Essen. Auch nach über eineinhalb Jahren sind nicht alle Randalierer von Altenessen zweifelsfrei überführt. Bewegungsgutachten ist die letzte Hoffnung.
In dem scheinbar nicht enden wollenden Strafverfahren nach der schlagzeilenträchtigen Silvester-Randale vor mehr als eineinhalb Jahren in Essen-Altenessen wähnt sich so mancher Beobachter schon seit längerem im falschen Film. Nach etlichem Hin und Her zwischen Strafverfolgern und Richtern hat die Polizei nun einen ganz neuen Streifen vor sich, in dem die Justiz jetzt Regie führt.
Da rund die Hälfte der acht von der Staatsanwaltschaft wegen schweren Landfriedensbruchs angeklagten Beschuldigten noch immer nicht gerichtsfest identifiziert werden konnten, soll’s nun ein Bewegungsgutachten richten - wie beim KaDeWe-Millionenraub in Berlin oder zur Überführung des damaligen Reemtsma-Entführers Thomas Drach mit seinem angeblich unverkennbaren Watschelgang.
Wann die Klappe fällt bei der Polizei für den neuen Dreh in den Ermittlungen, ist noch nicht raus. Sicher aber ist: Der Behörde an der Büscherstraße liegt seit wenigen Tagen eine Anordnung der Gerichtsbarkeit vor, Bewegtbilder von denjenigen mutmaßlichen Tätern zu liefern, die nach Überzeugung der Ermittler zwar ausreichend belastet, aber aus Sicht der zuständigen Kammer am Landgericht bislang nicht so weit überführt sind, um die Anklagen gegen sie zuzulassen.
Zum Drehort der Polizei antanzen
Auch wenn es abgedreht klingt: Die Gutachterin, die die Bewegungen der jungen Männer auf ihren Handy-Videos aus der Krawallnacht analysieren will, benötigt dazu objektives Film-Material, das zuordnungsfähig in jedem Einzelfall verglichen werden kann. Wann die Beschuldigten zum Drehort der Polizei antanzen müssen, ist noch nicht klar. Der zuständige Beamte und damalige Leiter der Ermittlungskommission, die sich auf die Spur der Randalierer gemacht hat, befindet sich derzeit im Urlaub.
Wie Landgerichtssprecher Thomas Kliegel erklärte, sei das Bewegungsgutachten, das von dem Sachverständigen vorgeschlagen worden war, nachdem es ihm nicht gelungen war, die Täter zu identifizieren, so etwas wie der rettende letzte Strohhalm, der wohl finale Versuch, alle an den Sachbeschädigungen Beteiligten doch noch auf die Anklagebank bringen zu können.
Sollte auch dieses Unterfangen zur zweifelsfreien Identifizierung der Täter ins Leere laufen und die Gruppe derer, die letztlich auf der Anklagebank landet, aufgrund eines Mangels an Beweisen um nahezu die Hälfte schrumpfen, hat das wiederum Auswirkungen auf den Umfang des Prozesses.
Ein Brandbrief des Oberbürgermeisters
Das Amtsgericht hatte das Verfahren wegen der Vielzahl der zu erwartenden Angeklagten an das Landgericht verwiesen. Bleibt letztlich nur ein Bruchteil davon über, dürfte die ganze Sache wieder retour gehen.
Während die Justiz faktische Gründe betonte, die die Strafe für die jungen Beschuldigten alles andere als auf dem Fuße folgen lassen konnten, hatte Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen einen Zuständigkeitsstreit zwischen Amts- und Landgericht ausgemacht und einem Brief an den NRW-Justizminister beklagt: „Die Justiz bietet genau das Bild, das es unter allen Umständen zu vermeiden gilt.“
Dass es bei nachgewiesener Täterschaft zu Verurteilungen kommen sollte, darüber dürfte Konsens bestehen, die Beurteilungen des verfahrenen Verfahrens allerdings könnten unterschiedlicher kaum sein. Während Kufen die Arbeit der Polizei Essen in seinem Schreiben als „zügig und hochprofessionell bezeichnete, hielt das Landgericht „die bisherigen Ermittlungen für unzureichend“ und den Tatverdacht gegen Beschuldigte „für nicht hinreichend“.