Essen. Krawalle in Altenessen: Bislang gibt es keinen hinreichenden Tatverdacht gegen die Hälfte der Beschuldigten aus der Silvesternacht 2020/2021.

Fast eineinhalb Jahre ist es nun her, dass Jugendliche mit ihrer Randale in der Silvesternacht Schlagzeilen und Schäden in Essen-Altenessen hinterließen und noch immer ist nicht klar, wer von den acht Beschuldigten wann vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden kann. Gut möglich sogar, dass der ein oder andere der zur Tatzeit 17- bis 22-jährigen Verdächtigen am Ende ganz ungeschoren davonkommt.

Der Ruf nach zügiger und konsequenter Bestrafung derjenigen, die sich mit ihren Taten via Videos in den sozialen Netzwerken brüsteten, war in den ersten Wochen des neuen Jahres laut, der öffentliche Druck entsprechend groß und eine achtköpfige Gruppe vergleichsweise flott ausgemacht. Im Juni hatte die Staatsanwaltschaft Anklage wegen schweren Landfriedensbruchs erhoben.

„Schnelle Ermittlungen auf Kosten der Tiefe“

Doch das, was Landgerichtssprecher Thomas Kliegel als „schnelle Ermittlungen auf Kosten der Tiefe“ bezeichnet, stellt die Justiz auf der Zielgeraden des Verfahrens vor große Probleme. Denn die zuständige Kammer sieht den hinreichenden Tatverdacht gegen zumindest drei bis vier mutmaßlich Beteiligte nicht gegeben. Das genaue Gegenteil davon sei allerdings unbedingte Voraussetzung, um die Anklage überhaupt zulassen zu können, macht Kliegel deutlich.

Um Gewissheit zu bekommen, sollte zuletzt ein Gutachter die an dem Gewaltausbruch Beteiligten mittels der vorliegenden Videoaufnahmen zweifelsfrei identifizieren. Doch der warf das Handtuch. Anhand der Bilder könne niemand überführt werden. Die Justiz nahm einen zweiten Anlauf: Eine weitere Expertin soll auf Basis physischer Merkmale ein Bewegungsgutachten der jungen Männer erstellen, gegen die nicht genügend belastende Zeugenaussagen vorliegen.

Ob dies von Erfolg gekrönt sein wird, steht noch in den Sternen. Bislang liegen dem Landgericht keine Erkenntnisse dieser Analyse vor. Vielleicht werde der Sachverständigen noch eine Abschlussfrist gesetzt, heißt es.

Auch Auswirkungen auf den Umfang des Prozesses

Sollte auch dieser weitere Versuch einer zweifelsfreien Identifizierung der Täter ins Leere laufen und die Gruppe derer, die letztlich auf der Anklagebank landet, aufgrund eines Mangels an Beweisen um nahezu die Hälfte schrumpfen, hat das wiederum Auswirkungen auf den Umfang des Prozesses. Das Amtsgericht hatte das Verfahren wegen der Vielzahl der zu erwartenden Angeklagten an das Landgericht verwiesen. Bleibt nur ein Bruchteil davon über, dürfte die ganze Sache wieder retour gehen.

Während die Justiz faktische Gründe betonte, die die Strafe für die jungen Beschuldigten alles andere als auf dem Fuße folgen lassen könnten, hatte Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen einen Zuständigkeitsstreit zwischen Amts- und Landgericht ausgemacht und einem Brief an den NRW-Justizminister beklagt: „Die Justiz bietet genau das Bild bietet, das es unter allen Umständen zu vermeiden gilt.“

Unterschiedlicher können die Einschätzungen kaum sein

Zum einen bestehe die berechtigte Erwartungshaltung der Menschen nach einer Aufklärung der Taten und einer Verurteilung der in einem Strafverfahren überführten Täter, so der OB. Zum anderen sei mit Blick auf die jungen Beschuldigten zeitnahe Sanktionen „unbedingt notwendig, um eine nachhaltige Verhaltenskorrektur zu gewährleisten“, hieß es in dem Brief an Biesenbach.

Kufen bezeichnete die Arbeit der Polizei Essen als „zügig und hochprofessionell“, das Landgericht aber hielt „die bisherigen Ermittlungen für unzureichend“ und den Tatverdacht gegen Beschuldigte „für nicht hinreichend“. Unterschiedlicher können Einschätzungen nach derartigen Krawallen wohl kaum sein.