Essen. Auch nachdem die Polizei das Aus für das Präsidium in Rüttenscheid bestätigt hat, herrscht das große Schweigen. Dabei gibt’s viele offene Fragen.

Der hinter den Kulissen eingestielte Umzug des Essener Polizeipräsidiums, von Rüttenscheid Richtung Süden nimmt Fahrt auf und ist kaum mehr zu stoppen, wenn die Politik nicht noch auf die Bremse tritt. Doch bislang haben fast alle Fraktionen im Rat der Stadt zu den Plänen so beredt geschwiegen wie die Behördenleitung selbst. Während sein Amtskollege in Oberhausen das Aus für das dortige Präsidium erst jüngst so öffentlich wie offensiv verkündete, ließ Essens Polizeipräsident Frank Richter jedwede vergleichbare Transparenz vermissen. Informationen gab es allenfalls auf Nachfrage.

Und Sätze wie diesen: „Nach intensiver Prüfung ist die aktuelle Planung alternativlos!“, hieß es auf den Einwand dieser Zeitung, ob man denn nicht einzelne Abteilungen ohne Bürgerkontakt - wie etwa die Leitstelle oder die Behördenleitung - auslagern könne, um die beklagten Platz- und Raumprobleme zu lösen, ohne gleich den ganzen historisch gewachsenen Standort aufgeben zu müssen.

Ergebnisoffene Debatte über die Zukunft des Präsidiums gefordert

Die Antwort stammt aus Mitte Januar. Seither herrscht das große Schweigen an der Büscherstraße - es wurde selbst dann nicht gebrochen, als die FDP ziemlich allein auf weiter Flur ankündigte, für den Erhalt des Polizeisitzes an der Büscherstraße kämpfen zu wollen. Doch das Wie lassen die Liberalen offen. Am Mittwoch nun schloss sich das Essener Bürger Bündnis an und forderte eine ergebnisoffene Debatte aller relevanten Akteure über die Zukunft des Präsidiums.

Kai Hemsteeg, Vorsitzender der EBB-Fraktion, formulierte einen Eindruck, den viele Eingeweihte teilen: „Hier wurde vorschnell eine Entscheidung hinter verschlossenen Türen getroffen und besonders die Bürgerschaft vor vollendete Tatsachen gestellt.“ Es müsse ein Dialog darüber her, wie diese Immobilie zukünftig von der Polizei genutzt werden kann“.

Derweil läuft bereits die Ausschreibung des Innenministeriums für ein Ersatzgebäude - möglichst im Bestand und möglichst autobahnnah im Essener Süden, heißt unter anderem die Prämisse für eine geeignete und bereits bestehende Liegenschaft. Was kaum mehr Alternativen als die direkte Nachbarschaft zur ehemaligen Karstadt-Hauptverwaltung im dortigen Büropark zulässt.

Dies ist ein Entwurf für die Erweiterung des Polizeipräsidiums in den 70er Jahren, der nie über ein rudimentäres Planungsstadium hinauskam.
Dies ist ein Entwurf für die Erweiterung des Polizeipräsidiums in den 70er Jahren, der nie über ein rudimentäres Planungsstadium hinauskam. © Unbekannt | Polizei

Fast die Hälfte der Kripo wäre betroffen

Dort sind seit 2020 eine Reihe von Polizeieinheiten mit etwa 800 Beschäftigten untergebracht. Auch die Wache der Polizeiinspektion Süd, die allein für fast eine Viertelmillion Einwohner in 13 Stadtteilen zuständig ist, gehört dazu. Weitere Abteilungen sollen also folgen wie die Behördenleitung mit ihren Führungsstäben, die Kriminalwache, das bis zuletzt noch für angeblich fünf Millionen Euro aufwendig umgebaute Gewahrsam, die Direktionsleitungen für Zentrale Aufgaben, für Einsatz und Gefahrenabwehr.

Auch die Direktion Kriminalität und somit knapp die Hälfte der Essener Kripobeamten, die ihre Büros an der Büscherstraße haben, wären von einem Wegzug betroffen. Sie würden ihrer gelebten wie geliebten Nähe zur Justiz gegenüber, aber auch zur Rechtsmedizin beraubt - durch einen Wechsel an einen Ort, der einer früheren Behördenleitung grundsätzlich viel zu weit vom Schuss „auf dem Berg“ in Bredeney lag, um die immer wieder gern von der Polizei formulierte Forderung nach Bürgernähe erfüllen zu können.

Schon aus diesem Grund, so Hans-Peter Schöneweiß, FDP-Fraktionschef und pensionierter Polizeibeamter, könne und solle das Präsidium zumindest für eine moderne Wache weiterhin genutzt werden - für ein besseres Sicherheitsgefühl der Menschen in Rüttenscheid, Holsterhausen oder Frohnhausen, aber auch, um von dort aus schneller an Einsatzorten in den Stadtteilen sein zu können. Die sogenannten Einsatzreaktionszeiten, früher fast das Maß aller polizeitaktischen Dinge, sie sind in diesem Kontext inzwischen kein zumindest wahrnehmbares Thema mehr, sagen Kritiker des Vorhabens.

Das Gebäude sähe einer ungewissen Zukunft entgegen

Hinzu kommt, dass ein unter Auflagen des Denkmalschutzes über Jahrzehnte für zig Millionen aufwendig saniertes Gebäude an einem exponierten Standort in der Stadt einer ungewissen Zukunft entgegen sähe. Obwohl die Öffentlichkeit also gleich in mehrfacher Hinsicht von einem Auszug der Essener Polizei aus „ihrem“ Präsidium betroffen wäre, findet eine öffentliche Debatte über all die Pläne und Postulate nicht statt.

Michael Dybowski (80), von 1988 an für zwölf Jahre Polizeipräsident in Essen, hat nicht nur den Umbau und Ausbau des Präsidiums intensiv miterlebt, sondern auch seine ganz persönliche Sicht auf die Dinge, die er auf Bitten dieser Zeitung dargelegt hat:

Michael Dybowski, früherer Polizeipräsident in Essen
Michael Dybowski, früherer Polizeipräsident in Essen © Unbekannt | privat

„Die Essener Polizei will ihr angestammtes Gebäude an der Büscherstraße verlassen. Es sei zu klein. Das ist nicht neu. Alle Polizeibauten und -unterkünfte haben selten für längere Zeit ausgereicht, wie ein Blick in die Polizeigeschichte lehrt. Jetzt scheint auch das Polizeipräsidium an der Büscherstraße entbehrlich, im Austausch gegen ein modernes größeres Gebäude, wie man liest.

Entsorgt die Essener Polizei ihre Geschichte?

Es war oft Gelegenheit, es aufzugeben; doch es hätte bedeutet, einen Teil der Essener Polizeigeschichte, einen Teil Identität aufzugeben. Erst ab den 1990er Jahren – als nach vielen vergeblichen Planungen (Haushaltsmittel waren nicht bereitgestellt worden) bei Stürmen die ersten Ziegel vom Dach fielen, auch für die Leitstelle keine Ersatzteile mehr zur Verfügung standen, - war es bis in das neue Jahrtausend hinein unter weiterlaufendem, teils auf die Norbertstraße ausgelagertem Betrieb endlich - unter Beteiligung des Denkmalschutzes - wieder hergestellt (es war im Kriege schwer beschädigt worden), saniert und modernisiert worden – mit vielerlei Beschwernissen und Entbehrungen für Leitung und Beamtinnen und Beamte. Es klappte, auch die Einsätze, selbst der EU-Gipfel 1994.

Ein erster Abriss polizeihistorischer Präsenz in Essen ist mit der Aufgabe der Norbertstraße schon geschehen. Folgt als nächstes das Gebäude des ehemaligen Polizeiamtes Mülheim in der Von-Bock-Straße, gebaut in den späten 1930er Jahren? Entsorgt die Essener Polizeibehörde, in dem sie ihre geschichtlichen Stätten aufgibt, ihre Geschichte?

Die Historie

Das stattliche Gebäude im neo-klassizistischen Stil an der Büscherstraße ist für die Essener Polizei in den Jahren des Ersten Weltkrieges – trotz vieler Not und Mühsal an den Fronten und daheim - gebaut und weitgehend fertig gestellt worden. Seit 1906 hatte Essen angesichts hoher Industrialisierung und größerer Streikunruhen eine staatliche und mit Schutzmannschaft verstärkte Polizei. Für sie fehlte ein entsprechendes Gebäude. Es sollte am neu entstehenden Justizzentrum in Rüttenscheid entstehen. Im Austausch gegen das alte in der Innenstadt war vis-a-vis ein dafür geeignetes Grundstück an der Büscherstraße gefunden worden. Am 1. April 1918 war es fertig gestellt und hatte 1,65 Millionen Mark gekostet. Nicht lange konnte die Essener Polizei sich über ihr neues Gebäude freuen. Bald schon musste sie es wieder räumen, damit es bei der Ruhrbesetzung der Ententemächte (Frankreich, Belgien) den Franzosen als Kaserne dienen konnte; sie sollen es bei ihrem Abzug chaotisch hinterlassen haben. Doch bereits zu dieser Zeit hatte das Polizeipräsidium nicht alle Polizeieinrichtungen aufnehmen können; die Einsatzeinheiten der Sicherheitspolizei, später Schutzpolizei, waren in Baracken im Segeroth recht wie schlecht untergebracht. Im Rahmen einer nach Abzug der Franzosen notwendigen Renovierung war Gelegenheit, es zu vollenden. Im hohen Giebel fand sich noch ein unbehauener Bossestein. Daraus hätte das wilhelminische Hoheitszeichen gemeißelt werden sollen; doch dazu war es nicht mehr gekommen. Preußen war demokratische Republik, kein Königreich mehr. Im Juli 1921 hatte es sich für ein neues Wappen entschieden, das einen nach rechts auffliegenden und nach hinten blickenden Adler mit geschlossenem Schnabel ohne monarchische Züge und Herrschaftsattribute zeigte. Erst jetzt konnte ein Essener Steinmetzbetrieb den Auftrag für das neue Staatshoheitszeichen erhalten. Ihm zur Seite hatte ein junger Steinmetzgeselle gestanden, der nach weiterer künstlerischer Ausbildung in Essen und Berlin später als Bildhauer, Grafiker und Zeichner zu Aufmerksamkeit und Anerkennung kommen sollte: Fritz Cremer (1906-1993). Noch im hohen Alter erinnerte er sich Anfang der 1990er Jahre, wie sie bei Wind und Wetter auf hohem Gerüst gearbeitet, auch gefroren und mit Kohle nachgeholfen hätten, die Konturen plastischer heraus zu arbeiten. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre war das Präsidium die Schaltstelle, als es galt, die zahlreichen Schritte der beginnenden Polizeireform für Essen umzusetzen, ab 1933 die verbrecherische nationalsozialistische Herrschaft unter SA- und SS-Polizeipräsidenten zu festigen und auszubauen. Im hinteren westlichen Flügel (heute Polizeigewahrsam) war – abgetrennt - die Gestapo untergebracht, bevor sie in ein eigenes Gebäude in die Kortumstraße umzog.

Der dunklen Geschichte gilt es sich zu erinnern

Alte Polizeigebäude bergen mit Geschichte; sie sind zu historischen Orten geworden, Bau-Denkmal längst, doch Denkmal in umfassenderer Bedeutung, einzig, authentisch, nicht austauschbar, wie das Polizeipräsidium an der Büscherstraße und das Gelände an der Norbertstraße. Sie geben der Geschichte der Polizei in Essen ein unverwechselbares Gesicht.

2009 hatte die Essener Polizeibehörde ihr 100-jähriges Bestehen gefeiert; eine Chronik war erstellt worden – wer hat sie gelesen, wem bleibt sie bewusst? Geschichte, insbesondere die deutsche, hat viele Sonnen-, doch ebenso viele beschämende dunkle Seiten. Das historische Erbe – zumal das deutsche und insbesondere das der Polizei - ist nicht immer erfreulich. Noch heute werden junge Polizistinnen und Polizisten bei Einsätzen von anderen mit ,Nazis’ beschimpft.

Man löst keine Probleme, indem man vor ihnen davon läuft, so beschämend sie auch sein mögen. Wäre das nicht ebenso beschämend? Auch der dunklen Geschichte gilt es, sich zu erinnern, will man die Abläufe verstehen, wie so etwas möglich werden konnte, und ihnen entgegenwirken, dass sich solches – so oder ähnlich - nicht wiederholt.

Alle an einem Ort zu haben, ist nicht notwendig

Polizei, Polizistinnen und Polizisten möchten modern sein, möchten in zweckentsprechenden, angemessenen Räumen arbeiten – das ist verständlich, berechtigt. Doch eine Polizei ist modern, nicht weil sie in einem modernen Gebäude arbeitet, sondern wenn sie sich den Anforderungen aus Vergangenheit, von Gegenwart und Zukunft stellt. Landesregierung und der Bau- und Liegenschafts-Betrieb (BLB) NRW müssen dafür sorgen, dass die Polizei ihren Anforderungen entsprechend - dazu gehört auch das Bewusstsein um die eigene Geschichte - gut arbeiten kann, ohne gezwungen zu sein, aus ihren angestammten historischen Gebäuden fliehen zu müssen.

Für die Kommunikation untereinander kann es hilfreich sein, alle an einem Ort zu haben, doch bei den modernen informations- und kommunikationstechnischen Vernetzungen ist dies nicht notwendig. Kommunikation hat mehr an der Bereitschaft zu kommunizieren gelitten als an technischen oder örtlichen Gegebenheiten.

Die ersten Aufbauarbeiten am zerstörten Präsidium nach dem Krieg.
Die ersten Aufbauarbeiten am zerstörten Präsidium nach dem Krieg. © Unbekannt | Polizei

Das Polizeipräsidium ist kein reiner Bürobau

Das Polizeipräsidium, vollgestopft mit polizeilicher Infrastruktur, ist kein reiner Bürobau. Auch wenn die Haushaltsmittel für ein anderes Gebäude reichen mögen, reichen sie dann auch für eine kostspielige neue polizeiliche Infrastruktur, die darin, eventuell mit kostspieligen Umbauten, erst zu installieren wäre?

Der Innenminister des Landes NRW bemüht sich derzeit für Zwecke der Aus- und Fortbildung um ein größeres Polizeigeschichtsprojekt, in dem die bedeutendsten nordrhein-westfälischen Polizeigeschichtsorte aufgenommen, dargestellt und auf ihre Eignung und Relevanz aufgrund didaktischer Angebote, historischer Bausubstanz, Forschungen und Forschungserkenntnissen zu diesen Orten untersucht werden sollen, um für die Aus- und Fortbildung von Polizeistudierenden und ausgebildete Polizistinnen und Polizisten zur Verfügung zu stehen.

Essen als blanker Fleck auf der Landkarte zur Polizeigeschichte?

Ziel dieses Projektes soll eine interaktive Landkarte zur Polizeigeschichte werden, die historische Polizeiorte, ihre Geschichte und das Bemühen um Wachhaltung und Aufarbeitung darstellen will. Wird darin Essen zu einem blanken Fleck, da es – dank Denkmalschutz – wohl noch historische Bauten geben wird, doch keine authentischen Polizeiorte mehr? Wie lässt sich Polizeigeschichte vermitteln in fremden, gesichts- und geschichtslosen Bauten?

Auch Polizeigeschichte lebt von Menschen, Überlieferungen, Schriften, Bildern, Gebäuden, die insgesamt mahnen, dass sich ein NS- oder ähnliches Regime, organisierte Regierungskriminalität, nicht wiederholt – weder in Bild, Schrift, Sprache, Chat, sozialen Medien noch im Tun. Polizei trägt hier eine besondere Verantwortung“, ist Ex-Polizeipräsident Michael Dybowski überzeugt.