Ruhrgebiet. Sicherheitsbehörden sind am Samstag an vielen Orten im Ruhrgebiet gegen organisierte Clan-Kriminalität vorgegangen. Innenminister Reul vor Ort.
Sie gaben sich als Schlüsseldienst, Rohrreiniger oder Kammerjäger aus und knöpften ihren Opfern für ihre überteuerten und schlampigen Monteurs-Leistungen im Schnitt 1000 Euro ab. Deutschlandweit sollen sie so mindestens 151 Menschen betrogen haben – wobei Ermittler von einer weitaus größeren Dunkelziffer ausgehen. Nun hat die Polizei der Bande, die auch im Ruhrgebiet operierte, das Handwerk gelegt.
Mit einem „24-Stunden-Aktionstag“ sind die Sicherheitsbehörden in NRW am Samstag an vielen Orten im Ruhrgebiet gegen organisierte Clan-Kriminalität vorgegangen. Bis zum Nachmittag wurden Razzien in Essen, Mülheim, Bochum, Herne, Hattingen, Dortmund und Gelsenkirchen bekannt. Durchsucht wurden etwa Schrottplätze, Barbershops, Gaststätten, Shisha-Bars, Wettbüros und Spielhallen. Am Abend gab es auch Razzien in Duisburg (Mehr dazu lesen Sie hier.)
Razzien in Essen und anderen Städten: Fünf Haftbefehle vollstreckt
Rund 1500 Polizisten und weitere 300 Mitarbeiter von 20 Institutionen und Behörden wie etwa Zoll, Steuerfahndung und Ordnungsämtern nahmen insgesamt rund 160 Objekte unter die Lupe. Zwölf Betriebe wurden unter anderem aus gewerberechtlichen Gründen sofort geschlossen. Die Beamten vollstreckten 18 Haftbefehle und nahmen weitere 27 Menschen vorläufig fest, wie die Düsseldorfer Staatskanzlei am Sonntag berichtete.
Durchsuchungen gab es insgesamt in zwölf Städten und Kreisen, vor allem im Ruhrgebiet, aber auch in Velbert und Heiligenhaus (Kreis Mettmann) und in Troisdorf (Rhein-Sieg-Kreis). Laut NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) lief der Einsatz seit den frühen Morgenstunden landesweit. Das Ruhrgebiet gilt als eine Hochburg der Clan-Kriminalität in Deutschland.
„Mit diesen Razzien verfolgen wir vor allem drei Ziele: Erstens erwischen wir Menschen, die sich strafbar gemacht haben, zweitens klären wir Strukturen auf und finden Beweismittel und drittens wollen wir natürlich auch Unruhe stiften“, sagte Reul der Deutschen Presse-Agentur. „Kriminelle Clanmitglieder sollen wissen, dass wir vielleicht morgen oder übermorgen wieder da sind.“
Bande betrog bei Monteurs-Leistungen: SEK in Essen im Einsatz
„Dabei nehmen wir ganz gezielt unterschiedliche kriminelle Geschäftsmodelle unter die Lupe“, so Reul weiter. So wurde in Essen mit Hilfe von Spezialkräften ein 24-Jähriger mit Kontakten ins Clan-Milieu festgenommen, der mit fünf Komplizen Menschen mit überteuerten Monteursleistungen ausgenommen haben soll. Allein im Zusammenhang mit diesem Tatkomplex waren rund 200 Beamte an Durchsuchungen in insgesamt vier Städten beteiligt.
In einem anderen Fall in Bochum ging es unter anderem um den Verdacht illegaler Abfallentsorgung und illegalen Schrotthandels. In einem Gewerbegebiet wurden dabei zwei Gebäude durchsucht. (Mehr dazu lesen Sie hier) Auch dort waren zahlreiche Beamte im Einsatz. In Mülheim standen Barbershops im Fokus. In Gladbeck durchsuchten Einsatzkräfte zwei Spielhallen. In Duisburg-Marxloh wurden verbotene Spielautomaten aufgespürt.
In Recklinghausen stellte die Polizei ein Auto wegen des Verdachts der Unterschlagung sicher. Im Weiteren wurden zwei Strafanzeigen wegen des Verdachts des illegalen Glücksspiels geschrieben und ein Tippschein sichergestellt.
In Marl fertigten die eingesetzten Kräfte eine Strafanzeige wegen des Verdachts des illegalen Glücksspiels und stellten ein illegales Tischspielgerät sicher. Es folgten zwei weitere Anzeigen: Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz und die Abgabeverordnung.
In Gelsenkirchen sind laut Polizei 16 Objekte und 292 Fahrzeuge im gesamten Stadtgebiet durchsucht worden. Die Beamten vollstreckten dabei drei Haftbefehle. „Der Fokus liegt auf Gruppen, die als „Familienclan“ kriminell in Erscheinung treten und in der öffentlichen Wahrnehmung Räume für sich beanspruchen“, so die Gelsenkirchener Polizei (Mehr dazu lesen Sie hier).
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Reul über Razzia gegen Clan-Kriminalität: "Symbolkraft weit über den heutigen Tag hinaus"
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) äußerte sich in einer ersten Bilanz am Sonntag zufrieden: „Ich bin sicher, dass dieser 24-Stunden-Marathon im kriminellen Clan-Milieu Symbolkraft hat, weit über den heutigen Tag hinaus. Damit machen wir klar, dass wir dranbleiben“, sagte er laut einer Mitteilung.
Bei ihren Kontrollen erstatteten die Beamten mehr als 140 Strafanzeigen und schrieben weitere rund 800 Anzeigen wegen Ordnungswidrigkeiten. Außerdem verhängten sie mehr als 850 Verwarngelder. Im Laufe des Aktionstags stellten sie mehr als 100.000 Euro Bargeld, 35 illegale Spielgeräte, vier Messer und etwa 60 Kilogramm unversteuerten Tabak sicher. Auch der Raser- und Poserszene fühlten die Behörden auf den Zahn: Bei Verkehrskontrollen wurden landesweit knapp 2300 Fahrzeuge angehalten, neun wurden sichergestellt.
Kriminelle Clans in NRW: Polizei hat 112 Großfamilien im Blick
Die nordrhein-westfälische Landesregierung geht seit einigen Jahren mit einer sogenannten Null-Toleranz-Strategie gegen Clan-Kriminalität vor. Landesweit hat die Polizei 112 türkisch-arabischstämmige Großfamilien im Blick.
2020 ordnete die NRW-Polizei knapp 5800 Straftaten der Clan-Kriminalität zu. Tatverdächtig waren mehr als 3800 Menschen. Bei einem Fünftel der Ermittlungskomplexe im Bereich der Organisierten Kriminalität gibt es laut Landeskriminalamt Bezüge zu Clan-Kriminalität.
Reul zu Wucher-Monteuren: „wirklich perfide“
Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU), der seit den frühen Morgenstunden die Razzien im ganzen Ruhrgebiet begleitet hatte, war morgens in Essen und abends in Marxloh dabei. „Das waren arglose Menschen, die Hilfe bestellten und Betrüger bekamen - das finde ich wirklich perfide“, sagte Reul am Morgen in Essen. „Diesen angeblichen Monteuren haben wir heute das Handwerk gelegt.“ Mit jeder einzelnen Festnahme rücke man den kriminellen Clans „mehr und mehr auf die Pelle“, so der Innenminister: „Die sollen wissen, dass wir ihnen auf der Spur sind.“
Wie es in einem Lagebild des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamts heißt, ist Clan-Kriminalität unter anderem davon geprägt, dass „in die Tatbegehung bewusst die gemeinsame familiäre oder ethnische Herkunft als verbindende, die Tatbegehung fördernde oder die Aufklärung der Tat hindernde Komponente einbezogen wird“. Auch seien die Taten „von einer fehlenden Akzeptanz der deutschen Rechts- oder Werteordnung geprägt“. (mawo/mit dpa)