Essen. Um Flüchtlinge aus der Ukraine unterzubringen, richtet Essen Notunterkünfte wie das frühere Marienhospital her. Und das ist wohl erst der Anfang.
Die Flüchtlingslage in Essen spitzt sich täglich weiter zu, Oberbürgermeister Thomas Kufen spricht von einer „sehr angespannten Situation“ und fordert von Bund und Land NRW eine bessere Organisation der Fluchtwelle. Die Menschen aus der Ukraine drängten verständlicherweise zunächst in die größeren Städte, die ihnen bekannt seien. Eine vorausschauende und effiziente Verteilung durch die staatlichen Ebenen sei aber unabdingbar, um in den Kommunen Über- und Unterforderungen zu vermeiden, so Kufen.
Offzielle Unterbringungsmöglichkeiten sind in Essen bereits ausgeschöpft
Stand Sonntag (20. März) waren 2830 Ukrainer, ganz überwiegend Frauen und Kinder, in Essen registriert. Und obwohl rund 2000 von ihnen privat bei Verwandten, Freunden oder hilfsbereiten anderen Menschen unterkamen, seien die vorhandenen Unterbringungsmöglichkeiten in Essen bereits ausgeschöpft, so der OB. Noch vor gut einer Woche glaubte man die Lage angesichts der damaligen Zahlen im Griff zu haben. Das ist vorbei.
Die Suche nach weiteren Unterkünften läuft auf Hochtouren, schon sind erste Notmaßnahmen konkret im Gespräch. Noch am Montag (21. März) soll nach Angaben des OB das Handball-Leistungszentrum in Frohnhausen mit 43 Plätzen bezugsfertig sei. Für die Belegung mit Flüchtlingen sind auch das frühere, mittlerweile geschlossene Priesterseminar Kardinal-Hengsbach-Haus in Werden und ein Wohncontainer-Standort an der Ruhrtalstraße in Kettwig vorgesehen. Auch das leerstehende Marienhospital in Altenessen soll ab Dienstag (22. März) belegt werden. Entscheidend ist das Vorhandensein einer Not-Möblierung. Die Anmietung von Wohnungen etwa nütze nichts, wenn diese leer sind, so Kufen.
Nach Angaben des OB macht besonders Probleme, dass rund 1000 der 2830 Ukrainer unter 18, rund 600 davon sogar unter zehn Jahre alt sind. Das stellt vor allem die Schulen vor schwierige Situationen, da nicht aus dem Stand neue und größere Klassen gegründet werden können.
OB Kufen schließt angesichts der Fluchtwelle selbst Zeltstädte nicht mehr aus
Bei der Suche nach kurzfristigen Unterbringungsmöglichkeiten sind auch die Messe-Gesellschaften in NRW angefragt worden. „Die Messe Essen hat mit Hinweis auf die unmittelbar bevorstehenden Großveranstaltungen Techno Classica und Equitana erklärt, derzeit keine Kapazitäten zu haben“, so Kufen. Vor dem Hintergrund, dass coronabedingt viele Messen ausfielen und es nun wieder losgehen solle, sei das verständlich. Auszuschließen sei indes nichts. „Notfalls müssen die entsprechenden Messe-Kapazitäten vom Land NRW freigekauft werden“, so Kufen.
Rund eine Million Ukrainer werden allein in Deutschland erwartet – „mehr als bei der Flüchtlingswelle 2015/16“, gibt Kufen zu bedenken. Möglich, dass man auch wie damals wieder Zeltstädte in Essen sehen werde. „Ausschließen lässt sich auch das nicht mehr“, so der OB.
Kufen: Bundesregierung hat viel zu spät reagiert
„Viel zu spät hat die Bundesregierung die dramatische Aufnahmesituation in den Kommunen wahrgenommen“, klagt Kufen. „Erst seit heute (21. März) soll eine geregelte Verteilung nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel einsetzen.“ Von einem geordneten und strukturierten Verteilungsverfahren sei man allerdings noch weit entfernt.
„Der Bund muss mehr dafür tun, um Menschen bereits an der Grenze zu Polen zu registrieren und nach vorhandenen Aufnahmekapazitäten auf die Kommunen in Deutschland zu verteilen.“ Die freie Wahlmöglichkeit des Aufenthaltsortes der Geflüchteten lasse bislang nur eine begrenzte Steuerungsmöglichkeit zu. „Deshalb muss eine Wohnsitzauflage intensiv geprüft werden, damit alle Kommunen in allen Bundesländern Mitverantwortung zur Unterbringung, Versorgung und Integration leisten können“, so Kufen.