Essen-Heisingen. . Mit der Erinnerung an seine Großmutter hält der Heisinger Jürgen Brendt Bergbaugeschichte lebendig: Die Familie lebte in der Carl-Funke-Siedlung.

Geboren ist Jürgen Brendt über der Eisdiele an der Bahnhofstraße, seine Kindheit aber hat er am liebsten bei seiner Oma verbracht: an der Carl-Funke-Straße. Mit den Geschichten aus der Bergbausiedlung hält der 75-Jährige auch die Heisinger Historie lebendig. Es berichtet von Zeiten, da die Männer unter Tage arbeiteten, die Familien nicht selten zehn Kinder hatten und im Garten Schweine, Ziegen oder Hühner hielten. Der Ortshistoriker hat nun die Erinnerungen an seine Großmutter aufgeschrieben, die vor 70 Jahren starb.

Anna Maria von der Gathen war eine der ersten Bewohnerinnen an der Carl-Funke-Straße (bis 1957 Karl-Funke-Straße), die Hausnummer 3 war ihr Zuhause, in dem sie mit ihrem Mann Wilhelm und fünf Kindern lebte. Erbaut wurde die Siedlung 1901 auf Brachland, das Carl Funke gekauft hatte. „In der unteren Reihe bewohnte eine Familie jeweils eine Haushälfte, weiter oben lebten die kinderreichen Familien in größeren Häusern“, erzählt Jürgen Brendt, der daher stets zahlreiche Fußballkollegen zum Spielen traf, wann immer er seine Großmutter besuchte.

Großer Zusammenhalt unter den Nachbarn

„Meine Oma war eine kleine Frau mit geflochtenem Haar, sie war sehr herzlich und hatte immer für jeden ein nettes Wort“, beschreibt der Enkel. Überhaupt habe die Nachbarschaft im Zusammenleben eine wichtige Rolle eingenommen. Der Zusammenhalt sei sehr groß gewesen. Die Menschen kannten sich gut, halfen sich in Notsituationen und besuchten sich, wenn jemand krank wurde. Innerhalb der Familien zählten ausgiebige Unterhaltungen, Gesellschaftsspiele und Gesang zur Beschäftigung in der Freizeit. Immerhin gehörten Fernseher in den Jahren nach dem Krieg nicht zum Haushalt.

An jedem Haus in der Siedlung („liebevoll Kolonie genannt“) war ein Stall für Nutztiere. Denn Selbstversorgung hatte Carl Funke ebenso im Blick wie den Wohnungskomfort für seine Mitarbeiter. Und auch, wenn sich ein Stückchen weiter an der Bahnhofstraße den Konsum befand, in dem Bergleute verbilligt einkaufen konnten, so bauten die Nachbarn doch das Meiste selbst an. „In den Gärten gab es Gemüse und Obstbäume“, sagt Jürgen Brendt. Früchte wurden für den Winter eingekocht, aus Johannisbeeren und Kirschen wurde mit klarem Schnaps ein leckerer Aufgesetzter. Davongelaufen ist der Enkel allerdings, wenn der Hausschlächter kam: „Auch in schlechten Zeiten habe ich die Wurst von Omas Schwein nicht gegessen.“

Viele Kumpel litten an Staublunge

„In mehreren kleinen Geschäften wie Hasselkuss oder beim Bäcker Felderhoff konnten die Bergleute zudem bis zur nächsten Lohntüte anschreiben lassen“, berichtet der Heisinger, dessen Großvater auf der Carl Funke arbeitete, so dass sein Weg zur Zeche nur einen kurzen Fußweg bedeutete. „Später war Opa Berginvalide, der wie viele seiner Kumpel an der Staublunge litt“, sagt Jürgen Brendt, der sich an den Großvater nicht mehr gut erinnern kann.

In Erinnerung bleibt aber der Rufname seiner Familie: Elsen. „Diese Beinamen wurden vergeben, da mehrere Familien etwa Lindemann, Vatter, Bergmann oder Sonneschein hießen.“ Wie hätte man die sonst unterscheiden sollen, fragt Jürgen Brendt. Allein den Nachnamen seiner Großeltern von der Gathen trugen mehr als zehn Familien. Und so gehört zur deren Familiengeschichte die Anekdote von Onkel Willi, der Knappschaftsälteste wurde zum „langen Elsen“.

Beerdigung mit eindrucksvollem Prozedere

Unvergessen bleibt für Jürgen Brendt und auch für seinen jüngeren Bruder die gütige und herzensgute Art ihrer Großmutter sowie der schwere Abschied von ihr. Begleitet wurde der von einem Prozedere, das manche Kinder als eindrucksvoll oder gar schrecklich empfunden haben. Denn als Anna Maria von der Gathen 1949 starb, wurde sie wie damals üblich zu Hause aufgebahrt. Die Kinder wechselten sich bei der Nachtwache ab, bevor der große Trauerzug Richtung Dorfmitte zum Friedhof zog, angeführt von den Pferden, die schwarze Tücher auf ihren Rücken trugen. Zahlreiche Verwandte und Nachbarn aus der Siedlung schlossen sich an.

An die Carl-Funke-Straße kehrte der Enkel auch dann immer wieder zu seinen Freunden zurück, als in Hausnummer 3 längst eine andere Familie wohnte. Daher möchte Jürgen Brendt, der in Heisingen Vorträge über die Historie hält, bei Gelegenheit auch von seiner Familiengeschichte erzählen, die so eng mit der Siedlung verbunden ist: „Ich erinnere mich gern an diese Zeit, denn an dieser Straße wurden uns viele schöne Stunden unserer Kindheit geschenkt.“

>>DIE EIGENTÜMER DER CARL-FUNKE-SIEDLUNG

  • Heutiger Eigentümer der Heisinger Siedlung ist die Wohnungsgesellschaft Vivawest (früher THS). „Die Siedlung wurde in den Jahren 1900 und 1901 im Auftrag der Rheinischen Anthrazit-Kohlenwerke errichtet“, sagt Sprecherin Katrin Lamprecht. Einst drohte der Abriss, seit 1987 aber ist die ehemalige Bergbaukolonie oberhalb des nördlichen Ruhrufers denkmalgeschützt. Sie umfasst insgesamt 45 Häuser mit 71 Wohneinheiten, in der Regel Ein- und Zweifamilienhäuser.
  • Nachdem die damalige THS 1985 die in die Jahre gekommene Siedlung aus dem Besitz der Mannesmann AG erworben hatte, sanierte sie in den beiden Folgejahren die Gebäude im Außenbereich. „Innen werden die Wohnungen bei Mieterwechseln fortlaufend renoviert und auf den aktuellen Stand der Technik gebracht. Veränderungen im Außenbereich sind nur in Abstimmung mit der Denkmalbehörde möglich“, erklärt die Sprecherin. Aktuell gebe es keinen Zeitplan für eine Aufarbeitung oder Auffrischung der Fassadenflächen.
  • Für die Vermietung in der Siedlung besteht immer noch ein Belegungsrecht der RAG Aktiengesellschaft: Eine freiwerdende Wohnung wird daher zunächst der RAG zur Belegung angeboten. Nutzen die Berechtigten das Recht nicht, „erfolgt ein einmaliger Verzicht und die Wohnung kann auch anderen Interessenten angeboten werden“, erklärt Katrin Lamprecht das Vorgehen.