Essen. Der Kunden-Andrang ist spürbar gestiegen, im Mai muss Tafel-Chef Jörg Sartor erstmals seit 2019 wieder abweisen. Das sind die Gründe.
Die Tafeln im ganzen Land berichten über sehr hohen Andrang, und nun werden auch bei der Essener Tafel erstmals seit Jahren die Plätze knapp. Zunächst für den ganzen Mai gebe es einen Aufnahmestopp, teilt der Vorsitzende Jörg Sartor am Mittwoch (27.4.) mit: „Jetzt sind wir voll!“ Es ist das erste Mal seit 2019. Vor einer Woche hatte Sartor gegenüber unserer Redaktion noch geäußert, dass es dazu spätestens Mitte Mai kommen könnte.
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Alle 1600 Berechtigungskarten sind vergeben, die Nachfrage ist laut Sartor derzeit konstant höher als die normale Fluktuation, durch die sichergestellt wird, dass immer wieder Plätze frei werden.
Mittlerweile stehen mittwochs 120 Menschen an, darunter viele ukrainische Flüchtlinge
Wenn Mittwoch morgen um 9 Uhr bei der Tafel-Zentrale am Wasserturm Steeler Berg die neuen Kunden anstehen, so waren das in den letzten Jahren zumeist um die 40. „Jetzt hatten wir 120 Leute, die Schlange zog sich einmal um den Turm“, berichtete Sartor letzte Woche. Zwei von drei potenziellen Neukunden waren in den letzten Wochen Flüchtlinge aus der Ukraine. Dass mittlerweile mehr als 5000 Ukrainer in Essen aufgenommen wurden, mache sich auch bei der Tafel bemerkbar.
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Jörg Sartor mag dennoch nicht in das Wehklagen vieler Kollegen von anderen Tafeln einstimmen und bleibt bei seinem schon früher geäußerten Standpunkt: „Niemand müsste in diesem Land und in dieser Stadt hungern, wenn es die Tafeln nicht gäbe.“ Die Tafeln seien nicht dafür da, die soziale Grundversorgung zu sichern, dies leiste die Stadt Essen zuverlässig im Rahmen der sozialgesetzlichen Vorschriften. Vielmehr gelte es, brauchbare Lebensmittel vor dem Wegwerfen zu bewahren und ärmeren Menschen so eine Zusatzversorgung zu bieten.
Gestiegene Preise für Lebensmittel seien noch nicht die Ursache für den Andrang
Nicht jeder kann deshalb nach Belieben zur Tafel kommen, weil er vielleicht Geld sparen will oder gerade knapp bei Kasse ist. Vorzuweisen sind Belege, dass man entweder Hartz IV-Empfänger ist oder Wohnungsgeld erhält oder anspruchsberechtigt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ist. „Wir sind da sehr genau und lassen auch keine Ausnahmen gelten“, betont Sartor. Denn mache man das, gebe es kein Halten mehr und es stelle sich früher oder später die Gerechtigkeitsfrage.
Anders als die Kollegen anderer Tafeln, hat Jörg Sartor noch nicht den Eindruck, dass es die gestiegenen Preise für Lebensmittel sind, die den Kundendruck massiv erhöhen. Das könne aber noch kommen. Auch die hie und da zu hörende Klage, dass die großen Handelsketten wegen der Hamsterkäufe nicht mehr so viel übrig haben, kann man in Essen so nicht bestätigen.
„Was da jetzt knapp wird in den Supermärkten, Speiseöl oder Klopapier, haben wir doch gar nicht“, so Sartor. Frisches Gemüse allerdings gebe es wegen der lange sehr kalten Witterung derzeit tatsächlich weniger als sonst, aber das werde sich nun wohl bald ändern – wie jedes Jahr. „Wenn eine Gurke nur noch ein paar Cent im Einkauf kostet, nimmt der Kaufmann ein paar mehr und der Überschuss ist dann oft eben auch größer.“
Pandemie sorgte für eine gewisse Entspannung – das ist vorbei
1600 Berechtigungskarten stellt die Essener Tafel maximal aus, weil viele der Karten für ganze Familien gelten, profitieren rund 5000 Menschen. Weil unter 60-Jährige nur maximal ein Jahr Lebensmittel abholen dürfen und dann ein Jahr Tafel-Pause einlegen müssen, gebe es in der Regel eine gewisse Fluktuation. „In den letzten Jahren waren immer 200 bis 250 Karten nicht vergeben“ sagt Sartor. Auch die Pandemie habe dazu beigetragen, dass der Andrang geringer war und es rund um den Wasserturm relativ entspannt zuging.
Das genau scheint aber nun zu Ende zu gehen, die Tafel muss abweisen. Könnte man nicht noch mehr tun? Theoretisch ja, meint Sartor. „Aber uns fehlen Leute, die mitarbeiten wollen.“ Kapazität und daraus resultierend begrenzte Organisationskraft seien das Problem. Lebensmittel, die in den Müll wandern, gebe es hingegen durchaus noch mehr als jetzt verteilt werden kann.