Essen. Auch 16.964 gültige Unterschriften helfen dem Bürgerbegehren nicht: Der Vorstoß sei aus mehreren Gründen unzulässig, heißt es in einem Gutachten.
Den Auftakt bekamen sie noch locker hin: 16.964 gültige Unterschriften für die Gründung einer städtischen Krankenhaus-Firma, das waren zwar deutlich weniger als von vielen erhofft, aber immer noch weit mehr als erforderlich, um das Klinik-Begehren über die erste Hürde zu hieven. An der zweiten aber sehen sich die Initiatoren nun jäh ausgebremst, denn das Begehren, es scheint rechtlich unzulässig: So steht es im Gutachten einer Anwaltskanzlei, so steht es in der Empfehlung der Stadtverwaltung, und so wird es der Rat wohl am Mittwoch beschließen. – K.o. in der zweiten Runde.
Der Niederschlag aus dem Rathaus kommt dabei alles andere als überraschend. Schon im Herbst 2020 äußerte die Stadt arge Zweifel, ob man Bürgerinnen und Bürgern eine Entscheidung zubilligen kann, die „unkalkulierbare“ finanzielle Folgen in dreistelliger Millionenhöhe nach sich zieht. Eine gutachterliche Stellungnahme der Düsseldorfer Rechtsanwalts-Kanzlei Gleiss Lutz bestärkte das Rechtsamt in seiner großen Skepsis. Die Folge: Monatelang weigerte sich die Stadt, jene Kostenschätzung abzugeben, die für den Fortgang eines Bürgerbegehrens unerlässlich ist.
Vier Zahlen für einen Kostenfall
Mit den folgenden vier Zahlen hatte die Stadt im März vergangenen Jahres die finanziellen Auswirkungen des Klinik-Entscheids umschrieben: Rund 30.000 Euro kostet es, eine gemeinnützige Träger-Gesellschaft mit 25.000 Euro Stammkapital aus der Taufe zu heben.Mit etwa1,3 Millionen Euro pro Jahr beziffert die Stadt die Kosten für das Konzept einer stimmigen stationären Gesundheitsversorgung im Essener Norden.Gut 162 Millionen Euro müssten für ein 513-Betten-Haus investiert werden, schätzt die Stadt, 30-prozentiger Risiko-Aufschlag und den Zinskosten inklusive.Irgendwo zwischen 15 und 20 Millionen Euro jährlich fielen als jährliches Defizit für eine kommunale Klinik an.
Der Zeitpunkt des „Später mal“ ist jetzt gekommen
Eine Blockade, die das Initiatoren-Trio damals so nicht hinnehmen mochte. Man zog vors Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen – und bescherte der Stadt dort eine herbe juristische Klatsche. Zwar konnten die Richter die Sorgen im Rathaus vor explodierenden Kosten eines letztlich geplanten städtischen Klinik-Betriebs nachvollziehen. In der laufenden Debatte mahnten sie aber eine deutlich zurückhaltendere Rolle der Stadtverwaltung an: Weder die Stadt noch das Gericht hätten „in diesem Stadium des Verfahrens eine Entscheidung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens zu treffen“, hieß es wörtlich. Das sei später mal Sache des Stadtrates.
Und dessen Zeit ist jetzt gekommen: Am Mittwoch soll das Stadtparlament unter dem Tagesordnungspunkt 7 formell feststellen: „Das Bürgerbegehren ,KrankenhausEntscheid Essen’ ist unzulässig.“
Eine gekürzte Begründung und finanzielle Bedenken
Argumentative Schützenhilfe gewährt erneut die Düsseldorfer Rechtsanwalts-Kanzlei Gleiss Lutz, die ihre alte gutachterliche Stellungnahme um einen Nachtrag ergänzt hat. Und die nun gleich drei Gründe anführt, warum das Begehren aus ihrer Sicht nicht zulässig sei:
Erstens hätten die Initiatoren die städtische Kostenschätzung nicht 1:1, sondern nur verkürzt wiedergegeben – gerade mal neun Zeilen Text aus einem vierseitigen Elaborat.
Zweitens bedeute die Gründung einer städtischen Klinik-GmbH ja nur einen „Zwischenschritt“, denn am Ende gehe es doch wohl darum, die Krankenhaus-Landschaft im Essener Norden neu zu sortieren. Dabei blieben derzeit allerdings zahllose Details offen: Die geforderte abschließende Regelung eines Sachverhaltskomplexes werde damit nicht erreicht.
Und drittens bestünden aus finanziellen Gründen massive Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Bürgervotums. Denn auch wenn die Stadt den NRW-Stärkungspakt hinter sich lassen konnte und nun durch ruhigeres finanzielles Fahrwasser steuert – immer noch gehöre Essen zu den am höchsten überschuldeten Städten der Republik. Die finanziellen Risiken eines Klinikbetriebs verstießen damit wohl gegen Haushaltsrecht.
„Das ist keine Bürger-Beteiligung, das ist Bürger-Blockade“
Für die Initiatoren des Bürgerbegehrens sind all dies wenig überzeugende Begründungen. Von wegen gekürzte Kostenschätzung: Hätte man dem Unterschriftenblatt etwa vier Seiten Kostenschätzung anheften sollen? Warum darf man sich nicht auf die bloße GmbH-Gründung versteifen und muss ausgerechnet in diesem Fall das Thema letztabschließend beschließen? Und ist der Verweis auf die Finanz-Risiken nicht ein Totschlagsargument?
Hans Peter Leymann-Kurtz, einer der drei Vertretungsberechtigten des Klinik-Begehrens zeigte sich am Montag empört, wie die Stadt zwei Tage vor der entscheidenden Ratssitzung das Begehren ausbremse: „Das ist keine Bürger-Beteiligung, das ist Bürger-Blockade“, wetterte der ehemalige Bürgermeister, „und das wäre sicher nicht passiert, wenn es sich um Radfahrer oder Klimafragen gehandelt hätte“.
Ganz klar erkennbar sei der Versuch, die Initiative erneut zu einem Gang vor Gericht zu nötigen, ein Schritt, der nicht nur viel Energie und Zeit, sondern auch eine schöne Stange Geld für Anwälte und das Gericht koste. Überdies ist völlig offen, ob das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen erneut eine Eilbedürftigkeit erkenne oder die Entscheidung auf das Verfahren in der Hauptsache schiebe: Dafür könnten gut und gerne eineinhalb Jahre ins Land gehen. Für 16.964 gültige Unterschriften kann man sich jedenfalls nichts kaufen.