Essen-Heisingen. Die Mühle Bergmann verbindet Familiengeschichte und Ortshistorie. Hinter den Mauern gibt es Maschinen und Atmosphäre von 1929. Nun folgt Abriss.

Vor der Eingangstür stapeln sich Säcke mit Blumenerde, im Schaufenster stehen Holzblumen und hinter den Mauern verbirgt sich eine historische Mühle. Vollständig und voll funktionstüchtig – seit 1929. Es ist der Arbeitsplatz von Karl-Gregor Vatter. Und wenn die Mühle nun neuem Wohnraum weichen wird, dann verschwindet nicht nur ein Stück Familiengeschichte, sondern auch ein Teil Essener Ortshistorie. Denn die Mühle ist verkauft, Ende Juni schließen sich Türen und Tore endgültig.

Wer durch diese geht, befindet sich erst in dem kleinen Verkaufsraum und dann in der Arbeitswelt von Karl-Gregor Vatter zwischen Walzen, Mischmaschinen, Elevatoren, Rohrsystemen, den Silos, die bis zu 100 Tonnen Getreide fassen – und in einem früheren Jahrhundert.

Müllermeister gründete vor 92 Jahren das Futtermittelgeschäft und den Müllereibetrieb

Sie bilden das Familienunternehmen: Karl-Gregor Vatter mit Ehefrau Gabriele und Tochter Kerstin Pukallus vor der Mühle Bergmann.
Sie bilden das Familienunternehmen: Karl-Gregor Vatter mit Ehefrau Gabriele und Tochter Kerstin Pukallus vor der Mühle Bergmann. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Den Anfang machte hier am Baderweg unweit des Baldeneysees Großvater Hermann Bergmann, dessen Namen die Mühle noch trägt. Der Müllermeister gründete vor 92 Jahren das Futtermittelgeschäft und den Müllereibetrieb, so ist es auf der Gewerbeanmeldung nachzulesen, die im Büro an der Wand hängt. Noch bis in die Kriegsjahre wurde Getreide wie Weizen und Roggen für Lebensmittel vermahlen, später versorgte Hermann Bergmann die Landwirte mit Gerstenmehl für ihr Vieh.

Zu den Kunden des Enkels zählen inzwischen Landschafts- und Friedhofsgärtner, Städte oder Tiergehege. Es gibt Getreide für Hühner, Wellensittiche und Kanarienvögel sowie die Wildschweine im Wildgatter Heissiwald. Karl-Gregor Vatter bietet 250-Gramm-Beutel mit Futter für Meerschweinchen an, walzt Mais und Hafer für Pferde, liefert tonnenschwere Ladungen aus und erinnert sich an Zeiten, in denen er dafür schon um vier Uhr morgens im Lkw gesessen hat. Handelte die Familie einst vor allem mit Getreide, sind im Laufe der Jahre Gartengeräte wie Schüppe oder Besen, Dünger und Rindenmulch sowie Mausefallen hinzugekommen.

Hochsaison war auch stets in der Erntezeit

Der 69-Jährige kann von so mancher intensiven Hochsaison berichten, in der etwa 60 Tonnen Pflanzkartoffeln abgebeutelt und in 2,5 Kilogramm schwere Säcke gepackt werden mussten, um diese anschließend zu den Gartencentern ins Hochsauerland oder nach Offenbach zu fahren. Hochsaison war auch stets in der Erntezeit, wenn die Bauern das Getreide anlieferten und die Arbeitstage erst um kurz vor Mitternacht endeten, wenn Gerste und Hafer das Lager nach und nach füllten.

Im Verkaufsraum steht Kerstin Pukallus, die gelernte Krankenschwester stieg mit ins Familienunternehmen ein, das ihr Urgroßvater gründete.
Im Verkaufsraum steht Kerstin Pukallus, die gelernte Krankenschwester stieg mit ins Familienunternehmen ein, das ihr Urgroßvater gründete. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

„Bis zu zehn Tonnen loses Getreide passen in den Getreidesumpf“, erklärt Karl-Gregor Vatter, der auch manche Schulklasse durch die Mühle geführt hat, durch den Mühlenkeller und die Holztreppe hinauf auf den Dachboden mit seinen Bläsersystemen und dem riesigen Zylinder, der das Getreide reinigt. Selbst wenn er dafür auch mal 14 Stunden oder länger auf den Beinen gewesen ist, „ich habe es immer mit Freude gemacht.“ Heute noch. Das sei eben sein Hobby, wie Golf oder Tennis für andere. Hat er es in die Halle zum Volleyball geschafft, war das ein willkommener Ausgleich.

Erinnerungen an den Opa im Chefsessel

In der Mühle bekommt er nicht nur Unterstützung von seiner Frau Gabriele, die die Vormittagsschicht im Büro übernimmt, sondern längst auch von Tochter Kerstin Pukallus (32). Die gelernte Krankenschwester stieg schon vor Jahren mit ein, findet nicht nur die Zusammenarbeit mit ihren Eltern interessant, sondern erinnert sich noch gut an den Opa im Chefsessel, der ihr als Mädchen manchmal 50 Pfennige für die Bude gab. „Das Miteinander hat immer funktioniert“, sagt sie über das kleine Familienunternehmen. Zu Hause war dann Feierabend, auch das hat geklappt.

Ruhrmuseum informiert

„Mit der Mühle Bergmann geht ein Stück Heisinger Heimat verloren“, so formuliert es Henner Höcker vom Museumskreis und der Bürgerschaft. Die Mühle sei ein uriges Original, von diesen Ankerpunkten gebe es nicht mehr viele im Dorf. Das sei bedauerlich, auch wenn alles seine Zeit habe.

Damit möglicherweise einige Gegenstände aus der Mühle die Zeit überdauern, hat er das Ruhrmuseum informiert: „Sie prüfen nun wohlwollend, vielleicht ist etwas zu retten.“

Ans Aufhören in der Mühle Bergmann hat daher niemand gedacht, hängen an dieser doch nicht nur ihre Arbeitsplätze, sondern auch ganz viel Herzblut. „Hier hängt alles dran“, sagt der 69-Jährige, dem kaum ein Tag oder eine Situation einfällt, in der er „einen dicken Hals“ gehabt hätte. Futter mischen, ausliefern, der Kundenkontakt, aus dem mitunter gute Bekanntschaften entstanden sind. All das mag er. Und hätte all das selbst an die fünfte Generation weitergeben können.

Denn die gibt es mit dem kleinen Sohn von Kerstin Pukallus bereits. So wie er seine Mutter schon als Baby in die Mühle begleitete, so wuchs auch Karl-Gregor Vatter hier auf. Dabei war die Arbeit in der Mühle nicht einmal sein ursprüngliches berufliches Ziel. Als aber die Lehre zum Bankkaufmann danebenging, wurde er Groß- und Außenhandelskaufmann, lernte beim Großvater und Vater. Übernahm die Mühle. Nun seien es familiäre Gründe, die hinter dem Verkauf steckten.

Gegenüber der Mühle stehen lange ganze Häuser mit Mietwohnungen von Vivawest leer

Oben auf dem Dachboden seiner Mühle zeigt Karl-Gregor Vatter die Rohrsysteme und den Zylinder, der das Getreide reinigt.
Oben auf dem Dachboden seiner Mühle zeigt Karl-Gregor Vatter die Rohrsysteme und den Zylinder, der das Getreide reinigt. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Und gehört die Mühle auch zur Heisinger Historie, bald wird sie selbst Geschichte sein. Wenn die Bagger anrollen, will Karl-Gregor Vatter nicht davonlaufen. So schwer es ihm fallen wird, „ich will dabei sein“. Dann werde das große Haus auf dem Nachbargrundstück dahinter ebenfalls abgerissen, es solle neuer Wohnraum entstehen. Gegenüber der Mühle am Baderweg stehen zudem bereits lange ganze Häuser mit Mietwohnungen des Unternehmens Vivawest leer. Das hat genaue Pläne noch nicht vorgestellt. Doch hier dürfte sich das Straßenbild nahe des Baldeneysees stark verändern.

Das gilt auch für den Alltag von Karl-Gregor Vatter, der in seiner Mühle für so viele zu „Kalle mit der Kelle“ geworden ist. Was er mit seiner neuen Freizeit anstellen wird, „das kann ich beim besten Willen noch gar nicht sagen“. Fest steht aber, dass bis dahin noch manche Träne rollen wird. So wie an diesem Morgen.