Essen. Die Ehrenamtlichen von „Flying Hope“ fliegen schwerkranke und schwerbehinderte Kinder in spezielle Kliniken. Benjamin (3) hebt von Essen aus ab.
Je heftiger das Flugzeug durch die grauen Wolkendecken ruckelt, desto lauter lacht Benjamin auf. In Momenten wie diesen, sagt seine Mutter Lena Meschede, könne sie für kurze Zeit entspannen. Ein paar Mal im Jahr wird ihr dreijähriger Sohn vom Flughafen Essen/Mülheim aus nach Hamburg in eine Spezialambulanz geflogen – und zwar ehrenamtlich.
Pilot ist Michael Offermann, Facharzt für Chirurgie in Essen. Seit vielen Jahren fliegt er für den ehrenamtlichenVerein Flying Hope unheilbar kranke oder schwerbehinderte Kinder in Kliniken, Hospize oder zu Reha-Aufenthalten. „Die Familien sind unglaublich belastet“, sagt Offermann, der seit vergangenen Jahr Vorstandsvorsitzender des Vereins ist. „Mit unseren Flügen wollen wir ihnen den Alltag ein wenig erleichtern.“
Flying Hope fliegt Benjamin von Essen aus in Hamburger Klinik
Für Benjamin und seine Familie ist das Angebot eine große Entlastung. Der Dreijährige leidet unter der tückischen Diagnose Leukodystrophie Morbus Canavan, einer sehr seltenen Krankheit, bei der sich die weiße Hirnmasse immer mehr abbaut. Die Erkrankung bringt bei Benjamin starke Spastiken in Armen und Beinen sowie Sehverlust mit sich.
„Aufgrund der Erkrankung lässt er sich nur schwer in ein Auto setzen“, erklärt Lena Meschede. „Vor allem über mehrere Stunden bereite ihm das Verweilen im Autositz Schmerzen. Lange Fahrten gehören bei der in Düsseldorf lebenden Familie aber dazu, die Spezialambulanz, die Benjamin regelmäßig besuchen muss, befindet sich nämlich im über 400 Kilometer entfernten Hamburg.
„Dazu ist mein Sohn auch noch ein charmanter Dickkopf“, sagt Meschede und lächelt dabei liebevoll. „Manchmal schreit er sich dann in einen Tunnel, aus dem man ihn kaum wieder herausbekommt.“ Einmal habe er sogar bei einer Autofahrt hyperventiliert. „Das ist nicht tragbar und kann durchaus gefährlich für ihn werden.“
Flying Hope: Piloten stellen Flugzeuge kostenfrei zur Verfügung
Auf die Empfehlung einer Freundin hin, ist Lena Meschede 2020 das erste Mal mit dem Verein Flying Hope in Kontakt gekommen. Als das Flugzeug mit ihr und dem kranken Benjamin startete, habe dieser immerzu gelacht, erinnert sie sich. „Und selbst wenn er an einem Tag mal schlecht drauf ist, dann weint er nur eine halbe Stunde anstatt sechs“, sagt Meschede. „Wären wir an solchen Tagen mit dem Auto oder Zug gefahren, wären wir nicht angekommen und hätten unsere Fahrt abbrechen müssen.“
Mit dem Flugzeug hingegen komme man schnell, unkompliziert und sicher ans Ziel. Familien, die die Flüge mit Flying Hope in Anspruch nehmen, tragen keine Kosten und müssen auch nicht durch den regulären Check-in am Flughafen. Oft starten und landen die Flugzeuge dann auf einem speziellen Seitenplatz des jeweiligen Flughafens. Das erspare den Fluggästen viel Wartezeit, sagt Pilot Michael Offermann.
Das gemeinnützige Pilotennetzwerk zählt etwa 30 Mitglieder, 15 von ihnen sind regelmäßig im Einsatz. Die Piloten stellen ihre Flugzeuge kostenfrei zur Verfügung und fliegen Kinder, die aufgrund ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes auf die Hilfe anderer angewiesen sind, zu ihrem Zielort. Um spezielle Flugzeuge zu chartern, so wie einen Teil der Flugkosten zu decken und die administrative Abwicklung zu ermöglichen, ist Flying Hope auf Spenden angewiesen.
Essener Arzt erfüllt mit Flying Hope Kindern letzte Herzenswünsche
Der Essener Chirurg hat bereits viele unterschiedliche Kinder mit unterschiedlichen Diagnosen geflogen. Er erinnert sich an ein kleines Mädchen, bei der drei Wochen vor dem Flug ein Hirntumor festgestellt wurde. „Man wusste, dass der Tumor nicht operabel ist und dass das vierjährige Mädchen sterben wird“, sagt Offermann und macht beim Sprechen eine Pause. „Die Kleine hatte sich gewünscht, noch einmal ein spezielles Kindermuseum in Dresden zu besuchen, in dem die Kleidung von Märchenfiguren ausgestellt ist.“
Rainers letzter Herzenswunsch- Noch einmal zum ChinesenVier Wochen später erhielt Offermann die Nachricht, dass das Mädchen verstorben war. Das mache betroffen. „Aber ich konnte ihr diesen letzten Herzenswunsch noch erfüllen“, sagt Offermann. Das sei zugleich etwas sehr Schönes gewesen. Er ergänzt: „Es sterben zwar Kinder, die wir zu den Orten fliegen, aber das ein oder andere Kind überlebt vielleicht deswegen auch.“ Und wenn das so ist, dann habe sich alles gelohnt.
Hohe Treibstoffpreise machen ehrenamtlichen Piloten zu schaffen
Nach den Pandemiejahren habe die Nachfrage wieder deutlich zugenommen, bilanziert Offermann. In Zeiten des Ukraine-Kriegs hätten die Ehrenamtlichen sogar ukrainische Kinder aus den westlichen Nachbarstaaten abgeholt, wenn diese in Deutschland dringend eine Therapie oder ärztliche Hilfe brauchten. Auch Kinder aus Österreich fliegen die Mitglieder des Pilotennetzwerks mittlerweile. Offermann: „Es werden von Tag zu Tag mehr.“
So sehr die Piloten sich freuen, derzeit immer mehr Kindern helfen zu können, so sehr machen ihnen die immer weiter ansteigenden Treibstoffpreise zu schaffen. „Hier sind wir dringend auf Spenden angewiesen, damit wir weiterhin so viele Kinder wie möglich fliegen können.“
Auch Benjamins Familie möchte die Leistungen von Flying Hope künftig in Anspruch nehmen. Denn auch Urlaub machen sei erst durch den Verein möglich geworden, erzählt Meschede. Einmal sei die Familie nach Bamberg in den Urlaub geflogen. „Medizinische Fälle haben natürlich Vorrang“, betont sie, aber manchmal müsse man auch einfach mal rauskommen.
>>> Infos zu Flying Hope
- Mitglied werden: Mitglieder zahlen jährlich einen Beitrag von 50 Euro an den gemeinnützigen Verein. Infos unter flyinghope.de
- Fluggast werden: Interessierte müssen zunächst ein Formular auf der Webseite ausfüllen. Anschließend können weitere Details mit der Geschäftsstelle telefonisch unter 0211-174 547 94 besprochen werden.
- Spenderin oder Spender werden: Ein Flug mit einem einmotorigen Flugzeug kostet rund 800 Euro, je zwei Stunden und ein Flug mit einem zweimotorigen Flugzeug rund 1500 Euro. Wer etwas spenden möchte, findet alle Infos unter hier.