Essen. Der ASB-Wünschewagen erfüllt todkranken Menschen letzte Wünsche. Wie Rainer aus Essen einen besonderen Abend im asiatischen Restaurant erlebt.

Seit ein paar Monaten schmeckt dem schwerkranken Rainer das Essen nicht mehr. Der 73-Jährige hat mit Appetitlosigkeit und Geschmacksverlust zu kämpfen. „Immer wenn ich darüber nachdenke, welches Essen mir gut schmecken könnte, habe ich die asiatische Küche im Kopf“, sagt der Essener. Deswegen will er gerne noch einmal chinesisch essen gehen.

Mit dem Restaurantbesuch im „Gourmet Hu“ im Kronenberg Center haben seine Cousine Anneliese und ihr Mann Dieter, die ihre Nachnamen nicht öffentlich lesen möchten, Rainer diesen Herzenswunsch erfüllt. Ins „Gourmet Hu“ wird er mit dem Wünschewagen gefahren. Mit einer solchen Fahrt erfüllen Ehrenamtliche des Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) Ruhr todkranken Menschen letzte Wünsche.

Wünschewagen in Essen: Zwölf Gäste überraschen den 73-Jährigen

„Schön, dass du da bist“, steht in dem Restaurant auf den Tischkärtchen mit Schmetterlingsmotiv, die Anneliese gemeinsam mit Dieter in liebevoller Kleinstarbeit gebastelt hat. Außerdem leuchtet auf dem langen gedeckten Tisch ein handgemachtes Gesteck aus orangenen Blumen. Zwölf Menschen sind gekommen, Freundinnen und Freunde, Kollegen und Familienangehörige sitzen um den Tisch, plaudern und genießen Entenbrust, Sushi und Wok-Gemüse.

In ihrer Mitte sitzt Rainer, der seit Beginn des Restaurant-Besuchs ein schelmisches Lächeln auf den Lippen trägt. Vielleicht, weil Anneliese die vielen Gäste ohne sein Wissen eingeladen hat, um ihn zu überraschen. Oder weil ihn die Lebensweisheiten der Philosophen und Politikerinnen amüsieren, die auf kleinen Zetteln überall auf dem Tisch verteilt stehen.

Rainer interessiert sich nämlich für Philosophie und Literatur, hat viele Klassiker Zuhause in seinem gut bestückten Bücherregal. Der französische Schriftsteller Honoré de Balzac ist einer seiner liebsten Autoren, den Roman „Verlorene Illusionen“ würde er gerne noch mal lesen. Besonders gefalle ihm das Aufklärerische und Gesellschaftspolitische in den Texten. „Wenn ich so manches Buch im Regal stehen sehe, bekomme ich Lust“, sagt Rainer. „Dazu fehlt mir aber momentan oft die Kraft.“

Ehrenamtler des ASB-Wünschewagen: „Fahrgäste blühen bei uns auf“

Menschen zum Lächeln bringen: Das ist das Ziel der beiden Ehrenamtler Yoshua (20) und Tim (21), die seit ein paar Jahren Teil des ASB-Wünschewagen-Teams sind. „Es ist schön zu sehen, wie unsere Fahrgäste bei den Fahrten aufblühen“, sagt Yoshua. „Die Menschen sind so dankbar, deshalb ist der Wünschewagen ein echtes Herzensprojekt für mich.“

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Wichtig ist ihm zu betonen, dass die Fahrgäste bei einer Fahrt mit dem Wünschewagen nicht als Patientinnen und Patienten gesehen werden. „Hier steht nicht das Medizinische im Vordergrund, sondern das Wohlgefühl.“ Deshalb sieht der Wünschewagen von innen auch nicht aus wie ein klassischer Krankenwagen, sondern eher wie ein gemütliches Schlafzimmer. An der Decke wird durch blau leuchtende Punkte der Nachthimmel projiziert. Die mit Sternen bedruckte Decke, lässt die Liege im Innern wie ein kuscheliges Bett wirken.

Die Helfer des ASB-Wünschewagens Yoshua (20, ehrenamtliche Pflegefachkraft) und Tim (21, ehrenamtlicher Rettungssanitäter), von links, begleiten den 73-jährigen Fahrgast Rainer ins asiatische Restaurant Gourmet Hu im Kronenberg Center in Essen.
Die Helfer des ASB-Wünschewagens Yoshua (20, ehrenamtliche Pflegefachkraft) und Tim (21, ehrenamtlicher Rettungssanitäter), von links, begleiten den 73-jährigen Fahrgast Rainer ins asiatische Restaurant Gourmet Hu im Kronenberg Center in Essen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Als Rettungssanitäter bekomme man häufig Leid mit, erzählt Tim. Das sei beim Wünschewagen anders, „hier erlebe ich vor allem schöne Momente, weil die Menschen ihre Krankheit für einen Moment vergessen können“, so der Ehrenamtler. „Traurig ist es nur, wenn eine Fahrt ausfallen muss, weil der Fahrgast den Termin nicht mehr schafft.“

„Wir meistern alles zusammen“

Seit drei Monaten besucht Anneliese ihren allein lebenden Cousin Rainer zweimal in der Woche. „Ich bin von Beruf Krankenschwester und übernehme die Pflege.“ Immer an ihrer Seite: ihr Mann Dieter. „Wir sind seit 1981 verheiratet und meistern seit her alles zusammen“, sagt er. Auch Zeiten wie diese.

Immer wieder zückt Anneliese im „Gourmet Hu“ ihr Handy und liest berührende Zeilen vor, die Freundinnen und Freunde – die heute nicht dabei sein können – Rainer hinterlassen haben. Es sind Momente wie diese, die Rainer sichtlich aufblühen lassen. Er hört genau hin, prostet seinen Gästen zu, scherzt mit seinem ehemaligen Arbeitskollegen, mit dem er zusammen als Programmierer in der Elektronischen Datenverarbeitung (EDV) gearbeitet hat.

Und wenn Rainer erst mal anfängt von seinen Reisen zu erzählen, leuchten seine Augen. Jede Ecke Spaniens hat er schon gesehen (damals noch per Zug), ist die Amalfiküste in Italien entlang gefahren und hat das Tanztheater von Pina Bausch in London besucht.

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Rainer ist, nachdem er sich noch einmal nachgenommen hat, mittlerweile beim Nachtisch angekommen. Es gibt Erdbeeren, die zuvor in einen Schokoladenbrunnen getaucht wurden. Sie schmecken süß.