Essen. TV-Feierstunde in Essen: Macher von „Glücksrad“ bis „Wa(h)re Liebe“ werden geehrt. Hohe Promidichte auf dem Roten Teppich vor dem GOP-Varieté.
Wer bei Sonnenklar TV zuschaltet, den zieht es für gewöhnlich in ferne Länder. Am Samstag (2. Juli) organisierte der Spartensender zur Abwechslung aber mal eine Zeitreise in die 1980er Jahre, die TV-Prominenz von Jörg Wontorra bis Hella von Sinnen, von Harry Wijnvoord bis Marjike Amado nach Essen führte. Der Rote Teppich vor dem GOP-Varieté wurde denn auch zum Laufsteg der Altvorderen der Unterhaltungsbranche. Gefeiert wurden 40 Jahre Privatfernsehen, obwohl das offizielle Jubiläum eigentlich erst 2024 ansteht.
Bei der Vergabe der Goldenen Sonne haben sie dafür einfach mal ein bisschen an der Zeit gedreht, ein einigermaßen komplizierte Begründung für das vorgezogene Jubiläum gefunden (irgendwas mit Geburtsstunde des dualen Rundfunksystems, Ausbau der Breitbandverkabelung, etc.) und alles eingeladen, was die Anfänge des Privatfernsehens in den 1980ern so bunt und anarchisch gemacht hat.
Staraufgebot in Essen- Privatfernsehen feiert seine Pioniere
„Wir haben uns damals was getraut“, war denn auch ein viel gehörter Satz bei der von Mary Amiri und Kai Pätzmann moderierten Gala im Essener GOP, wo sich die Gespräche irgendwo zwischen „waren das noch Zeiten“ und „wie wird’s wohl weitergehen“ bewegten. Und die Filmeinspieler beim Publikum im Saal und vor dem Bildschirm viele Erinnerungen weckten – an die Zeiten von „Glücksrad“, „Mini Playback Show“, „RTL Samstag Nacht“ und „Wa(h)re Liebe“.
Travestiekünstlerin Lilo Wanders, mit bürgerlichem Namen Ernst-Johann Reinhardt und damals so etwas wie der Oswalt Kolle des Privatfernsehens, nur sehr viel offenherziger in Wort und Outfit, bekam für ihre Aufklärungsshow einen Preis in der Kategorie Information. Und war selber ein bisschen überrascht, gleich neben Nachrichten-Urgestein Hans Meiser ausgezeichnet zu werden. Aber im Privatfernsehen darf es halt etwas unkonventioneller zugehen.
„Heute ist alles so furchtbar spießig“, klagt Tom Gerhardt, der die „Goldene Sonne“ in der Kategorie Comedy neben Lisa Fitz, Hella von Sinnen und Tanja Schumacher überreicht bekam. Sein „Hausmeister Krause“, vor kurzem erst auf der Bühne im Essener Rathaus-Theater zu erleben, ist heute Kult – wie so vieles im Privatfernsehen, das gerade wieder im Glanz des sanften Retrolichtes erstrahlt oder sich manchmal sogar über die Jahrzehnte gehalten hat. Vieles jedoch, was man sich damals an Nacktheit, Frechheit und Provokation zugestanden hat, ist nicht nur für „RTL Samstag Nacht“-Frau Tanja Schumann angesichts der zunehmenden Bedeutung von Political Correctness mittlerweile undenkbar.
Damals allerdings ist es für manche ein Ausdruck von Demokratie, für die anderen der Anfang von Entpolitisierung und Volksverblödung, als Moderatoren den öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag beherzt beiseite schieben und sich stattdessen auch mal Torten ins Gesicht klatschen. Comedy-Formate, Late-Night-Talks, Gameshows und Boulevardmagazine mischen die Programmauswahl in den 1980ern auf. Und wenn man den Preisträgern Glauben schenken darf, dann war das nicht nur für „Anpfiff“-Moderator Ulli Potofski die „wohl die schönste Zeit in meinen beruflichen Leben“.
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Eine Zeit, über die man heute selber auch ein bisschen lachen kann, wie Quiz-Fachassistentin Maren Gilzer, die als schöne, aber stumme Buchstabenfee damals nicht nur von der Frauenbewegung einige Kritik einstecken muss. Und für die Neuauflage des Formats trotzdem parat gestanden hätte. Doch während die Retro-Begeisterung im Privatfernsehen für Frauen über 60 dann wohl doch noch nicht gilt, träumt Moderator Harry Wijnvoord mit Anfang 70 in Essen noch von einem Auftritt mit dem „Show-Treppenlift“. Und Marijke Amado freut sich, den schon vor Jahrzehnten gekauften Schrank mit Platz für alle Fernsehpreise nun endlich mit einer „Goldenen Sonne“ befüllen zu können.
Peer Kusmagk: An der Folkwang-Uni abgelehnt, beim Privatfernsehen angekommen
Der Preis ist kein Oscar, aber er macht manchen stolz: Peer Kusmagk lässt wissen, dass er vor Jahren beim Vorsprechen an der Folkwang-Uni ziemlich abgeschmiert ist („machen Sie lieber was anderes mit Sch, vielleicht Schreiner“) und nun als Preisträger in der Kategorie Serie erstmals wieder Essener Boden betritt. Ob sein Œuvre die Professoren nachträglich überzeugt, sei dahingestellt. Kusmagk hat sich von der RTL-Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ zum König im Dschungelcamp vorgearbeitet und das Nackig-Dating in „Adam sucht Eva – Promis im Paradies“ zumindest privat sehr erfolgreich mit einer Hochzeit abgeschlossen.
Dass sich zwischen inflationären Kuppel-Shows und Küchensendungen nicht alles zum Besten entwickelt hat, die Öffentlich-Rechtlichen den Privaten seit Jahren kräftig nacheifern und sich junge Leute ohnehin längst nicht mehr durchs TV-Programm zappen, sondern auf Internetportalen und Streamingdiensten ihr Angebot finden, das alles ist an diesem Abend nur am Rande Thema. Und doch ist Hans Meiser ganz sicher: „Das Fernsehen hat Zukunft, nur nicht linear.“ 2024 wird man weitersehen, denn dann steht der 40. Geburtstag des Privatfernsehens ganz offiziell an.