Essen. In Essen sind deutlich mehr Ausbildungsplätze unbesetzt als im vorigen Jahr. Sind die Unternehmen zu wählerisch, oder woran liegt das?

In wenigen Wochen beginnt das neue Ausbildungsjahr. Doch viele Unternehmen in Essen haben bislang vergebens nach Auszubildenden gesucht. Viele Lehrstellen drohen somit auch in diesem Jahr unbesetzt zu bleiben.

Die Arbeitsagentur wird am Donnerstag aktuelle Zahlen für Juni vorlegen. Schon jetzt ist klar: Die Lage bleibt angespannt. Laut Stephanie Hermann, Geschäftsführerin Operativ bei der Arbeitsagentur, waren bis Ende Juni elf Prozent mehr Ausbildungsplätze offen als zum gleichen Zeitpunkt im vergangenen Jahr.

Je näher der Ausbildungsbeginn aber nun rückt, desto mehr wächst die Verzweiflung in den betroffenen Unternehmen. Ein Beispiel ist das Essener Varieté-Theater GOP. Direktorin Nadine Stöckmann hat momentan noch drei Ausbildungsstellen zu vergeben. Sie sucht einen angehenden Koch bzw. eine Köchin, eine Restaurantfachkraft und einen Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement. Gerade einmal neun Bewerbungen gab es für diese Stellen, für den Koch/die Köchin gar keine. „Das ist dieses Jahr extrem“, meint Stöckmann.

GOP: Work-Life-Balance wird wichtiger

Gesucht hat das GOP über Jobportale, die Arbeitsagentur, Social Media und über Zeitungsanzeigen. Auch die Anforderungen an die Bewerber habe man längst nach unten geschraubt – für den Bürojob allerdings sollte es mindestens ein Realabschluss sein und wenigstens eine Drei in Mathe auf dem Zeugnis stehen. Im Restaurant und in der Küche dagegen komme es eher darauf an, wie sich die Bewerber beim Probearbeiten geben, sagt Nadine Stöckmann.

Nadine Stöckmann, Direktorin des Variete-Theaters GOP in Essen, würde gerne noch drei Azubis einstellen, findet aber keine geeigneten Bewerber.
Nadine Stöckmann, Direktorin des Variete-Theaters GOP in Essen, würde gerne noch drei Azubis einstellen, findet aber keine geeigneten Bewerber. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Warum das dennoch alles nicht genutzt hat? Die GOP-Chefin glaubt, dass es manchen Bewerber abschreckt, dass im Theater vor allem abends und am Wochenende gearbeitet wird. „Die Work-Life-Balance ist heute wichtiger ist als noch vor zehn Jahren.“ Möglicherweise, so mutmaßt man im GOP, hat auch Corona dazu beigetragen, dass die Kulturbranche als Arbeitgeber nun weniger attraktiv erscheint, weil sie sich nicht als krisenfest erwiesen hat. „Ich bin ein Stück weit ratlos“, räumt die Direktorin ein.

16 angehende Azubis bei der Sparkasse springen wieder ab

Bei der Sparkasse unterdessen glaubte Ausbildungsleiter Christoph Höing noch bis vor kurzem, alle 35 Ausbildungsverträge unter Dach und Fach zu haben. Doch in den vergangenen Wochen gaben 16 junge Leute der Sparkasse einen Korb, noch bevor die Ausbildung am 1. August überhaupt begonnen hat. Dass Bewerber abspringen, ist zwar nichts Ungewöhnliches. „Doch in diesem Jahr sind das deutlich mehr als in den Vorjahren“, muss Höing feststellen.

Warum die Sparkasse für viele dann doch nur Plan B war? Über die Gründe kann der Ausbildungsleiter nur spekulieren: Manche wollten wohl doch lieber auf der Schule bleiben und machen noch Abitur, andere haben die Zusage für ein Studium bekommen, andere zogen einen Ausbildungsplatz in Wohnortnähe vor.

Wie in vielen Unternehmen haben auch bei der Sparkasse die Bewerbungen deutlich abgenommen. In diesem Jahr interessierten sich 552 Jugendliche für eine Banklehre dort. Das sind zwar Zahlen, von denen viele Unternehmen träumen, und doch waren es fast 300 weniger als vergangenes Jahr. „In der Vergangenheit haben wir unseren Personalbedarf immer über Ausbildung gedeckt, dass aber wird schwieriger“, sagt Höing.

Sparkasse bemüht sich noch um weitere Bewerber

Die Voraussetzungen, die die Sparkasse verlangt, klingen dabei nicht überzogen: Der Abi-Schnitt muss mindestens 3,5 betragen, der Realschulabschluss darf nicht schlechter als 3,0 sein – wobei allerdings die Noten in Kunst, Religion, Musik und Sport nicht mitgezählt werden. Selbst eine Fünf in Mathe ist laut Höing kein Ausschlusskriterium. Auch bei den Einstellungsfragen, die die Bewerber schriftlich beantworten, drückt die Sparkasse längst die Augen bei Rechtschreibfehlern zu. Fehlerfreie Schreiben seien heute ohnehin die Ausnahme, so Höing. „Wenn es allerdings auf 20 Fehler zugeht, dann muss man sich schon fragen, wie es mit der Sorgfalt generell aussieht.“

Bis Mitte nächster Woche nimmt die Sparkasse noch Bewerbungen für dieses Ausbildungsjahr an. „Wir werden bis zur letzten Minute strampeln“, sagt Höing.

Trimet senkt Anforderungen in Azubi-Tests

Nils Goldau macht beim Aluminiumhersteller Trimet eine Ausbildung zum Industriemechaniker. Zum 1. August kommen bei Trimet in Essen 18 neue Auszubildende hinzu.
Nils Goldau macht beim Aluminiumhersteller Trimet eine Ausbildung zum Industriemechaniker. Zum 1. August kommen bei Trimet in Essen 18 neue Auszubildende hinzu. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Die Aluhütte Trimet dagegen hat alle 18 Lehrstellen besetzen können. Allerdings scheint auch das längst nicht mehr selbstverständlich. Rund 300 Bewerbungen gab es dieses Jahr für die 15 Plätze im gewerblich-technischen Bereich. In Spitzenzeiten kratzte der Industriebetrieb an der 1000er-Marke.

Während die Schulnoten bei der Auswahl keine Rolle spielen, müssen sich die Bewerber einem Einstellungstest unterziehen. Ausbildungsleiter Timo Koesling beobachtet, dass die Ergebnisse jedes Jahr um etwa fünf Prozent schlechter ausfallen. Entsprechend habe Trimet die Anforderungen stetig zurückgeschraubt. „Wir gehen das Wagnis ein, auch wenn das bedeutet, dass wir immer mehr in Ausbildung investieren müssen“, unterstreicht Vorstand Andreas Lützerath. Unter anderem hat die Trimet ehemalige Berufsschullehrer mit an Bord, die sich um Azubis kümmern, denen die Ausbildung schwerer fällt.

Stephanie Hermann von der Arbeitsagentur glaubt, dass Unternehmen, die ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen können, dem Beispiel Trimet folgen sollten und die Anforderungen zurückschrauben müssen. Das allerdings sehen Unternehmen auch kritisch. „In bestimmten Berufen mit hohen Anforderungen geht das nicht“, betont Manuela Osterholt, Ausbildungsleiterin beim Entsorgungsunternehmen EBE. Außerdem sei niemanden damit gedient, wenn der Azubi am Ende der Ausbildung ohne Abschluss dasteht. „Dann lasse ich die Ausbildungsstellen lieber unbesetzt“, sagt sie.