet Andrea Demler. Ihr Haus hat ein neues Veranstaltungsformat eingerichtet, bei dem bislang erfolglose Bewerber auf kleine Firmen treffen, die dringend suchen. Bedingung: Es wird nicht in die Unterlagen geschaut, sondern man lernt sich erst mal kennen. „Dieses Zusammenbringen ist aufwendig, aber lohnt sich“, berichtet Andrea Demler. Nach drei Veranstaltungen kamen 30 Ausbildungsverträge zusammen. „Junge Menschen haben viele persönliche Stärken, sind im Gespräch viel überzeugender, als es ein Bewerbungsschreiben je vermitteln könnte.“
2. Die Zahlen werden wieder besser, sind aber noch nicht auf Vor-Corona-Niveau
Bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) wurden bislang 1857 Lehrverträge unterzeichnet, das ist ein sattes Plus von 18,4 Prozent im Vorjahresvergleich. „Die Zahlen sind sehr erfreulich, und die Betriebe sind weiter auf der Suche. In keiner Branche ist das Ende der Fahnenstange erreicht“, sagt Franz Roggemann, Bereichsleiter bei der IHK. Auch das Handwerk meldet mehr abgeschlossene Verträge: Von 5,7 Prozent Zuwachs spricht Wolfgang Dapprich, der Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft. Doch die Zahlen täuschen nicht über zwei Tatsachen hinweg: Vor Corona (2019) gab es 3258 gemeldete Lehrstellen in Essen, jetzt sind immer noch mehr als 60 weniger. Und das alte Problem besteht weiterhin: Nur 18,6 Prozent aller Firmen bilden überhaupt aus. „Dabei dürfen wir keinen Jugendlichen zurücklassen“, betont Dieter Hillebrand, Geschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Essen.
3. Junge Leute verlieren viel Zeit
Das Durchschnittsalter der Lehrlinge bei Ausbildungsbeginn ist – nicht nur in Essen – deutlich über 20. Die alte Vorstellung, dass jemand nach der Realschule mit 16 direkt als Lehrling in einem Betrieb anfängt, ist lange überholt. „Viele drehen unsinnige Schleifen, machen Abi, fangen ein Studium an – und brechen ab“, sagt Thomas Mikoteit, Abteilungsleiter im Job Center Essen. „Viele glauben, ohne Abi und Studium weniger wert zu sein“, ergänzt Handwerks-Chef Wolfgang Dapprich. Dabei weisen alle Beteiligten darauf hin, dass ein gelernter Facharbeiter locker mindestens das gleiche oder mehr verdient als jemand, der sechs Semester studiert und mit dem „Bachelor“ abgeschlossen hat. „Es ist äußerst wichtig, Jugendlichen und Eltern aufzuzeigen, dass eine Ausbildung ein hochwertiger Abschluss ist und bleibt, vor allem ein Abschluss mit großen Perspektiven und guten Verdienstmöglichkeiten“, sagt Andrea Demler.
Infos für Jugendliche: 0201 1811234, E-Mail: Essen.Berufsberatung@arbeitsagentur.de