Essen. Philippe Herreweghe ist häufiger Gast im Konzerthaus Essen: Er setzt nicht nur auf Zugpferde der Klassik, sondern auch auf selten gespielte Werke
Ein ungewöhnliches Bild auf dem Podium der Philharmonie: Links, wo sonst die ersten Geigen sitzen, ragt der Wald der Kontrabässe empor. Rechts vorne sitzen die Celli, die Mitte nehmen zwei Klaviere ein. Die Psalmensinfonie Igor Strawinskys verzichtet auf hohe Streicher, und wenn das Mahler Chamber Orchestra in den ersten Takten dumpfe Tutti-Akzente setzt, ist damit die Grundfarbe der Sinfonie markiert.
Strawinsky und Bruckner – Werke erschließen vielgestaltige musikalische Landschaften
Philippe Herreweghe, gerngesehener regelmäßiger Gast in der Essener Philharmonie, hat mit Strawinskys religiösem Werk und mit Anton Bruckners vernachlässigter Zweiter Sinfonie nicht gerade Zugpferde im Programm. Man merkt es im Saal: Viele Plätze bleiben leer. Das ist zu bedauern, denn beide Werke erschließen vielgestaltige musikalische Landschaften.
Herreweghe kehrt den „objektiven“ Charakter der Psalmen-Vertonungen heraus, der auf die emotional aufgeladene Entsprechung von Text und Musik verzichtet. Strawinsky bleibt kühl wie sein Vorbild, die Renaissancemusik, in der Trinklieder oder Trauergebete auf dieselbe Melodie gesungen werden konnten. Aber die Klage über den Schlamassel der Welt, aus dem Gott den Beter retten soll, unterfüttert er mit einer bewusst undurchsichtigen Doppelfuge: Der Mensch durchschaut sein Schicksal nicht, obwohl es einem genau ausgeklügelten Plan folgt – der religiösen Deutung lässt die Musik weiten Spielraum.
Der Chor, Herreweghes bewährtes Collegium Vocale Gent, singt passend: blockhaft kristallin bei aufgedrehter Lautstärke, im Piano zum Niederknien transparent, auch präzise skandierend, denn auf den scharf geschnittenen Rhythmus wollte Strawinsky nicht verzichten.
Die Holzbläser und die tiefen Streicher haben ihren großen Tag
Die Holzbläser und die tiefen Streicher haben ihren großen Tag. Den feiern sie saftig im Klang, aber auch mit gebotener Delikatesse und Balance. Das respektvolle Zusammenspiel kommt Bruckner sehr entgegen: Die Zweite Sinfonie ertrinkt auch im dichtesten Gewirk der Stimmen im ersten Satz und im Finale nicht im bloßen Lärm. Das Fundament des Klangs wird kraftvoll aufgemauert, vom Blech nicht so samtig-sonor, wie es Bruckner entgegenkäme. In den leuchtend-versonnenen gesanglichen Themen jedoch wissen sich die Musiker zurückzunehmen und finden zu gelöster Poesie.