Essen-Bergerhausen. Essener Heilerziehungspfleger hat im Corona-Lockdown das Bergerhauser Fitness-Center Süd übernommen. Was den Charme der alten Eisenbude ausmacht.
- Essener übernimmt Fitnessstudio während des Lockdowns 2021.
- Das Ambiente erinnert an frühere Eisenbuden.
- Mitglieder wissen die familiäre Atmosphäre zu schätzen.
Vor knapp einem Jahr, mitten im Corona-Lockdown, hat Marcel Niermann (34) das Fitness-Center Süd (FCS) in Essen-Bergerhausen übernommen. Es ist ein ganz besonderes Studio mit alten Eisen, Kreideeimern und teils langjährigen Mitgliedern, die sich eher als Familie denn als Sportgemeinschaft fühlen. Warum man sich dort ein bisschen wie in den alten Rocky-Filmen fühlt.
Der Essener Marcel Niermann kommt beruflich eigentlich aus dem sozialen Bereich, hat in der Altenpflege, als Fotograf und Regisseur von Musikvideos gejobbt und als Heilerziehungspfleger in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung gearbeitet. In seiner Freizeit trainierte er im Fitness-Center Süd, das sich seit über 40 Jahren gegen die zunehmende Konkurrenz großer Fitness-Ketten im Umfeld behauptet.
Der langjährige Vorbesitzer hatte das Studio neben seinem Hauptjob betrieben. Als er gesundheitliche Probleme bekam und sich aus dem Geschäft zurückzog, sprang Marcel Niermann spontan ein – und erfüllte sich dann seinen Traum vom eigenen Fitnessstudio. „Ich hatte damals bereits einen Imagefilm für das Studio produziert und immer schon mal darüber nachgedacht, wie es wohl wäre, das Studio zu führen. Plötzlich war die Gelegenheit da“, erinnert sich der 34-Jährige, der sich Anfang 2021 entschied, seinen vorherigen Job zu kündigen.
Der neue Besitzer des Fitnessstudios in Essen startete während des Lockdowns
Die ersten Monate renovierte er das historische Studio behutsam, bis er dann im Juni nach dem Lockdown endlich öffnen konnte. „Der alte Charme sollte ja auf jeden Fall erhalten bleiben, aber einige Dinge aus den 1980ern, wie die verspiegelte Theke, habe ich dann doch geändert“, sagt der neue Studiochef, der ein bisschen Farbe in die Räume brachte und einen Café-Bereich einrichtete. „Dort sitzen auch schon mal fünf, sechs Kinder, die dort malen oder spielen können, während die Eltern trainieren.“ Dabei dürfte es sich in erster Linie um Väter handeln, denn rund 95 Prozent der 130 Mitglieder zwischen 20 und 85 Jahren sind Männer. „Frauen ist es hier vielleicht zu rau“, mutmaßt der Inhaber und lacht.
Den Betrieb im Lockdown zu übernehmen, habe ihm eigentlich keine großen Sorgen bereitet. „Ich kannte ja die Leute vorher, hier herrscht echte Ruhrgebietsmentalität vor. Das ist eine tolle, gewachsene Gemeinschaft und ich wusste, dass die meisten trotz Corona bleiben würden.“ Ein paar Leute seien zwar abgesprungen, dafür seien aber neue hinzugekommen. „Einige Mitglieder haben freiwillig den doppelten Beitrag gezahlt, damit das Studio überlebt“, freut sich Niermann über die große Solidarität. „Es war auf jeden Fall die richtige Entscheidung.“
Freizeit ist derzeit ein Fremdwort für den Studio-Inhaber
Freizeit ist derzeit ein Fremdwort für den 34-jährigen, der den Laden aktuell allein führt und jeden Werktag von 9 bis 21 Uhr im Studio ist, am Wochenende etwas kürzer. Ganze zwei Tage frei habe er sich bisher gegönnt. Ab März soll sich das ändern, dann werde er eine Aushilfe einstellen, die einige Stunden in der Woche übernehmen soll. Bisher steht Marcel Niermann nicht nur auf der Fläche und hinter der Theke: Er repariert auch, falls erforderlich, die alten Geräte selbst.
Ab April soll es Boxkurse für Kinder geben
Das Fitness-Center Süd an der Schürmannstraße 23 ist von montags bis freitags, 9 bis 21 Uhr, samstags, 11 bis 16 Uhr, und sonntags, 11 bis 15 Uhr, geöffnet.
Es gibt einen Boxraum, der zeitweise für Kung-Fu-Training genutzt wird und ansonsten den FCS-Mitgliedern offen steht. Dort will Marcel Niermann, der selbst Boxer ist, ab April Boxkurse für Kinder anbieten. Infos unter 0201 26 29 39.
Dass das Fitnessstudio im Gewerbegebiet an der Schürmannstraße im zweiten Stock liegt und von außen nicht unbedingt als Sportstätte zu erkennen ist, stört Niermann nicht weiter. „Wer zu uns passt, wird seinen Weg hierher finden“, ist er überzeugt. Neue, schwere Geräte, in Teile zerlegt, nach oben zu schleppen, sei aber schon aufwendig. Dass es keinen echten Personenaufzug gibt, habe natürlich auch andere Nachteile. „Ich komme ja aus der sozialen Arbeit und würde hier gern mehr in Sachen Inklusion machen. Leider ist das Studio aber nicht barrierefrei.“
Doch der Retro-Charme der 700 Quadratmeter großen Räumlichkeiten wiege schon vieles auf. „Ich sehe andere Anbieter auch gar nicht als Konkurrenz, hier kommen einfach andere Leute hin.“ Bei ihm sei klassisches Bodybuilding mit richtigem Eisen angesagt. Poser, die ständig am Handy hängen und Selfies machen, suche man im FCS vergebens. Neben dem Training bleibe aber immer Zeit für private Gespräche und wenn jemand unangekündigt länger nicht auftauche, werde schon mal nachgefragt.
Im Sommer will Marcel Niermann mit den Mitgliedern feiern, dann das Fest zum 40-jährigen Bestehen des Studios im vergangenen Jahr musste ja coronabedingt ausfallen.