Essen. Aus den Contilia-Scherben ein neues Gesundheitszentrum bauen: Das ist der Plan, den die Stadt mit den Beratern von hcb verfolgt. Die Zeit drängt.

„Gesundheits-Kiosk“ – das war so gut gemeint als moderne Anlaufstelle für die Bürger in allen medizinischen Fragen, klang aber für viele eher nach Klümpkes, Zeitung und nem Bier im Stehen. Die Stadtspitze hat offenbar daraus gelernt: Wer die Begriffe besetzt, beherrscht die Debatte, und so gibt es, noch bevor wirklich klar ist, was denn dort alles geboten wird, fürs neue geplante Gesundheitszentrum im ehemaligen St. Vincenz-Krankenhaus eine Marke: Eine „Stadtteil-Klinik“ soll dort entstehen, sagt der OB. Klingt schon mal gut.

Soll es auch, denn mindestens so wichtig wie das medizinische Angebot für den Essener Norden ist Thomas Kufen, bei der dortigen Bevölkerung jenes Vertrauen zurückzugewinnen, das durch die Knall auf Fall durchgezogenen Schließung zweier Krankenhäuser verloren ging. „Am Anfang war viel Wut“, sagt der Oberbürgermeister, „ein Gefühl von Machtlosigkeit“, auch (und ausgerechnet) bei ihm. Doch inzwischen überwiege die Überzeugung, aus den Scherben, die Klinik-Betreiber Contilia hinterließ, etwas aufbauen zu können. Die Berater von hcb sollen dabei helfen.

Ein Haus, das auch bei der Finanzierung des Betriebs neue Wege gehen soll

Die drei Buchstaben hcb stehen dabei für das Institute for Health Care Business GmbH, eine 2006 erfolgte Ausgründung des Essener RWI - Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung. Das Unternehmen berät auf dem Feld der Gesundheitswirtschaft und soll im Essener Norden analysieren, wie hier ein modernes wohnort-nahes Gesundheitszentrum aussehen müsste, das auf die Bedürfnisse der Bevölkerung zugeschnitten ist, das alle Fachbereiche berücksichtigt und gleichzeitig aktuelle Trends aufgreift.

Dass man dazu – alles kein Problem – einfach nur wieder die Krankenhäuser aufmachen müsste, lässt hcb-Geschäftsführerin Dr. Michaele Lemm so nicht gelten: Für sie sind die alten Häuser auch konzeptionell von gestern. Ein neues Haus könnte jene unaufhaltsamen Trends aufgreifen, die über kurz oder lang die Krankenhaus-Landschaft umpflügen dürften: wo die Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung verschwimmen oder neu gezogen werden, wo die Betreiber auch bei der Finanzierung andere Wege gehen, wo die Digitalisierung ungeahnte Möglichkeiten erschließt, wenn man sich etwa modellhaft den Trend zur Selbstüberwachung mit sogenannten „Wearables“ zunutze macht.

Gilt also die Devise: Nach der Klinik ist vor der Klinik? Das nun wieder nicht

Nein, keine Insel mit allzu ehrgeizigen Zukunfts-Visionen der Gesundheitsversorgung soll da entstehen, sondern ein Haus mit handfesten Angeboten, die in die Landschaft passen, sagt Lemm: vernetzt mit den Fachärzten in den Stadtteilen, wo sich auch jene Disziplinen wiederfinden, die derzeit schmerzlich vermisst werden: onkologische, urologische, orthopädische Anlaufstellen zum Beispiel.

Bei der Gesundheit die aktuellen Trends im Blick

Am Dienstag beschloss der Gesundheits-Ausschuss des Rates, das Institute for health care business GmbH (hcb) mit der Analyse der Gesundheitsversorgung im Essener Norden zu beauftragen. Kostenpunkt: 135.000 Euro.

Es geht um das Konzept für ein wohnortnahes Gesundheitszentrum, das aktuellen Trends Rechnung trägt und die Versorgung dort auf neue Füße stellt.

Dazu gehört auch der Plan, weitere Fachdisziplinen im Norden zu verankern, darunter eine Onkologische Ambulanz, Urologie, Neurologie, Orthopädie, Kardiologie, Pädiatrie, Gynäkologie, Inneres und Geriatrie. Auch ein Geburtshaus oder eine Hebammenpraxis sind im Gespräch.

Gilt also die Devise: Nach der Klinik ist vor der Klinik? Hier wird es schwierig: „Ein Krankenhaus wird dort nicht mehr entstehen können“, sagt OB Kufen, aber es soll eben auch mehr geben als ein medizinisches Versorgungszentrum, mehr als eine Großpraxis. Zwar dürfen hier schon deshalb keine neuen Klinik-Betten angeboten werden, weil diese sonst den Zuschuss für den Contilia-Neubau am Philippusstift gefährden würden. Doch wer sagt, dass sich nicht von anderer Stelle Betten hierhin verlagern lassen? .

„Das steht und fällt mit Leuten, die es mit Leben füllen“

Immerhin: Schon jetzt zeigt man sich überrascht, wie positiv das Echo auch bei jenen ausfällt, die am Ende wohl die Zeche zahlen müssen. Dazu sollen die Bürger in die Pläne eingebunden werden: Anfang Juli dürften erste Ergebnisse vorliegen, das komplette Konzept bis September stehen. Und zwischendrin wird am runden Tisch diskutiert: „Das steht und fällt mit Leuten, die es mit Leben füllen“, sagt hcb-Geschäftsführerin Lemm.

Ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, die „neue“ Gesundheitsversorgung in aller Ruhe zu entwickeln, ohne dass die „alte“ in Gestalt der beiden Kliniken schon brach liegt? Lemm sieht darin eher eine Chance als eine Last: Dann hätte es, wendet sie ein, viele Rücksichtnahmen gegeben. „Das wäre sicher nicht so innovativ geworden, wie wir es jetzt planen.“

Nicht von vornherein nachdenken müssen: Wen gewinne ich als Betreiber?

Bei alledem ist den Beteiligten klar, dass möglichst schnell erste Angebote, vielleicht auch manche Übergangslösungen her müssen. Denn nur in „blühenden Klinik-Landschaften“ gibt es flankierende Angebote und ein Netz von Fachärzten. Sobald das Konzept für den Standort St. Vincenz steht, soll es Zug um Zug umgesetzt werden, wobei die Frage nach dem Betreiber noch niemanden interessiert. „Ich möchte bei der Konzeption nicht schon im Hinterkopf haben: Wen gewinne ich denn dafür?“, sagt Michaela Lemm. Laut Oberbürgermeister gibt es auch so schon eine lange Liste von Interessenten.

Die Stadt Essen zählt er nicht dazu.