Essen. Untreue, Datenmissbrauch, Geheimnisverrat? Schwere Vorwürfe treiben die Entsorgungsbetriebe Essen um. Übernimmt nun die Staatsanwaltschaft?

Untreue, Geheimnisverrat und eine grobe Missachtung Datenschutzgesetzes – es sind geharnischte Vorwürfe für die Juristen nach internen Untersuchungen bei den Entsorgungsbetrieben Essen (EBE) einen Anfangsverdacht sehen. Ist es mehr als das? Diese Frage beschäftigt inzwischen die Staatsanwaltschaft Essen.

Was unter dem Arbeitstitel „Harmuth-Offensive“ bei der EBE im Sommer 2020 seinen Anfang nahm und jede Menge Staub aufwirbelte, findet nun also seine Fortsetzung.

Damals wunderten sich Beschäftigte des EBE-Containerdienstes doch sehr darüber, als ihr Abteilungsleiter sie aufforderte, das private Entsorgungsunternehmen Harmuth, einen Mitbewerber der EBE, bei der Kundenakquise konsequent zu unterbieten, selbst wenn sich so kein Cent verdienen ließe. Mehr noch: Kundendaten sollten regelmäßig an den Mitgesellschafter Remondis weitergegeben werden. Der Branchenriese Remondis ist mit 49 Prozent der Anteile an der EBE beteiligt.

Die Vorwürfe der internen Ermittler zielen über die Entsorgungsbetriebe Essen hinaus

Mehrere Mitarbeiter wandten sich vertrauensvoll an den Betriebsrat, weil sie sich von ihrem Vorgesetzten unter Druck gesetzt fühlten. Der Aufsichtsrat bekam davon Wind und beauftragte eine Rechtsanwaltskanzlei mit der Aufarbeitung der Vorgänge.

Der Abschlussbericht liegt mittlerweile bei der Staatsanwaltschaft. Sollte diese ebenfalls einen Anfangsverdacht erkennen, dürfte der Bericht den Ermittlern genügend Stoff für eigene Untersuchungen liefern. Denn die Vorwürfe richten sich nicht nur gegen besagten Abteilungsleiter. Die vom Aufsichtsrat beauftragten Anwälte gehen davon aus, dass der von Remondis gestellte EBE-Geschäftsführer, Stephan Tschentscher, die Weitergabe sensibler Daten angeordnet und damit einer Bitte von Remondis entsprochen hat.

EBE-Mitgesellschafter Remondis sieht das umstrittene Vorgehen durch das GmbH-Gesetz gedeckt. Von dem Abteilungsleiter hatte sich die EBE aber getrennt – in gegenseitigem Einvernehmen und unter Verzicht auf mögliche Schadenersatzsprüche. Bei Remondis soll der Mann weiter in verantwortungsvoller Position in Lohn und Brot stehen. Verstöße gegen den Datenschutz hat die EBE in einer internen E-Mail an ihre Beschäftigten eingeräumt. Auch betroffene Kunden sollen darüber informiert worden sein.

Handelte es sich um einen einmaligen Fehltritt?

Die Vorgänge erinnern an einen ähnlich gelagerten Fall aus dem Jahr 2006. Damals soll ein Prokurist der EBE interne Informationen über Angebotspreise an Remondis weitergereicht haben. Das Ganze flog auf, als Remondis einem langjährigen Kunden der EBE ebenfalls ein Angebot unterbreitete – zu exakt den gleichen Konditionen nur mit dem Unterschied, dass Remondis zusätzlichen Service anbot. Der Kunde wunderte sich und wandte sich an die EBE.

Schon 2006 beschäftigten den Aufsichtsrat der EBE ähnliche Vorwürfe

Schon damals war von Untreue und Geheimnisverrat die Rede. Politische Vertreter im Aufsichtsrat äußerten ihr Befremden. Auf Beschluss des Gremiums wurde der Prokurist von seinen Aufgaben entbunden – gegen die Stimmen von Remondis. Der private Entsorger soll den Prokuristen bald darauf abberufen haben. Ein weiteres Nachspiel hatte der Vorfall nicht.

Für mögliche staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wäre dies unerheblich. Der Fall ist längst verjährt. Für die Politik mag er dennoch eine Rolle spielen, steht der Stadtrat doch aktuell vor der Frage, ob die Stadt Essen die Zusammenarbeit mit Remondis bei der EBE über das Jahr 2023 hinaus verlängern soll. Für Remondis kämen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wohl schon deshalb zur Unzeit. Der Imageschaden dürfte ohnehin bereits erheblich sein.

Eine Entscheidung darüber, ob die Stadt den Vertrag vorzeitig aufkündigt oder ob man mit Remondis weitermacht bis 2028, wenn die Entsorgungsleistungen neu ausgeschrieben werden müssen, sollte der Rat ursprünglich in seiner Sitzung am Mittwoch treffen. Gleich mehrere Fraktionen haben jedoch Beratungsbedarf angemeldet.

Kündigt die Stadt Essen die Zusammenarbeit mit Remondis vorzeitig auf?

Wie hält es die Ratsmehrheit von CDU und Grünen mit dieser Frage? Fabian Schrumpf will keine Prognose abgeben: „Unser Ziel ist, dass die Stadt sauberer wird und die Leistungen der EBE besser werden“, betont der Vorsitzende der CDU-Fraktion. Die Grünen ringen noch miteinander, wie es bei der EBE weitergehen soll.

Oberbürgermeister Thomas Kufen legt dem Rat eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Remondis nahe. Aus Sicht der Verwaltung brächte eine solche mehr Vor- als Nachteile für die Stadt Essen mit sich. Sollte die Stadt die Abfallentsorgung hingegen komplett in eigene Hände übernehmen, würde sie die Übernahme des EBE-Vermögens, insbesondere der Grundstücke, laut Kämmerer mindestens 38 Millionen Euro kosten. Demgegenüber stand in den vergangenen Jahren ein Gewinn der EBE zwischen sieben und acht Millionen Euro, den sich die Stadt und Remondis teilten.

Der private Entsorger macht der Stadt eine Fortführung der Kooperation schmackhaft. Remondis ist bereit, seinen Anteil am Gewinn der EBE auf 40 Prozent zu reduzieren. Auch will die EBE ihre Reinigungsleistungen erhöhen, was allerdings mitbestimmungspflichtig sei, wie es von der Arbeitnehmerseite heißt, weshalb man sich dort doch sehr wundert.

Die Stadt Essen baut vor, sollte es zu einer Verurteilung kommen

Gesprächsbedarf gibt es also auf allen Ebenen. Hinsichtlich möglicher staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen in Sachen „Harmuth-Offensive“, hat die Stadtverwaltung allerdings vorgebaut. Mit Remondis wurde ein Sonderkündigungsrecht vereinbart, das es der Stadt erlauben würde, kurzfristig aus dem Vertrag aussteigen. Und zwar dann, wenn es zu einer Verurteilung oder zu einem Strafbefehl gegen mögliche Verantwortliche von Remondis kommen sollte.

Allein die Tatsache, dass die Stadt diese Möglichkeit in Betracht zieht, ist bemerkenswert. Sollte es tatsächlich so weit kommen, will man sich im Rathaus eine Peinlichkeit offensichtlich ersparen.