Essen. Kaum ein Theater hat sein Umfeld so bereichert wie das GOP-Varieté Essens nördliche Innenstadt. Was das Unternehmen fast zu Fall gebracht hat.

Einst erhellten hier Projektoren die Leinwände. Der 1956 mit Hans Moser glanzvoll eröffnete Grand Filmpalast gehörte zu den großen der damals 72 existierenden Essener Lichtspielhäuser. Wie so viele andere überlebte auch dieses Kino die Konkurrenz von Fernsehen und Multiplex-Theatern nicht. Doch im Herbst 1996 zog danach kein Supermarkt und keine Spielhalle ein, sondern das Varieté-Theater GOP. Ein Glücksfall für die nördliche Innenstadt, die sich vom früheren Vergnügungsviertel zur Problemzone gewandelt hatte.

Die Unternehmerfamilie Grote, die ursprünglich Tanzclubs betrieb, hatte sich mit der Wiederbelebung des Georgpalasts in Hannover an dem deutschlandweiten Comeback der Kunstform Varieté beteiligt und wollte expandieren. Am Pferdemarkt, Ecke Rottstraße, fand sich ein Gebäude, das nicht nur eine Bühne bot, sondern genug Platz für Gastronomie und Appartements für Artisten. Mit dem neuen Unterhaltungsangebot gingen wirtschaftliche Ausdauer und schließlich ein weiterer Erfolg einher.

200 Shows, 2500 Artisten, 2,5 Millionen Gäste in 25 Jahre

Das Programm „Premiere - Festival“ öffnete den Vorhang im ehemaligen Lichtspielhaus 1996 erneut, aber diesmal für Stars aus Fleisch und Blut. Und während sich alle vier bis fünf Jahre ein neues Haus dazu gesellte - inzwischen sind es sieben - summierten sich in Essen 200 Shows, 2500 Artisten, 2,5 Millionen Gäste, 1,5 Millionen Menüs, 136 Auszubildende und ungezählte Heiratsanträge. Mit den monatlich wechselnden Shows legte das GOP ein irres Tempo vor, das vom zweimonatigen Rhythmus der Motto-Shows abgelöst wurde. „Als die Produktionen aufwendiger wurde, hat man sich dazu entschlossen“, erklärt Sabine Herget, die seit 20 Jahren die Öffentlichkeitsarbeit beim GOP macht.

„Rockabilly“ war der Publikumshit in Essen.
„Rockabilly“ war der Publikumshit in Essen. © GOP | Frank Wilde

Die hauseigene Künstleragentur Showconcept wollte nicht länger von Conférenciers angesagte Nummern aneinanderreihen, sondern die Darbietungen mit ausgewählten Themen und Geschichten noch spannender machen. Bühnenbilder, Lichtdesign, Ton, Musik gehörten zu luftigen Attraktionen, erstaunlichen Kraftakten und zwerchfellzerreißender Komik immer mehr dazu. So entstanden die Badewannen-Show „Wet“, die Dienstboten-Show „Grand Hotel“ oder „Sông Trăng“, das Ereignis aus Vietnam. „Aber ,Rockabilly’ war das erfolgreichste Programm mit den meisten Zusatzvorstellungen“, betont Sabine Herget.

Vier der fünf Direktoren, bis hin zur derzeitigen Chefin Nadine Stöckmann, hat sie miterlebt und die meisten Veränderungen des Hauses. So zog der plüschige Charme des Kinos aus und verwandelte sich beim Umbau in eine rot-gold glänzende Atmosphäre. Die Technik wurde aufgerüstet. Die Sommer-Varietés schlossen die Ferienlücke. „Wir haben geöffnet, während alle anderen Theater geschlossen sind“, sagt Sabine Herget. Es wurde zu einem zusätzlichen Gewinn. So wie gastierende Solokünstlern oder Moderator Ludger K. mit seinem über zwölf Jahre erfolgreichen Comedy-Club. Derzeit wird ausprobiert, ob auch Thomas Hermanns’ „Quatsch Comedy Club“ gut ankommt.

Die nördliche Innenstadt wandelt sich zum Kreativquartier

Der Tanzclub im Erdgeschoss musste, trotz wechselnder Namensgebung, nach neun Jahren aufgegeben werden. „Das hat sich nicht mehr rentiert. Das negative Image der nördlichen Innenstadt hat dazu beigetragen“, erklärt Nadine Stöckmann. Ihr Vorgänger Matthias Peiniger sei lange damit beschäftigt gewesen, dieses Image aufzupolieren. „Die Familie Grote hatte auch mal gedroht: Wir gehen hier raus, wenn sich nichts verändert“, berichtet Sabine Herget. Kulturförderer Reinhard Wiesemann habe viel bewirkt und der Allbau, führt sie aus. Das vergammelte Parkhaus gegenüber wich den Kastanienhöfen mit der Allbau-Zentrale und Wohnungen. Die ansehnlich gestaltete Umgebung und der Wandel zum Kreativquartier haben gewirkt.

Der Mietvertrag wurde gerade nach einer schwierigen Phase wieder verlängert, was Nadine Stöckmann begrüßt. Ihre Zeit als Chefin ab Herbst 2019 wurde bisher vor allem durch die ständig wechselnden Corona-Auflagen, monatelang in Essen festsitzende Artisten aus der Ukraine, 85 Mitarbeiter in Kurzarbeit sowie gut eingearbeitete Minijobber, die das Handtuch warfen, bestimmt. „Jetzt sind alle aus der Kurzarbeit raus und wir können wieder loslegen“, meint die 43-Jährige, die sich über die Premiere von „Circus“ freut. Dafür hat sie den Saal eigens mit neuer Bestuhlung aufhübschen lassen. „Das Jubiläum“, bedauert sie, „wird aber angesichts der Pandemie nicht gefeiert.“