Essen. Dumpingpreise, Verstöße gegen den Datenschutz und Hinweise auf mögliche Untreue: Interne Untersuchungen wühlen die Entsorgungsbetriebe Essen auf.
Vor wenigen Wochen erhielten Mitarbeiter der Entsorgungsbetriebe Essen (EBE) überraschend Post vom hauseigenen Datenschutzbeauftragten. Dieser ließ die verdutzten Beschäftigten in einer E-Mail wissen, dass es in jüngster Vergangenheit bei der EBE Verstöße gegen den Datenschutz gegeben habe. Davon betroffen seien Mitarbeiter wie auch Kunden. Der Sachverhalt werde schnellstmöglich aufgeklärt.
Das Schreiben dürfte die Adressaten ratlos zurückgelassen haben. Inzwischen steht fest: Besagte E-Mail steht in unmittelbarem Zusammenhang mit internen Untersuchungen zur sogenannten „Harmuth-Offensive“. Die Rede ist nicht nur von Datenschutzverstößen, sondern von Pflichtverletzungen und von Untreue. Mit der Aufklärung betraute Anwälte sprechen von einem Anfangsverdacht. Droht der nächste EBE-Skandal?
Mitarbeiter der Entsorgungsbetriebe Essen fühlten sich unter Druck gesetzt
Was verbirgt sich hinter „Harmuth-Offensive?“ Vertriebsmitarbeiter des EBE-Containerdienstes hatten die internen Ermittlungen losgetreten, als sie sich Anfang des vergangenen Jahres an den Betriebsrat wandten. Die Beschäftigten fühlten sich unter Druck gesetzt, waren sie nach übereinstimmenden Aussagen doch von ihrem Abteilungsleiter dazu gedrängt worden, bei der Kundenakquise Preise des Mitbewerbers Harmuth konsequent zu unterbieten. Und das bitteschön erfolgreich, selbst wenn die EBE mit den Aufträgen keinen Cent verdienen sollte. Sonst, so habe ihr Vorgesetzter den Mitarbeitern gedroht, dürften sie bei der Geschäftsführung vorstellig werden.
Die gegen den Mitbewerber Harmuth gerichtete „Offensive“ soll der Abteilungsleiter wie folgt begründet haben: Remondis, Minderheitsgesellschafter der EBE, wolle das mittelständische Entsorgungsunternehmen übernehmen. Harmuth ist ebenfalls im Containergeschäft tätig und dort ein Konkurrent der EBE, an der Remondis mit 49 Prozent der Anteile beteiligt ist.
Kartellwächter haben ein Auge auf das Geschäftsgebaren von Remondis geworfen
Remondis ist ein Riese der Branche und genießt als solcher den zweifelhaften Ruf, besonders gefräßig zu sein. Längst haben Kartellwächter ein Auge auf das Geschäftsgebaren des zur Rethmann-Gruppe gehörenden Entsorgers geworfen. Sollte ein weiterer Übernahmekandidat mit Hilfe der EBE sturmreif geschossen werden?
Vollends misstrauisch wurden die Vertriebsleute der EBE, als es hieß, Informationen über Angebote, Preise und Kunden sollten an Remondis weitergereicht werden. Konnte das mit rechten Dingen zugehen?
Konnte es nicht. Zu diesem Ergebnis kommt nach Informationen der Redaktion eine auf Compliance-Fragen spezialisierte Kanzlei, die der Aufsichtsrat der Entsorgungsbetriebe mit der Untersuchung der Vorkommnisse beauftragt hat. Die Weitergabe sensibler Daten bewerten die Anwälte als erheblichen Verstoß gegen das Datenschutzrecht.
Remondis soll nicht nur Informationen der Essener Entsorgungsbetriebe sammeln
Die Spur soll auf direktem Weg vom Vertrieb der EBE über die Geschäftsführung bis ins Management von Remondis führen. So soll der von Remondis gestellte EBE-Geschäftsführer, Stephan Tschentscher, die Weitergabe von internen Daten angewiesen und damit einer Bitte aus der Remondis-Zentrale entsprochen haben. Tschentscher könnte sich nach Einschätzung der Juristen damit sogar wegen Untreue strafbar gemacht haben. Sie sehen im Verhalten des Geschäftsführers jedenfalls genügend Hinweise, die einen Anfangsverdacht rechtfertigten.
Auf Anfrage der Redaktion wollte sich Tschentscher zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht äußern, die EBE verwies auf die laufenden Untersuchungen.
Remondis soll die von der EBE weitergereichten Informationen übrigens in ein internes Erfassungssystem eingespeist haben, in dem Daten von Unternehmensbeteiligungen aus ganz Deutschland gesammelt werden. Man darf also annehmen, dass der Branchenriese über einen hervorragenden Überblick über das Marktgeschehen verfügt.
Remondis interessierte sich schon 2014 für das Entsorgungsunternehmen Harmuth
Der für den Vertrieb zuständige Abteilungsleiter der Entsorgungsbetriebe erwies sich nach Erkenntnissen der Ermittler als besonders eifrig. Als die „Harmuth-Offensive“ intern erste Wellen schlug, wurde sein Anstellungsvertrag bei der EBE in gegenseitigem Einvernehmen aufgelöst – unter Verzicht auf mögliche Schadenersatzansprüche seitens des Unternehmens. Der Mann soll nun als Betriebsleiter bei Remondis in Lohn und Brot stehen, die Karriereleiter wäre er sogar hinaufgefallen.
Unklar ist, ob der ehemalige Angestellte ebenfalls auf Anweisung „von oben“ handelte, als er die Vertriebsoffensive gegen den Mitbewerber Harmuth in Gang setzte. Nach Einschätzung der Rechtsanwälte spricht einiges dafür. Dass Remondis Interesse an einer Übernahme habe, sei bekannt. Schon 2014 berichtete diese Redaktion über Verhandlungen zwischen Remondis und Harmuth über eine Kooperation. Die Gespräche verliefen offenbar im Sande.
Harmuth Entsorgung verfügt in Essen-Bergeborbeck über ein Filetgrundstück
Remondis ist in Essen selbst nicht im Containergeschäft tätig. Dies könnte sich allerdings ändern, sollte die Stadt Essen die Zusammenarbeit mit dem Minderheitsgesellschafter beenden und die EBE wieder vollständig in kommunalen Besitz überführen. Eine Entscheidung darüber steht Mitte des Jahres an. Remondis kann den gewerblichen Containerdienst von der EBE für zwei Millionen Euro übernehmen. Die Stadt hat dem privaten Entsorger ein Vorkaufsrecht eingeräumt.
Remondis unterhält bereits eine Recyclingstation auf dem Econova-Gelände in unmittelbarer Nähe zu Harmuth, dessen Betriebsgelände als Filetstück gilt. Synergieeffekte lägen also buchstäblich nahe.
Welches Interesse hätte dagegen die EBE an der „Harmuth-Offensive“? Ein unmittelbarer Mitbewerber würde geschwächt. Die Abfallbranche mag ein schmutziges Geschäft sein, aber würde sich ein kommunal beherrschtes Unternehmen dafür unlauterer Methoden bedienen?
Welche Schlüsse zieht der EBE-Aufsichtsrat aus den Untersuchungsergebnissen?
Hinweise darauf, dass die Stadt Essen als Gesellschafter der EBE Kenntnis von der umstrittenen Vertriebsoffensive gehabt haben könnte, gibt es nach Erkenntnissen der Anwälte nicht. Ulrich W. Husemann, von der Stadt bestellter Geschäftsführer der EBE, habe erst davon erfahren, als er vom Betriebsrat über die Vertriebsaktivitäten und den Unmut der Mitarbeiter informiert wurde.
Linke will EBE-Geschäftsführer einbestellen
Mit den internen Untersuchungen bei den Entsorgungsbetrieben Essen (EBE) beschäftigt sich auch die Politik. Die Linke im Rat der Stadt fordert in einem Antrag an den für städtische Beteiligungen zuständigen Fachausschuss einen Sachstandsbericht ein. Die Geschäftsführer der EBE sollten in der März-Sitzung des Ausschusses persönlich berichten. Konkret fragt die Linke nach Verstößen gegen Compliance-Regeln und nach möglichen Rechtsverletzungen. Ferner möchte die Fraktion Hintergründe zu den von der EBE benannten Verstößen gegen das Datenschutzrecht erfahren.
Im Raum steht vielmehr die Frage, ob der EBE ein wirtschaftlicher Schaden erlitten hat, indem Harmuth mit „Dumpingpreisen“ unter Feuer genommen wurde. Eine Rechtsanwaltskanzlei, die unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorkommnisse als erste von der Geschäftsführung mit einer Einschätzung betraut worden war, vermag keinen wirtschaftlichen Schaden zu Lasten der EBE erkennen. Die anschließend vom Aufsichtsrat zwecks Einholung einer zweiten Meinung beauftragte Kanzlei soll einen solchen nach bisherigen Erkenntnissen wenn überhaupt als niedrig einschätzen.
Noch beschäftigen sich intern Juristen mit der Materie. Abzuwarten bleibt, welche Schlüsse der Aufsichtsrat der EBE aus den Untersuchungsergebnissen zieht. Ebenso, ob sich möglicherweise Ermittlungsbehörden für die Vorgänge interessieren.
Das Image der EBE ist bereits beschädigt und dürfte noch weiter Schaden nehmen. Wie ließ doch der Datenschutzbeauftragte in seiner E-Mail zu den Verstößen gegen das Datenschutzrecht wissen: Sobald der gesamte Sachverhalt vorliege, würden auch die betroffenen Kunden informiert. Es sollen mehrere Hundert sein, die bald Post bekommen dürften.