Essen. Gut ein Jahr nach Schließung zweier Krankenhäuser im Essener Norden setzt die Stadt einen ersten Baustein ihres Konzepts um: Im März geht es los.

Es geht los mit den Gesundheits-Kiosken im Norden, und passend dazu hat für die gar nicht so feierliche Präsentation irgendjemand auch Klümpkes auf dem Tisch verstreut: Lutschbonbons und Mini-Schokoriegel sind an diesem Morgen nicht nur Naschwerk für zwischendurch, sondern fast schon politisch aufgeladen. Sie stehen symbolisch für zwei Anlaufstellen, die lange als billiger Trick verspottet wurden, als Versuch, die Menschen im Norden nach dem Aus zweier Krankenhäuser mit einer Tüte gemischter Beratung im Vorübergehen abzuspeisen.

Doch inzwischen wird klar: Was da in der „Alten Badeanstalt“ in Altenessen, gleich rechts neben dem Haupteingang, in Kürze eröffnet und einen Klon am Katernberger Markt erhält, hat das Zeug, mehr zu sein als nur ein oberflächlicher Treffpunkt für die Nachbarschaft. Schon deshalb, weil die Beratung hier demnächst auch in vielen Sprachen möglich ist: auf Englisch und Französisch, Polnisch und Russisch, auf Türkisch, Arabisch und Farsi.

Englisch und Russisch, Türkisch und Arabisch – und erst recht Fachchinesisch

Und, so möchte man anfügen, auch auf Fach-Chinesisch. Denn der Gesundheitskiosk, er dient nicht nur als gut erreichbares, lange geöffnetes, niederschwelliges und kostenloses Angebot für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, die sich ohne Lotsen im Dschungel des hiesigen Gesundheitssystems verirren könnten. Hier wird bei Bedarf auch der für viele unverständliche Arztbrief mit all seinen Fachbegriffen so übersetzt, dass die Patientinnen und Patienten dahintersteigen, was ihnen eigentlich fehlt.

Gesundheit für Essen als Dachfirma

Für den Betrieb der Gesundheitskioske wurde nun eine Managementgesellschaft gegründet. Bei dieser gemeinnützigen Gesellschaft „Gesundheit für Essen“ sind Caritas-SkF, der Verein Ärztenetzwerk Nord-West sowie das SGZ Altenessen mit von der Partie.

Das Ärztenetzwerk ist ein Zusammenschluss von rund 40 niedergelassenen Arztpraxen, Apotheken und Krankenhäusern in Essen, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verbessern.

Das SGZ Altenessen ist Betreiber der „Alten Badeanstalt“ an der Altenessener Straße 393, wo auch der erste Gesundheitskiosk entsteht. Ein weiterer zieht zum Katernberger Markt, wohin genau, ist noch unklar.

Die Beratungsspanne ist beachtlich: Sie wendet sich an fettleibige Kinder genauso wie an chronisch Kranke, sie empfiehlt Kurse ebenso wie Facharzt-Besuche, wenn erkennbar ist, wo welcher medizinische Einsatz am sinnvollsten ist. Und hier erfährt jemand auch, wo es Pflegeberatung gibt und welche Selbsthilfegruppe sich wo trifft. Eine Anlaufstelle für alle und alles im Bereich Gesundheit und Vorbeugung, „aber wir wollen nicht nur hier sitzen und warten, bis jemand kommt“, verspricht Andreas Bierod, Geschäftsführer der gemeinnützigen Caritas-Gesellschaft cse und zugleich auch der neuen Managementgesellschaft „Gesundheit für Essen gGmbH“, die für die Kioske aus der Taufe gehoben wurde.

Am Ende sollen in Altenessen und Katernberg zehn Fachkräfte im Einsatz sein

Also werden sie rausgehen, auf Märkte, in Einkaufszentren, in Kitas und Schulen, „überall dort, wo Menschen zusammenkommen“, sagt Bierod, und von den Gesundheitskiosken und ihrer Arbeit dort erzählen. Im März geht’s los, und wenn dann in der Alten Badeanstalt ein paar kleinere Umbauten erfolgt sind, wenn der Betrieb ins Rollen kommt, sollen hier am Ende – zusammen mit dem Ableger am Katernberger Markt – zehn medizinisch ausgebildete Fachkräfte tätig sein.

Auf Andreas Bierod, Geschäftsführer der Caritas-Gesellschaft cse, kommt die Aufgabe zu, die Gesundheitskioske in Altenessen und Katernberg zum Erfolgsmodell zu machen – und womöglich als Vorbild für weitere Einrichtungen ähnlicher Art.
Auf Andreas Bierod, Geschäftsführer der Caritas-Gesellschaft cse, kommt die Aufgabe zu, die Gesundheitskioske in Altenessen und Katernberg zum Erfolgsmodell zu machen – und womöglich als Vorbild für weitere Einrichtungen ähnlicher Art. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Ein Projekt, das wissenschaftlich begleitet wird und Modellcharakter bekommen könnte: Bei Erfolg will die Stadt das Angebot auch in weiteren Stadtteilen etablieren. Das kostet natürlich: Für die ersten drei Jahre stellt die Stadt jeweils 500.000 Euro als Anschub-Finanzierung zur Verfügung, um die beiden Gesundheitskioske in Altenessen und Katernberg ans Laufen zu bringen. Mitfinanzier ist die AOK Rheinland-Hamburg, die in Hamburg bereits über gute Erfahrungen mit einem solchen Gesundheitskiosk verfügt. Weitere Krankenkassen sollen als Partner hinzukommen.

Zwei Kliniken dicht, „da kamen wir uns vor wie auf der gesperrten A 45“

Und auch die Ärzteschaft spielt mit: Als Klinik-Betreiber Contilia 2020 erst das Marienhospital in Altenessen und kurze Zeit später auch das St. Vincenz-Krankenhaus in Stoppenberg dicht machte, „da kamen wir uns vor wie auf der gesperrten A 45“, sagt Dr. Tobias Ohde, einer von rund 40 Ärzten und anderen, die sich im Verein Ärztenetzwerk Nord-West zusammengeschlossen haben: „Die Versorgungswege waren zusammengebrochen, wir steckten im Stau.“ Erst langsam habe man sich an die Umwege gewöhnen können, „unsere Hoffnung liegt darin, dass neue Versorgungsstrukturen entstehen, es gibt so viel Arbeit“.

Und davon könnten die Gesundheitskioske „manches ab- und auffangen“, weil man sich hier Zeit nehmen kann, Verständnis-Brücken zu bauen. Auch in Fragen der Vorbeugung lässt sich, wenn man die gleiche Sprache spricht, auf die Familien eingehen, die oft eine Scheu oder kulturelle Vorbehalte mit sich tragen: „Es gibt so einfache Tricks, wie man gesundheitliche Risiken abschätzen kann“, so Dr. Ohde, damit es nicht später heißen muss: „Warum sind Sie damit nicht vier Jahre früher gekommen?“

Der Raum gleich neben dem Haupteingang der „Alten Badeanstalt“ soll demnächst den Gesundheitskiosk beherbergen. Sobald die Baugenehmigung vorliegt, starten einige kleinere Umbauarbeiten.
Der Raum gleich neben dem Haupteingang der „Alten Badeanstalt“ soll demnächst den Gesundheitskiosk beherbergen. Sobald die Baugenehmigung vorliegt, starten einige kleinere Umbauarbeiten. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Stadt arbeitet zusätzlich an einer neuen Notfallpraxis und der Stadtteilklinik

Doch bei aller Begeisterung für die Kioske: Um die Gesundheitsversorgung im Essener Norden zu verbessern, braucht es weit mehr, das räumen auch Oberbürgermeister Thomas Kufen und Stadtdirektor Peter Renzel ein. Ihnen liegt vor allem daran, möglichst kurzfristig Ersatz für die entfallene Notfallpraxis zu schaffen, was sich als nicht ganz so einfach erweist, weil derlei Praxen stets an Kliniken angebunden sind. Von denen gibt es im Essener Norden aber keine mehr.

Immerhin treibt die Stadt weiter die geplante Stadtteilklinik im ehemaligen St. Vincenz-Krankenhaus voran. Die städtische Grundstücksverwaltung GVE hat ihre Vorarbeiten abgeschlossen, in Kürze werde man mit Noch-Eigentümer Contilia in Kaufverhandlungen eintreten, so der OB. Während dafür noch Geduld gefragt ist, sind die ersten Mitarbeiter im Gesundheitskiosk schon eingestellt, weitere mit türkischen oder arabischen Sprachkenntnissen sollen hinzukommen.

Gesucht werden übrigens „Community Health Nurses (m/w/d)“. Da geht das Übersetzen schon los.