Essen. Verzweifelte Eltern „erkennen Kinder in dem Video kaum wieder“. Dort betonen die Mädchen, sie seien freiwillig in Paraguay: „Lasst uns in Ruhe!“
Sieben Monate sind Clara (10) und Lara (11) jetzt verschwunden, sieben Monate voller Sorgen und Verzweiflung für die zurückgebliebenen Elternteile, die um das Wohl ihrer entführten Kinder bangen. Jetzt gibt es erstmals ein Lebenszeichen der beiden Mädchen aus Essen und München: Andreas und Anna Egler, die „Querdenker“-Eltern, die beide nach Paraguay verschleppten, haben sich mit einer Videobotschaft bei der Staatsanwaltschaft der paraguayischen Hauptstadt Asunción gemeldet.
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Doch in die Freude über die ersten Bilder seit der Flucht Ende November 2021 mischt sich blankes Entsetzen: Claras Mutter Anne Reiniger-Egler und Laras Vater Filip Blank „erkennen die Kinder in dem Video kaum wieder“. So heißt es jedenfalls in einem Offenen Brief, den der Anwalt der zurückgelassenen Eltern, Prof. Ingo Bott aus der Kanzlei Plan A in Düsseldorf, in deren Namen geschrieben hat.
„Wir werden gesucht wie Schwerverbrecher, Mörder, Kriminelle – aber das sind wir nicht“
Warum das Wiedererkennen so schwer fällt, wird jedem schnell klar, der das rund dreiminütige, fast gespenstisch wirkende Video anschaut. Dort meldet sich Andreas Egler, vermeintlich mit Datum vom 31. Mai, mit folgenden Eingangsworten: „Wir sind die Familie Egler, die weltweit mittlerweile gesucht wird – wie Schwerverbrecher, wie Mörder, wie Kriminelle. Aber das sind wir nicht. Wir haben unsere Kinder nur schützen wollen.“
Und dann kommen seine Frau Anna sowie die beiden Mädchen, Clara und Lara, mit gefärbten Haaren und verstörenden Botschaften zu Wort: „Lasst uns bitte in Ruhe. Hetzt uns nicht so“, sagt etwa Lara, die eben erst ihren elften Geburtstag in der Ferne gefeiert hat, immer und immer wieder: „Wir wollen nicht mehr gesucht werden.“
Unter Tränen meldet sich auch Clara, die Enkelin des ehemaligen Essener Oberbürgermeisters Wolfgang Reiniger: „Ich will, dass die Welt weiß, dass ich freiwillig mitgekommen bin. (...) Ich wurde nicht entführt, ich bin hier ganz freiwillig.“ Jeden Tag würden die Eltern fragen, ob die Kinder nicht zur Deutschen Botschaft wollten. „Aber das wollen wir nicht“, versichert die Zehnjährige.
Der deutsche Anwalt fleht einzulenken: „Unseren Mandanten geht es nicht um Strafe“
Reden so Kinder? Was auffällt: Die beiden Mädchen sprechen von ihren Eltern ebenso demonstrativ wie distanziert als „Andreas Rainer Egler und Anna Maria Egler“, das klingt durchgehend wie auswendig gelernt – oder abgelesen von einer Art Drehbuch. So als wolle man dem herzzerreißenden Auftritt von Anne Reiniger-Egler bei der Pressekonferenz tags zuvor gezielt etwas vergleichbar Emotionales entgegensetzen.
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Kein Wort von Mama oder Papa daheim in Deutschland. Kein Wort von den Freundinnen. Den Sportskameraden. Und sind die Tränen wirklich echt?
Im Anwaltsschreiben zu derlei Details oder Vermutungen kein Wort. Dort heißt es: „Sie verlangen von unseren Mandanten, den Verlust ihrer Kinder zu akzeptieren“ – ein Ansinnen, das Anne Reiniger-Egler und Filip Blank aber keineswegs erfüllen wollten.
Angesichts der Erschöpfung der Flüchtigen lassen sie vielmehr durchblicken, dass sie eine einvernehmliche Regelung anstreben – und dass es ihnen zu allererst um das Wohl der Kinder geht: „Melden Sie sich bei uns oder den Behörden“, schreibt Anwalt Bott deshalb: „Unseren Mandanten geht es nicht um Strafe. Sie wollen mit Ihnen eine Lösung finden, die allen eine Zukunft in Frieden und eine Rückkehr in ein normales Leben ermöglicht. Die Chance dazu steht Ihnen offen.“
Die Anwälte appellieren: „Tun Sie das Richtige!“
Das Video der beiden mutmaßlichen Entführer – es ist eine Einbahnstraße. Darum der Versuch von Rechtsanwalt Ingo Bott, über einen Offenen Brief Kontakt aufzunehmen.
„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, zitiert Bott den deutschen Kinderbuchautor Erich Kästner. „Jetzt liegt es an Ihnen“, wendet er sich an die Eglers: „Tun Sie das Richtige. Melden Sie sich bei uns oder den Behörden.“
Die Fahndung laufe ohnehin weiter. Vor allem aber: „Das Wohl der Kinder ist mit dem Leben auf der Flucht, für das Sie sich entschieden haben, nicht vereinbar.“
Die Paraguayische Nationalpolizei meldet die Festnahme eines 35-jährigen Mannes
Der Gedanke aufzugeben, ist offenbar auch dem flüchtigen Paar schon gekommen: „Wir wissen nicht, wie lange wir das noch schaffen. (...) Wir wissen, dass es jederzeit sein kann, dass sie uns finden“, sagt Andreas Egler und betont: „Wir sind keine Verbrecher. Wir sind keine bösen Menschen.“
Währenddessen hat es in Paraguay offenbar eine erste Festnahme in dem Entführungsfall gegeben: Örtliche Medien berichten, ein 35-jähriger Mann namens Diego Arnaldo M. sei in der Stadt Villarrica im Departement Guairá durch die dortige Nationalpolizei in Haft genommen worden. Nach Informationen örtlicher Medien handelt es sich um den Besitzer jenes Nissan Terrano, mit dem das deutsche Paar mit den vermissten Mädchen unterwegs war. Der Mechaniker hatte die Flüchtingen über ein en Freund kennengelernt, bestätigte der Leiter der Polizei von Guairá, Cristian Cáceres.
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Cáceres zufolge hatte sich der Mann bei Vernehmungen in Widersprüche verwickelt. Vorliegende Überwachungsbilder zeigen, dass das Quartett in einen schwarzen Wagen umstieg. Die paraguayischen Ermittler vermuten, dass sich die Gesuchten noch in der Gegend befinden und haben deshalb die Kontrollen vor Ort verstärkt.