Essen. Per Zwangsversteigerungen zum Traumhaus? Viele Bieter werden enttäuscht. Auch in Essen gehen die Immobilien häufig über dem Marktwert weg.

Wer sich in Essen den Traum von den eigenen vier Wänden erfüllen will, hat in den vergangenen Jahren die schmerzliche Erfahrung machen müssen: Ein Haus oder eine Wohnung für einen guten Preis zu finden, ist fast unmöglich geworden. Die Preise gehen durch die Decke. Zuletzt schossen sie binnen eines Jahres um 14 bzw. 20 Prozent in die Höhe.

Wer jedoch darauf hofft, bei einer Zwangsversteigerung mehr Glück zu haben, wird auch hier oftmals enttäuscht. Zum einen ist das Angebot äußerst klein geworden und zum anderen: Wenn ein Haus oder eine Wohnung unter den Hammer beim Amtsgericht in der Zweigertstraße kommt, dann müssen die Erwerber oft deutlich mehr Geld mitbringen als die Immobilie zuvor von einem Gutachter taxiert wurde.

Das war früher anders. „Noch in den 1990er Jahren gingen Häuser bei Zwangsversteigerungen häufig für weniger als die Hälfte des Verkehrswertes weg“, berichtet Michael Schütz, Sprecher des Amtsgerichtes. Heute jedoch werde der Verkehrswert in der Regel überboten. Und das, obwohl sich die höheren Immobilienpreise natürlich auch in den Gutachten niedergeschlagen haben – also bereits von vornherein höhere Summen für die Immobilien bei Gericht aufgerufen werden. Dass ein Haus wie früher für weniger als die Hälfte des Verkehrswertes versteigert wird, „ist die absolute Ausnahme“, so Schütz.

Bieter für Haus in Essen-Rüttenscheid hatte Glück

Beispiele für erzielte Preise bei den Versteigerungen veröffentlicht das Amtsgericht nicht. Wie ein Kenner der Branche berichtet, ist es nicht selten, dass der Verkehrswert um 30 bis 50 Prozent überboten werde, manchmal auch mehr. Kürzlich sei ein Einfamilienhaus in Borbeck beispielsweise für rund 430.000 Euro ersteigert worden. Der Verkehrswert war von einem Gutachter bei etwa 280.000 Euro angesetzt worden.

Aber auch Schnäppchen sind nicht ausgeschlossen. So soll ein Bieter für ein Haus in Rüttenscheid schließlich 460.000 Euro gezahlt haben. Den Marktwert hatte der Gutachter auf über 800.000 Euro taxiert. Vielleicht, so vermutet der Beobachter der Szene, lag das am frühmorgendlichen Versteigerungstermin um 8 Uhr oder daran, dass viele ihre Chance möglicherweise für zu klein erachtet hatten und gar nicht erst zum Termin gegangen sind.

Interesse an Zwangsversteigerungen in Essen spürbar gewachsen

In den meisten Fällen jedoch versammeln sich heutzutage deutlich mehr Bieter im Saal als noch in früheren Zeiten. Mit den steigenden Preisen am Immobilienmarkt und dem geringer werdenden Angebot ist das Interesse an Zwangsversteigerungen spürbar gewachsen. Das Gericht zählt die Bieter zwar nicht. Doch Schütz schätzt, dass Zwangsversteigerungen derzeit im Durchschnitt doppelt so viele Interessenten anlocken als noch in den 90er Jahren.

Auch die Bieterstruktur hat sich verändert. Kamen in der Vergangenheit meist Immobilienhändler, die auf ein Schnäppchen aus waren, sind es heutzutage fast ausschließlich Privatleute. „Für Händler sind Zwangsversteigerungen nicht mehr interessant, weil bei den hohen Preisen, die geboten werden, deren Marge weg ist“, so Schütz.

Das hohe Interesse, an eine Immobilie über eine Zwangsversteigerung zu kommen, trifft jedoch auf ein äußerst geringes Angebot. Der Grundstücksmarktbericht der Stadt, der alle Kauffälle aufführt, registrierte 2021 lediglich 35 Zwangsversteigerungen. Im Jahr zuvor waren es noch weniger. Die Anmeldungen bei Gericht sind zwar meist deutlich höher. Doch häufig dauern Verfahren länger, verschieben sich Termine oder fallen ganz aus. Auch in diesem Jahr sind die anberaumten Zwangsversteigerungstermine eher übersichtlich. Von Anfang Mai bis Mitte Juni sollen gerade einmal neun Immobilien unter den Hammer kommen. Ob alle Termine tatsächlich zustande kommen, ist jedoch noch fraglich.

Warum aber gibt es so viel weniger Zwangsversteigerungen als noch Mitte des vergangenen Jahrzehnts? Schütz sieht als Hauptursachen die niedrigen Zinsen sowie die gute wirtschaftliche Lage mit geringer Arbeitslosigkeit. Das versetze die Menschen in die Lage, ihre Kredite zu bedienen. Außerdem: Geraten Immobilienbesitzer dennoch in finanzielle Nöte oder müssen ihr Haus wegen einer Trennung verkaufen, dann tun sie das derzeit meistens freihändig. Der Markt gibt schließlich gute Preise her.

Zwangsversteigerungen dürften wieder zunehmen

Experten glauben jedoch, dass die Zahl der Zwangsversteigerungen in Zukunft wieder zunehmen wird. Vor allem Eigentumswohnungen und Mehrfamilienhäuser, die als Anlage gekauft wurden, könnten wieder häufiger unter den Hammer kommen, glaubt ein lokaler Zwangsverwalter, der namentlich nicht genannt werden will. „Wenn sich die Mieter die Miete nicht mehr leisten können, gerät häufig auch die Finanzierung beim Eigentümer ins Wanken“, berichtet er aus seinen Erfahrungen. Er glaubt, dass die Mietausfälle demnächst steigen werden, allein, wenn die Mieter ihre höheren Nebenkostenabrechnungen bekommen und sich die Wohnung nicht mehr leisten können.

Auch die steigenden Bauzinsen könnten demnächst wieder mehr Immobilienbesitzer in eine Zwangslage bringen. „Wer bei steigenden Zinsen umschulden muss, ist schnell pleite“, meint Schütz.