Essen. Seit über einem Monat wird die Uniklinik Essen bestreikt, über 1100 OPs sind ausgefallen. Auch Termine von Krebspatienten müssen abgesagt werden.

Die Streiks von Beschäftigten der Uniklinik Essen machen sich nach über einem Monat massiv im Krankenhausalltag bemerkbar: So wurden nicht nur zeitlich planbare Operationen abgesagt, auch die Notfallversorgung ist inzwischen beeinträchtigt. Außerdem seien in einem zuvor nicht gekannten Ausmaß auch Krebspatienten von den Einschränkungen betroffen, teilt die Klinik mit. „Die Lage ist, medizinisch gesehen, sehr angespannt.“

Uniklinik Essen kann ausgefallene OPs nicht zeitnah nachholen

Die Warnstreiks ab 10. April und der unbefristete Streik seit Anfang Mai haben laut Uniklinik einen Ausfall von 265-OP-Saal-Tagen verursacht. Sprich: „Etwa 1100 Patienten konnten nicht operativ versorgt werden.“ Keineswegs könnten die ausgefallenen Eingriffe „zeitnah abgearbeitet oder aufgeholt werden“. Die Situation gestalte sich naturgemäß immer schwieriger, je länger der Streik andauere. „Man kann die erforderlichen Eingriffe bei weitem nicht beliebig aufschieben.“

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Obwohl das Behandlungsprogramm stark reduziert sei, „wächst die Belastung bei unseren Mitarbeitenden, die nicht streiken, stetig“, heißt es vonseiten der Klinik. Die Gewerkschaft Verdi wiederum will mit dem laufenden Arbeitskampf grundsätzlich bessere Arbeitsbedingungen für Klinik-Beschäftigte erzwingen. Sie fordert einen Tarifvertrag „Entlastung“, in dem für jeden Arbeitsbereich konkrete Mindestbesetzungen festgeschrieben werden. Die bisherige personelle Mangelausstattung an den sechs bestreikten Unikliniken in Nordrhein-Westfalen bringe Beschäftigte regelmäßig an ihre Belastungsgrenze und gefährde so die Sicherheit der Patienten.

„Selbstverständlich werden alle Notfälle versorgt“, sagt Katharina Schwabedissen, die im Verdi-Bezirk Ruhr-West für die Kliniken zuständig ist.
„Selbstverständlich werden alle Notfälle versorgt“, sagt Katharina Schwabedissen, die im Verdi-Bezirk Ruhr-West für die Kliniken zuständig ist. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Dabei hätten Klinikbeschäftigte hohe ethische Ansprüche und ließen schwerkranke Patienten nicht im Stich, auch nicht im Streik, hatte Katharina Schwabedissen, die im Verdi-Bezirk Ruhr-West für die Kliniken zuständig ist, Anfang Mai betont: „Selbstverständlich werden alle Notfälle versorgt.“ Verdi hat eine Notdienstvereinbarung mit der Uniklinik geschlossen, um das zu garantieren. Auch einen Monat später versichert die Uniklinik: „Die lebensrettende Versorgung kritisch Kranker ist sichergestellt.“ Seit Streikbeginn verweise man allerdings „Akutpatienten mit weniger dringlicher Versorgungsnotwendigkeit an andere Essener Krankenhäuser“. Oder man verlege Notfallpatienten nach der Erstversorgung am Uniklinikum an andere Essener Krankenhäuser, weil man kein Bett für sie habe.

Schwerverletzte Notfallpatienten werden an andere Krankenhäuser verlegt

Die Trauma-Versorgung im Klinikum sei eingeschränkt: Die berufsgenossenschaftliche Unfallklinik in Duisburg unterstütze die Uniklinik Essen erheblich bei der Behandlung von Schwerverletzten. Mitunter werde es aber sogar schwer, für Notfallpatienten ein Krankenhaus zu finden, sagt die Uniklinik und nennt folgendes Beispiel: „Ein Zuweiser musste 13 Kliniken in Nordrhein-Westfalen kontaktieren, damit er einen Patienten für eine Notfall-Bypass-Operation unterbringen konnte.“

Die Mobilisierung beim Streik an den sechs Unikliniken in Nordrhein-Westfalen ist nach Angaben der Gewerkschaft Verdi gut. Das Bild zeigt eine Kundgebung von Auszubildenden aus ganz NRW vor der Uniklinik Essen am 19. Mai 2022.
Die Mobilisierung beim Streik an den sechs Unikliniken in Nordrhein-Westfalen ist nach Angaben der Gewerkschaft Verdi gut. Das Bild zeigt eine Kundgebung von Auszubildenden aus ganz NRW vor der Uniklinik Essen am 19. Mai 2022. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Beim Blick auf abgesagte Operationen und Bettensperrungen dürfe man übrigens nicht übersehen, dass auch Vor- und Nachsorge-Termine in der Onkologie betroffen seien: „Generell verursacht der Streik Verschiebungen bei Diagnostik und Therapien und damit bei den Betroffenen Angst und Leid sowie Gefahr beim Fortschreiten der Krebserkrankungen.“ In der Vergangenheit seien Krebspatienten nicht in solchem Maße von Streikmaßnahmen berührt gewesen; man beobachte das „mit allergrößter Sorge“.

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Denn viele Krebspatienten benötigten eine universitätsmedizinische Versorgung und müssten an hochspezialisierten Zentren, wie dem Westdeutschen Tumorzentrum (WTZ) der Uniklinik behandelt werden. Man könne sie auch nicht in andere Kliniken verlegen, „weil dort eine Reihe von Therapie- und Diagnostikverfahren nicht vorhanden sind“. Während des Streiks habe man allein in einer Woche zwölf Termine für an einem Sarkom [bösartiger Tumor] erkrankte Patienten verschieben müssen, die auf spezialisierte Zentren wie das der Uniklinik angewiesen seien. In einzelnen onkologischen Bereichen müsse man die Nachsorge-Termine bis auf weiteres absagen.

Krebspatienten, die Anfang Juni zur Nachsorge kommen sollten, bekommen da schon mal einen Ersatztermin im September. Der engmaschige, eigentlich vierteljährliche Kontrollrhythmus, mit dem eine mögliche Rückkehr des Krebses frühzeitig festgestellt werden soll, verlängert sich so auf sechs Monate.

Verdi fordert von Klinikvorständen eine Kehrtwende

Eine wenig beachtete Folge des Streiks ist nach Angaben des Uniklinikums Essen „die Beeinträchtigung der Bereiche Forschung und Lehre an der Uniklinik, die nicht verlagert werden können“.

Der Streik könne indes nur zeitnah beendet werden, wenn es in den Verhandlungen eine Kehrtwende im Verhalten der Klinikvorstände gebe, erklärt die Gewerkschaft Verdi. „In der zweiten Woche der Tarifverhandlungen, die an der Uniklinik Köln stattfinden gibt es weiterhin kein Angebot der Arbeitgeber zu unserer Forderung nach einem Tarifvertrag ,Entlastung’“, kritisierte die Verdi-Landesbezirksleiterin Gabriele Schmidt, am 31. Mai.