Essen. Ein Buch würdigt jetzt den Jugendpfarrer Busch vom Essener Weigle-Haus. Der Geistliche begeisterte junge Menschen und widersetzte sich den Nazis.
50 Jahre ist es her, dass er in Ruhestand ging – als „ältester Jugendpfarrer der Welt“. Im Weigle-Haus im Essener Südviertel ist Wilhelm Busch (ein Namensvetter des Max-und-Moritz-Schöpfers) bis heute in lebendiger Erinnerung. Drei Jahrzehnte lang prägte er das evangelische Jugendheim: Er widersetzte sich den Nazis, wurde mehrmals verhaftet; blieb auch nach dem Krieg ein so streitbarer wie charismatischer Kirchenmann. Daran erinnert Matthias Hilbert im Buch „Unvergessene Pastoren und Evangelisten“.
Hilbert schildert Busch als ungeduldigen Pietisten, der am 27. März 1897 – vor 125 Jahren – in Wuppertal in eine Pfarrerfamilie hineingeboren wurde. Der seine Berufung freilich erst nach einem Erweckungserlebnis fand: 1915 zieht er noch als junger Freiwilliger in den Ersten Weltkrieg, kämpft mit der berittenen Artillerie und wird („mein Stolz war ungeheuer“) mit 19 Jahren Offizier.
„Mit Leib und Seele lebte ich in der militärischen Welt. Das Christentum, das ich von zu Hause mitgebracht hatte, ging in Fetzen davon“, notiert er später. Dann sieht er an der Westfront, wie sein Kamerad von einem Granatsplitter getroffen wird, sofort tot ist. Es hätte ihn treffen können, spürt Busch, fleht: „Lieber Gott, lass’ mich nicht fallen, ehe ich weiß, dass ich nicht in die Hölle komme.“ Er findet Trost im Neuen Testament, das ihm die Mutter in sein Marschgepäck gesteckt hat, will nun Pfarrer werden und „jungen Menschen sagen, wie sie selig werden“.
Als trostlos erlebt der Pfarrer den ersten Gang durch Essen
Nach dem Studium wird er 1924 Gemeindepfarrer der evangelischen Altstadtkirchengemeinde in Essen. Den ersten Gang durchs Viertel an einem Novembertag schildert er so: „Geschwärzte Mauern umgaben die drei Kohlenzechen. Riesige Mietskasernen bildeten die Wohnungen für ungezählte Familien. Dazwischen waren wieder Straßen mit kleinen, rußigen Häuslein, [...] Ich sah Männer torkelnd aus Kneipen kommen. Ich hörte misstönendes Geschrei aus den Wohnungen. Ich sah Kinder, die das Pflaster aufgegraben hatten, um ein wenig Sand zum Spielen zu finden. Es war mehr als trostlos.“
Busch stürzt sich auf die Aufgabe, macht Hausbesuche und seelsorgerliche Sprechstunden, verzagt nicht, wenn ihm eine Tür vor der Nase zugeschlagen wird. Viele Arbeiter gewinnt er, weil er Verständnis hat für ihren gewerkschaftlichen und politischen Kampf: „Die Lebensverhältnisse waren wirklich unerträglich.“
Im Essener Inferno gibt es damals ein Jugendheim, das für Hunderte Jungs „Heimat und Paradies“ ist, wie Autor Hilbert schreibt. Ein Haus, das Bibelstunden bietet – und Turnhalle, Lesezimmer, Dunkelkammer, Film- und Spielsaal beherbergt. Gegründet und geführt von Pfarrer Wilhelm Weigle, der Gottesdienste mit 800 jungen Menschen feiert, „bester Freund“ der Jugendlichen sein will.
Den Nazis ist der unkonventionelle Kirchenmann ein Ärgernis
Busch, der 1929 Weigles Nachfolger wird, setzt dessen Arbeit fort. Gründet 1931 die Universität der Erwerbslosen, beschenkt sie mit Bildung: hochmodern von Esperanto bis Englisch, von Architektur bis Jiu-Jitsu. Den Nazis ist der unkonventionelle Pfarrer ein Ärgernis. Busch beschließt umgekehrt, er müsse sich „gegen die innerkirchliche Bewegung der Deutschen Christen (DC) stellen, die aus überzeugten Nationalsozialisten bestand“. Er schließt sich der Bekennenden Kirche an, warnt in einem Weckruf 1935: „Ein neues Heidentum läuft hasserfüllt Sturm gegen das Evangelium.“
Weil die Nazis regelmäßig kirchliche Jugendheime überfallen, stellt Busch mit Schülern und Studenten eine 24-Stunden-Wache auf. Als die HJ wirklich angreift, leisten die Jungen robust Widerstand, schlagen die Angreifer in die Flucht, verprügeln sie am Hauptbahnhof. „Ich hatte meinen Jungs gesagt: ,Wenn schon, denn schon’“, erklärt der Pfarrer. Doch der Sieg hinterlässt bei Busch, der seit dem Krieg Pazifist ist – und später gegen Wiederbewaffnung und Atomwaffen protestieren wird –, ein zwiespältiges Gefühl. Mit den Jungen diskutiert er, ob die Aktion mit christlichen Werten vereinbar war.
Die Nazis, die alle Jugendverbände der Hitlerjugend eingliedern, verbieten Buschs Arbeit – er setzt sie mit neuem Etikett fort, das evangelische Jugendheim wird zum Weigle-Haus. Der Rechtsanwalt und spätere Bundespräsident Gustav Heinemann macht den Verein Jugendhaus zum Träger des Hauses und schützt es so. Busch selbst wird mehrfach festgenommen, fühlt sich nach wochenlanger Haft „geschändet und erniedrigt“ – bleibt jedoch standhaft.
Die Gestapo droht ihm mit dem Konzentrationslager
Ulrich Parzany, der 1967 Leiter des Weigle-Hauses wird, hat über seinen Vorgänger ein Buch geschrieben und dafür Akten der Gestapo eingesehen. Die notiert 1936: „Er vertrat hier den Standpunkt, dass vor Gott alle Rassen gleich seien… Auf diese Weise versucht er, die Ziele der Bewegung in Bezug auf Rassenfragen zu bagatellisieren und ins Lächerliche zu ziehen.“ Busch sei unverbesserlich, notiert ein V-Mann, er leiste „schlimmere Zersetzungsarbeit als die KPD“. Als er gegen ein Redeverbot verstößt und verhaftet wird, droht man ihm, beim nächsten Verstoß habe er mit „Überführung ins Konzentrationslager zu rechnen“.
Jugendpfarrer lebt im Essener Weigle-Haus fort
Arbeit und Leben von Jugendpfarrer Wilhelm Busch, besonders sein Widerstand gegen die Nazis, wirkten bis heute im Weigle-Haus nach, sagt Leiter Rolf Zwick. „Es gibt Jugendliche, die bei uns groß geworden sind, die in der Oberstufe eine Facharbeit über ihn schreiben.“
In der Ausstellung zum 100. Geburtstag des Weigle-Hauses habe man 1996 auch einige Fotos und Dokumente zu dem langjährigen Leiter des Hauses gezeigt. Sein Nachfolger Ulrich Parzany legte mit „Im Einsatz für Jesus“ (1973) eine Biographie über Busch vor. Während der Gründer des Hauses, Wilhelm Weigle, ein Ehrengrab habe, gebe es Buschs Grab auf dem Ostfriedhof heute nicht mehr, sagt Zwick.
Matthias Hilbert würdigt Busch nun mit einem Aufsatz in dem Buch „Unvergessene Pastoren und Evangelisten“, Adlerstein Verlag 2021.
Anders als andere Kirchenmänner setzt sich der Familienvater großer Gefahr aus und sagt doch nach 1945: „Wenn ich geschrien hätte, wie ich hätte schreien sollen, stünde ich jetzt nicht hier, sondern wäre in Plötzensee hingerichtet worden.“ Als die Kirche in den 1960er Jahren gegen Rolf Hochhuths papstkritisches Stück „Der Stellvertreter“ Sturm läuft, mahnt Busch: „Statt gegen die Aufführungen zu demonstrieren, hielte ich es für richtiger, wenn auch die Kirchen sagten: ,Jawohl, wir haben schrecklich versagt’.“
Hilbert schildert Busch nicht allein als unbeugsamen Pfarrer, sondern auch als Missionar, der noch in fortgeschrittenem Alter Evangelisationsdienste übernahm, sich mit Gitarre spielenden Jugendlichen auf Plätze stellte. Und der beklagte, dass in seiner Kirche die „missionarische Leidenschaft im Schwinden“ sei.
Jugendliche loben den Pastor als Mittel gegen Langeweile
Busch selbst habe das Evangelium von Jesus Christus wie eine brandaktuelle Botschaft vermittelt, schreibt Parzany, der als Junge frühmorgens aufstand und eine halbe Stunde zum Gottesdienst lief: „Wilhelm Busch war ein absolut sicheres Mittel gegen Langeweile.“ Auch der Burg-Schüler und spätere NRW-Finanzminister Diether Posser schwärmte: „Er hatte die Gabe, mit jungen Menschen umzugehen und ihnen das Evangelium nahezubringen, dass wir uns auf jedes Treffen im Weigle-Haus freuten.“ Busch habe lieber legere, helle Anzüge getragen als den „Lutherrock“, habe Jugendarbeit mit Sport, Erzählstunden und Fahrten gemacht.
Er war ein Mann, der trotz schwerer Schicksalsschläge – früh verlor er zwei Söhne – fröhlich und temperamentvoll blieb. Mit 69 Jahren starb er nach einer Evangelisationswoche in Lübeck. Als er am 24. Juni 1966 in Essen beigesetzt wurde, begleiteten Tausende den Sarg von der Auferstehungskirche zum Ostfriedhof.