Essen. Rot-Weiss Essen schätzt rund 130 seiner Fans als problematisch ein, darunter Alt-Hooligans, Rocker und Kampfsportler. Das will der Verein tun.
Der mutmaßliche Täter ist gefasst, Rot-Weiss Essen hat gegen den 29-Jährigen ein lebenslanges Stadionverbot verhängt. Vor Gericht wird sich der Familienvater aus Marl wegen gefährlicher Körperverletzung und der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion verantworten müssen. Für den Traditionsverein von der Hafenstraße ist der Fall damit aber nicht erledigt. Zu lautstark war das mediale Echo, zu groß ist der Imageschaden, den die unverantwortliche Tat angerichtet hat. Ja, es sieht so aus, als habe der Böllerwurf etwas ausgelöst, auf das nicht wenige warten. Auch solche, die es gut meinen mit RWE: Der Verein wird sich dem problematischen Teil seiner Fanszene annehmen.
„Wir wissen, dass wir mehr tun müssen“, sagte Marcus Uhlig am Dienstag vor dem Sportausschuss des Stadtrates. Der Vorstandsvorsitzende von Rot-Weiss Essen zeigte sich selbstkritisch und kündigte an: So wie bisher kann und soll es nicht weitergehen.
Eine Fernseh-Dokumentation wirft RWE vor, das Fan-Problem zu verharmlosen
Michael Schwamborn, der Vorsitzende des Sportausschusses, hatte Uhlig eingeladen, lange bevor der Böllerwerfer RWE bundesweit in die Schlagzeilen brachte. Den Anstoß für die Einladung gab eine Fernsehreportage von „Sport Inside“ über den Umgang von Fußballvereinen mit Fans aus der rechten Szene. RWE, so der Tenor, gehe mit diesem Problem seit Jahren viel zu lax um.
Uhlig widersprach, der Verein sei auf dem rechten Auge nicht blind. „RWE wird schon gar nicht unterwandert durch eine rechte Szene.“ Aber sie sind da, „Alt-Hooligans“ mit mehrheitlich rechter Gesinnung, wie Uhlig ausführte. Drei Gruppen, etwa 60 Personen zählend, versammeln sich regelmäßig bei Heimspielen in Block W1 der Westtribüne, wo sie das Recht des Stärkeren für sich in Anspruch nehmen. Es gebe Verbindungen zu den „Steeler Jungs“, zum Rockermilieu, zur Kampfsportszene und zur organisierten Kriminalität. Ja, auch das.
In der Fanszene von RWE gibt es persönliche Kontakte zu verbotenen Gruppierungen
„Warum schmeißt RWE die nicht einfach raus“, werde sich mancher fragen, sagte Uhlig und gab selbst die Antwort: „So einfach ist das nicht.“ Denn im Stadion verhalte sich diese Gruppe unauffällig.
Gleich nebenan, in Block W2, trifft sich die Ultraszene, bestehend aus vier verschiedenen Gruppen, insgesamt etwa 150 Mann stark. Das Ansinnen der Ultras sei es, den Verein zu unterstützen. Aber es gebe auch in ihrem Kreis Verbindungen in die Kampfsportszene sowie persönliche Kontakte zu verbotenen Fangruppierungen, zu „0231 Riot“ aus Dortmund und den „Boyz Köln“.
Nicht alle seien potenzielle Störenfriede. „Wir reden vielleicht über 130 problematische Fans“, sagt Uhlig – „bei einem Zuschauerschnitt von 11.000 vor Corona“. Doch es ist diese vergleichsweise kleine Minderheit, die den Verantwortlichen Kopfschmerzen bereitet. Genügen doch einige wenige, um einen ganzen Verein in Verruf zu bringen. Wie der „Böllerwurf“ zeigte, schafft das sogar ein einziger.
Was tut RWE dagegen? Im Stadion setzt der Verein auf Abschreckung. Die in die Jahre gekommenen Überwachungskameras sollen in Kürze gegen ein modernes System ausgetauscht werden. Zur neuen Saison soll der Sicherheitsdienst „qualitativ und quantitativ“ neu aufgestellt werden. An den Toren soll künftig Sicherheitspersonal mit Konfektionsgröße XXL stehen. Den eigenen Ordnungsdienst habe RWE aufgelöst. „Wir arbeiten nur noch mit kommerziellen Anbietern zusammen“, kündigt Uhlig an. Der Verein will verhindern, dass Stadionverbote umgangen werden. Die enge Zusammenarbeit mit der Polizei, die sich bei Fahndung nach dem Böllerwerfer bewährt habe, werde RWE fortsetzen.
Die Fan-Arbeit will der Verein intensivieren. Gerade erst hat RWE mit Markus Biersa einen hauptamtlichen Fan-Beauftragten eingestellt. Der 42-Jährige war über Jahre Mitglied der Ultras Essen, ist bis heute aktiv bei den Freaks Essen und verfügt über Kontakte in die Szene. Bei dem Fan-Beauftragten werde es nicht bleiben, so Uhlig. Der Verein will eine komplette Abteilung aufbauen, die sich der Fanszene annehmen soll. Die Kooperation mit dem Awo-Fanprojekt will RWE wiederbeleben, denn die Zusammenarbeit war zuletzt „etwas eingeschlafen“, wie der RWE-Chef einräumte.
RWE will einen Fan-Kodex erarbeiten, den alle Fan-Clubs unterzeichnen sollen
Uhlig kündigte ferner an, dass RWE einen Fan-Kodex erarbeiten werde, dem sich die offiziellen Fan-Cubs unterwerfen sollen. Auch in seiner Satzung werde Rot-Weiss Essen „deutlich präziser Haltung zeigen“.
Ob all das genügt, um „Problemfans“ in Schach zu halten und bestenfalls für ein neues Klima an der Hafenstraße zu sorgen? Zunächst dürfte es darum gehen, zu verhindern, dass der von Uhlig als problematisch beschriebene Teil der Fanszene weiter zahlenmäßig wächst und an Einfluss auf der Tribüne gewinnt.
Negative Schlagzeilen
Durch den Wurf eines „Böllers“ beim Heimspiel zwischen RWE und Preußen Münster wurden zwei Auswechselspieler der Gästemannschaft verletzt. Durch Hinweise von Zuschauern konnte die Polizei einen 29-jährigen Mann aus Marl als Tatverdächtigen ermitteln. Die Polizei geht von einem Einzeltäter aus.Beim Hinspiel in Münster hatten RWE-Hooligans nach Abpfiff eine Tribüne gestürmt. Auch vor dem Stadion kam es zu Auseinandersetzungen.Vor dem Auswärtsspiel von RWE in Gelsenkirchen standen RWE-Fans am Bahnhof Buer Anhängern von Schalke 04 gegenüber. Die Polizei konnte nach eigenen Angaben eine Auseinandersetzung verhindern und sprach Platzverbote aus.
Der Sportausschuss ermunterte den RWE-Vorstand, weiterhin öffentlich Stellung zu beziehen, und sagte RWE seinerseits Unterstützung zu. Wohlfeile Worte, die dennoch willkommen sind. Nicht von Ungefähr warnte Uhlig vor zu hohen Erwartungen, als er in Anspielung an die „Steeler Jungs“, deren Umzüge durch Steele im Stadtteil immer wieder für Unruhe sorgten, formulierte: „Als Verein werden wir das Problem nicht in den Griff bekommen.“
Das dürfte RWE aber helfen: Ein führendes Mitglied der Gruppe soll im Nachklang von Ausschreitungen beim Auswärtsspiel in Münster mit einem bundesweiten Stadionverbot belegt worden sein. Insgesamt sprachen die Behörden Verbote gegen 13 Krawallmacher aus.