Essen. Essener Opernhaus sorgt mit neuen Musik-Projekten für „Aufbruch“. Das Publikum ist eingeladen, die Zukunft des Musiktheaters aktiv mitzugestalten

Eine Bühne macht sich auf dem Weg in Richtung Zukunft. Und will dabei auch Menschen mitnehmen, die nicht zu den vertrauten Gesichtern auf und hinter der Bühne und den „Stammkunden“ im Saal gehören. „Aufbruch – A Merry Odyssey“ heißt die erste Produktion, mit der sich das Projekt „Aalto: StartUp“ in Essen vorstellt. Die Premiere ist beim Theaterfest am 27. August im Opernhaus zu erleben.

Realisiert wird das musiktheatrale Performance-Projekt mit Hilfe des in Corona-Zeiten aufgelegten Förderprogramms „Neue Wege“ des Landes NRW. Knapp eine Million Euro stehen damit in den nächsten drei Jahren zur Verfügung. Zwei zusätzliche Stellen im Bereich der Produktion und Dramaturgie können so finanziert werden, zwei Produktionen im Jahr sollen gezeigt werden – eine davon im Aalto-Theater, eine an einem anderen Spielort, erklärt die neue Aalto-Intendantin Merle Fahrholz, die das Konzept zusammen mit Theaterpädagogin Marie-Helen Joel auf den Weg gebracht hat.

Musikalische Odyssee führt zu Orten, die dem Publikum sonst verborgen bleiben

Für den Anfang schicken sie das aus Musikerinnen und Musikern der freien Szene sowie aus Künstlerinnen und Künstlern der TuP zusammengewürfelte Ensemble erst einmal auf Erkundungstour durch das eigene Opernhaus. Ihre musikalische Odyssee führt durch Gänge und Kulissenlager, in den großen Lastenaufzug und zu anderen, sonst verborgenen Orten, die das Publikum in dem von Sascha Krohn inszenierten Rundgang entdecken kann. Die musikalische Leitung übernimmt die mehrfach ausgezeichnete Jazz-Sängerin, Dirigentin und Komponistin Cymin Samawatie.

Sie leiten die „Merry Odyssey“ im Essener Opernhaus (v. li.): Cymin Samawatie (Komposition und musikalische Leitung), Theaterpädagogin Marie-Helen Joel und Sascha Krohn (Regie und Konzeption).
Sie leiten die „Merry Odyssey“ im Essener Opernhaus (v. li.): Cymin Samawatie (Komposition und musikalische Leitung), Theaterpädagogin Marie-Helen Joel und Sascha Krohn (Regie und Konzeption). © Unbekannt | Matthias Jung

Die deutsch-iranische Musikerin hat klassische Musik mit dem Schwerpunkt Schlagwerk, Klavier und Gesang studiert, später auch Jazz und Komposition. In ihrem „Trickster Orchestra“ kommen Musiker zusammen, die vorher vielleicht noch nie zusammen gespielt haben. Für ihre spartenübergreifenden Projekte wurde sie unter anderem mit dem Deutschen Weltmusikpreis „Ruth“ ausgezeichnet.

Unterschiedliche Musiksprachen zu etwas Neuem verbinden, Experimente zulassen, mehr Diversität erlangen und partizipative Prozesse anstoßen, „ohne sich dabei auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen“, so beschreibt Samawatie ihr Anliegen. In Essen machen neben professionellen und semi-professionellen Orchestermusikern beispielsweise auch Mitglieder des Grillo-Ensembles oder eine Tänzerin mit, die Musik durch Bewegung dirigiert. Neuland betreten dabei alle. Für viele sei es vor allem ungewohnt gewesen, nicht mit vorgegebenen Noten zu arbeiten, sondern mit Improvisationsübungen in den künstlerischen Prozess einzusteigen, berichtet Samawatie.

Aalto-Intendantin Merle Fahrholz will neue Wege einschlagen.
Aalto-Intendantin Merle Fahrholz will neue Wege einschlagen. © Funke Foto Services | Fotograf Ralf Rottmann Funke Foto Service

Die Frage, wie das Musiktheater der Zukunft gestaltet sein kann, wie man neue Erzählformen entwickeln und Bürgerinnen und Bürger stärker einbeziehen kann, umtreibt auch die neue Aalto-Intendantin Merle Fahrholz schon seit geraumer Zeit. Am Opernhaus Dortmund, wo Fahrholz zuletzt stellvertretende Intendantin und Chefdramaturgin war, hat man mit der „Nordstadtoper“ beispielsweise neues Terrain und Publikum erschlossen.

Auch die Essener Theaterpädagogin und Aalto-Sängerin Marie-Helen Joel wirbt bereits seit Jahren mit unterschiedlichen Kinder- und Jugendprogrammen für mehr Offenheit und Zugänglichkeit des Hauses. In Zukunft will man aber nicht nur um neues Publikum werben, sondern sich auch das Wissen, die Ideen und das unterschiedliche Know-how der Menschen zunutze machen. Austausch und Vernetzung sollen einen höheren Stellenwert bekommen.

Nicht nur auf dem repräsentativen Oberdeck des mächtigen Kulturtankers TuP, sondern auch im Maschinenraum dieses hochkomplexen Theaterapparates könnte sich damit einiges ändern. Die „Aalto:StartUp“-Kultur, so heißt es, sei gekennzeichnet „durch Offenheit, Lernwillen und die Bereitschaft, jede Überzeugung infrage zu stellen“. So manche institutionellen Zwänge und kaum noch hinterfragten Theaterroutinen könnten dabei zur Sprache kommen – von den Abläufen des Ticket-Vorverkaufs bis zu den festgelegten Vorstellungszeiten. „Da gibt es sicher viele Strukturen, die aufgebrochen werden können“, ahnt die Opernchefin.

Basieren würden alle Veränderungspläne freilich auf dem festen Glauben, „dass Musiktheater auch im 21. Jahrhundert die Leute berührt und erfasst“, so Fahrholz. Das Ziel sei deshalb nicht, „eine Institution wie das Aalto völlig umzukrempeln“. Es gehe darum, „Neugier zu wecken und Altbekanntes aus einer neuen Perspektive wahrzunehmen“. Die Frage sei deshalb nicht, was verzichtbar ist, sondern welche Aspekte man dem herkömmlichen Repertoire hinzufügen könne.

„Aufruhr – A Merry Odyssey“ ist am 27. 8., 15.15 Uhr, beim TuP-Theaterfest sowie am 28. 8., 21 Uhr, und 4. 9., 12.30 Uhr, zu sehen. Der Eintritt ist frei, Zählkarten gibt es im Vorverkauf oder gegebenenfalls beim Einlass. Infos: www.theater-essen.de