Essen-Stadtwald. Die Waldorfschule in Essen-Stadtwald wird 50: Das Konzept hat Freunde und Kritiker. Weil der Zulauf groß ist, plant man jetzt einen Neubau.

  • Die Waldorfschule in Essen-Stadtwald wird 50.
  • Der Zulauf ist so groß, dass die Schule einen Neubau plant.
  • Das Konzept der Schule ist umstritten.

Vor über 100 Jahren wurde die erste Waldorfschule gegründet, die einzige Freie Waldorfschule in Essen, genauer gesagt die Rudolf-Steiner-Schule, als Teil des Gesamtensembles, wird jetzt 50. Gefeiert wird am Samstag, 27. August. Die Anmeldezahlen übersteigen laut Vorstandsgremium seit Jahren die Zahl der Plätze. Daraus zieht die Schule in Stadtwald jetzt Konsequenzen.

Die Einrichtung an der Schellstraße 47 orientiert sich an den Grundsätzen des Philosophen Rudolf Steiner. Erstmals in ihrer Geschichte ist der erste Jahrgang in diesem Sommer zweizügig gestartet. „Wir werden jetzt jeweils zwei Eingangsklassen haben, wir starten in eine neue Ära“, erklärt Daniel Horstkotte, seit März 2021 Geschäftsführer der Rudolf-Steiner-Schule.

Die Waldorfschule in Essen hat in diesem Jahr erstmals zwei Eingangsklassen

Rund 100 Anmeldungen pro Jahrgang bei jetzt 27 Plätzen pro Klasse zeigten das Interesse der Eltern. „Bei uns steht das freie Denken, aber auch das physische Erleben, Singen, Tanzen und Musizieren, aber auch Bewegung in der Natur im Mittelpunkt“, erläutert Daniel Horstkotte das pädagogische Konzept der Schule. Die Kinder sollen die Welt im Wortsinn begreifen, ihre Umgebung haptisch erleben. Dazu gehören künstlerische Aktivitäten, Aktionen im Wald, aber auch der Anbau von Obst und Gemüse.

Lehrkräfte, Eltern und Schüler begreifen sich als Teil einer großen Familie, viele Ehemalige kehren später als Lehrer zurück oder melden ihre Kinder an der Waldorfschule an – oft schon gleich nach der Geburt, um die Chance auf einen Platz zu erhöhen, weiß Lehrer und Vorstandsmitglied Bernd Eckhardt aus Erfahrung.

Um die Tomaten im Gewächshaus der Waldorfschule kümmern sich Heinrich (l.) und Lotta.
Um die Tomaten im Gewächshaus der Waldorfschule kümmern sich Heinrich (l.) und Lotta. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Die Rudolf-Steiner-Schule umfasst die Klassen 1 bis 13, bis zum Ende der Schullaufbahn bleiben die Schüler im Klassenverband. Im Zuge der neuen Zweizügigkeit wurde die Anzahl der Schüler von 36 auf 27 reduziert, um eine noch intensivere Betreuung der Kinder zu ermöglichen, so Horstkotte. Bei der Anmeldung würden Geschwister und Kinder bevorzugt, die bereits den Waldorfkindergarten besucht hätten.

Ab jetzt wird die Waldorfschule jedes Jahr um eine Klasse wachsen. „In den ersten zwei, drei Jahren wird das noch gehen“, sagt Charlotte Oberg, ehemalige Schülerin und seit 34 Jahren als Bio- und Chemielehrerin an der Schule. Derzeit liefen die Planungen für einen Neubau auf dem 65.000 Quadratmeter großen Schulgelände. „Wir würden dann gern eine zusätzliche Sporthalle und eine Mensa bauen“, sagt der Geschäftsführer. Bisher werde für die Schüler im Offenen Ganztag und die Parzival-Schule das Mittagessen angeliefert.

Die erste Waldorfschule wurde 1919 in Stuttgart gegründet

Sämtliche Klassenlehrer müssen eine fünfjährige Ausbildung zum Waldorflehrer durchlaufen. Die Fachlehrer haben oft ein normales Lehrerstudium hinter sich oder kommen als Quereinsteiger aus ihren Fachbereichen an die Schule. Geleitet wird die Waldorfschule von einem Gremium, die Finanzierung erfolgt als sogenannte „staatlich refinanzierte Ersatzschule“ zu 89 Prozent vom Land, erklärt Charlotte Oberg. Für die Eltern fallen Beiträge an, zudem wird Mitarbeit, zum Beispiel bei der Pflege des Gartens, erwartet.

Festakt und Sommerfest

Alle drei Schulzweige der Freien Waldorfschule Essen an der Schellstraße 47 laden für am Samstag, 27. August, 12 bis 17 Uhr, zum Sommerfest auf das weitläufige Gelände ein.

Für Kinder gibt es zahlreiche Attraktionen zum Mitmachen. Interessierte haben die Möglichkeit, die Schule kennenzulernen und mit Eltern bei Kaffee und Kuchen ins Gespräch zu kommen.

Der Festakt im Theatersaal mit Oberbürgermeister Thomas Kufen beginnt um 11 Uhr.

Die Schule in Stadtwald steht in einer langen anthroposophischen Tradition. Die erste Waldorfschule wurde 1919 von Rudolf Steiner in Stuttgart gegründet, ursprünglich für Kinder der Mitarbeitenden der Zigarettenfabrik Waldorf-Astoria. Insgesamt gibt es weltweit rund 1000 Waldorfschulen, in Deutschland 250 plus rund 600 Waldorfkindergärten.

Freuen sich auf das Fest zum 50-jährigen Bestehen der Rudolf-Steiner-Schule: (v.l.) Kyra Lübeck, Daniel Horstkotte, Bernd Eckhardt, Charlotte Oberg, Klassenlehrerin Michelle Wulf und Sportlehrer Noel Fiener.
Freuen sich auf das Fest zum 50-jährigen Bestehen der Rudolf-Steiner-Schule: (v.l.) Kyra Lübeck, Daniel Horstkotte, Bernd Eckhardt, Charlotte Oberg, Klassenlehrerin Michelle Wulf und Sportlehrer Noel Fiener. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

In Essen besuchen heute 460 Schülerinnen und Schüler die Rudolf-Steiner-Schule, 140 die angegliederte Parzival-Förderschule und 80 den Heliand-Zweig für Kinder mit geistiger Behinderung. 1972 war die private Lehrer-Elterninitiative mit Pavillons für fünf Klassen auf der grünen Wiese in Stadtwald gestartet, erinnert sich Schulsekretärin Kyra Lübeck.

Jeder Schüler lernt nach seinem individuellen Rhythmus

„Im Mittelpunkt steht das Wachsenlassen. Bei uns werden die Schüler nicht in vier Jahren zu gymnasialen Reife gezwungen, sie müssen den Stoff nicht in einer bestimmten Zeit geschafft haben. Jeder kann im eigenen Rhythmus lernen“, erläutert Charlotte Oberg das Konzept. Kritiker bezeichnen es oft als wenig realitätsbezogen und leistungsorientiert, Befürworter dagegen als individuell und am Menschen orientiert. Wenn jemand nicht mitkomme, müsse man besonders auf den jeweiligen Schüler eingehen, betont die Lehrerin.

Der Lehrplan werde flexibler als an Regelschulen ausgelegt, den Inhalt von Klassenarbeiten und Klausuren legten die Lehrkräfte nach ihren Unterrichtsinhalten fest, die sich nicht gravierend von denen anderer Schulen unterschieden, aber manchmal den Stoff in anderer Reihenfolge vermittelten. „Nach unserer Überzeugung sind alle Fähigkeiten in den Menschen angelegt, es ist die Kunst der Lehrer, das aus den Kindern herauszuholen“, ergänzt Bernd Eckhardt. Am Ende der Schullaufbahn stehe dann sehr selten der Haupt- oder Realschulabschluss oder in den meisten Fällen das normale Zentralabitur. Aus einer ersten Klasse mit 36 Schülern und Schülerinnen würden im Schnitt rund 25 Kinder am Ende mit dem Abitur die Waldorfschule verlassen.