Essen. Die Entführung von Clara aus Essen und Lara aus München nach Paraguay ist beendet. Die Eltern haben sich gestellt, die Mädchen sind wohlauf.

Die Paraguay-Odyssee der zehnjährigen Clara aus Essen und der elf Jahre alten Lara aus München ist beendet: Ihre mit internationalen Haftbefehlen gesuchten Eltern, die mutmaßlichen Corona-Leugner und Querdenker Andreas und Anna Egler, haben sich gestellt. Ihre Flucht ist damit beendet. Die Kinder befinden sich in behördlicher Obhut und sie sind wohlauf, berichtete am Donnerstagabend Rechtsanwalt Ingo Bott, der die beiden anderen Elternteile Anne Reiniger-Egler und Filip Blank vertritt.

Ihre seit nunmehr sieben Monaten vermissten Kinder konnten sie allerdings noch nicht in die Arme schließen. Clara und Lara hielten sich mit dem gesuchten Paar in Encarnación auf. Eine Stadt, die etwa sechs Autostunden von der Landeshauptstadt Asunción entfernt liegt, wo die Essenerin und der Münchener auf das Ende ihres größten Albtraums warteten.

Das Ehepaar Egler hat sich auf Initiative von Rechtsanwalt Stefan Schultheiß gegen 12 Uhr Ortszeit (18 Uhr mitteleuropäischer Zeit) ins Gewahrsam der Polizei begeben. Um die beiden zehn und elf Jahre alten Mädchen kümmert sich seitdem eine für kinderpsychologische Fragen zuständige Organisation vor Ort. „Sie werden fürsorglich betreut“, so Bott.

Es sei zu erwarten, dass die Kinder sowie Andreas und Anna Egler nach dem Abschluss der laufenden Verfahren und Ermittlungen in Paraguay nach Deutschland überstellt werden. Das Ehepaar habe seine Bereitschaft zur Ausreise nach Deutschland bekräftigt, wo sie sich „auch den deutschen Verfahren aktiv stellen wollen“.

Mehrfach über einen Messengerdienst telefoniert

Nachdem man in den vergangenen Tagen mehrfach über einen Messengerdienst mit den Kindern und deren Eltern telefoniert hatte, kam die Lösung zustande, die den Rechten aller Beteiligten, vor allem aber dem Kindeswohl gerecht werden soll, wie es heißt. Zu den Inhalten der Gespräche gab es keine weiteren Angaben.

Die beiden 46 und 35 Jahre alten Eheleute waren mit internationalen Haftbefehlen gesucht worden, nachdem sie die Mädchen den beiden anderen Elternteilen Anne Reiniger-Egler und Filip Blank vor über einem halben Jahr gegen deren Willen entzogen hatten.

Aus einem Wochenende in London wurde die Flucht nach Paraguay

Es war ein Freitag im November 2021, als Andreas Egler (46) seine Tochter an ihrem zehnten Geburtstag mit einem besonderen Geschenk überraschte. Ein Wochenende London ist angeblich angesagt. Claras Mutter Anne Reiniger-Egler, Tochter des früheren Essener Oberbürgermeisters Wolfgang Reiniger (CDU), schöpft keinen Verdacht, als sie den Reisepass der Zehnjährigen ihrem Ex-Mann übergibt. Den benötigt man schließlich für eine Einreise nach dem Brexit.

Dass ihr Ex-Mann, der Covid-Leugner, der alle Infektionsschutzverordnungen nicht nur für sich, sondern auch für seine Tochter ablehnt, statt einer Reise nach England den Abflug nach Paraguay, dem verheißenen Land für deutsche Querdenker, plant, das kam Anne Reiniger-Egler nicht in den Sinn. Bis ihr klar wird: Die versprochene Reise nach London hat nie stattgefunden. Ihr Kind wurde verschleppt.

Vater und Tochter flogen über Zürich in der Schweiz nach Madrid, dem internationalen Drehkreuz für Flüge von und nach Lateinamerika. Und Andreas Egler mit Clara ist beileibe nicht allein unterwegs, sondern in Begleitung seiner neuen Ehefrau Anna (35) aus München und deren elfjähriger Tochter Lara. Gemeinsam taucht das Quartett unter und hinterlässt daheim schlimmste Verzweiflung.

Das erste Lebenszeichen kommt per Post

Dann das erste langersehnte Lebenszeichen der Vier auf der Flucht, es kommt per Post, gerichtet an Claras Mutter in Essen und Laras Vater in München, und es ist niederschmetternd. Sie lesen Sätze, die nicht nur sie fassungslos machen: „Wir möchten euch hiermit darüber in Kenntnis setzen, dass wir unsere Wochenend-Reise mit den Kindern auf unbestimmte Zeit verlängern werden“, steht dort auf zweieinhalb eng beschriebenen DINA4-Seiten.

Sie hätten einfach „die Reißleine gezogen“, die nach eigenem Bekunden „schwerste Entscheidung, die wir in unserem Leben bisher getroffen haben“, ausgelöst durch die „prekäre politische Situation“ in und um Deutschland herum: Die zwinge sie zur Flucht.

Tage später erfährt Anne Reiniger-Egler: Ihr Ex-Mann und seine neue Lebensgefährtin sind mit den Mädchen nach Paraguay geflohen, die Ermittlungsbehörden bis hin zu Interpol werden eingeschaltet, die Botschaft eingeweiht, es gibt einen Verbindungsmann des Bundeskriminalamtes und schließlich auch internationale Haftbefehle, die nach schier endlosen Wochen hilflosen Zuwartens in Paraguay eintrudelt.

Ein erster geplanter Zugriff ist gescheitert

Zwei Mal reist die Mutter von der Margarethenhöhe in das südamerikanische Land, um nach den Kindern zu suchen. Sie muss erleben, wie ein erster geplanter Zugriff scheitert, weil die Eltern auf der Flucht vermutlich einen Tipp bekommen haben. Um Ruhe ins Verfahren zu bringen, kehrt Anne Reiniger-Egler zwischendurch wieder zurück nach Deutschland, doch lange hält sie es daheim nicht aus. Das eigene Leben liegt eh auf Eis, und schon bald schwant ihr das ungute Gefühl: „Wenn ich dort nicht vor Ort bin, passiert gar nichts“, sagt sie.

Doch eine mit den Behörden vor Ort eingestielte Öffentlichkeitsfahndung bringt die erhoffte Wende in diesem unfassbaren Fall. Kurz nachdem sich die Essenerin mit einem verzweifelten Appell in internationalen Medien zu Wort gemeldet hatte, wird ein Fluchtwagen der Eglers nahe der argentinischen Grenze sichergestellt und ein Verdächtiger festgenommen. Es ist der Besitzer des Fahrzeugs, der ihnen sein Auto vermietet haben soll, mit dem sie vermutlich nach Argentinien flüchten wollten.

Zeitversetzt tauchen zwei verstörende Videos auf Internetplattformen auf, in denen Andreas und Anna Egler, aber auch deren Töchter fordern, sie nicht weiter zu verfolgen. Doch die Fahnder halten den Druck hoch, bis zum nun guten Schluss. Die juristische Aufarbeitung - sie beginnt jetzt erst.