Essen. Der Missbrauchsskandal um den Essener Skandal-Priester Peter H. zieht weiter Kreise. Nun will ein Rechtsanwalt den Ex-Papst vor Gericht bringen.

Die Missbrauchsopfer des Essener Skandal-Priesters Peter H. (74) lassen nicht locker. Nach der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens in München will ihr Rechtsanwalt, der renommierte Berliner Strafverteidiger Andreas Schulz, jetzt Ex-Papst Benedikt XVI. vor Gericht bringen. Dieser stand als Joseph Kardinal Ratzinger im Jahr 1980 an der Spitze des Erzbistums München und Freising, das den vom Bistum Essen wegen sexuellen Missbrauchs abgeschobenen Kaplan Peter H. aufnahm.

Der Berliner Strafverteidiger, der als Nebenkläger in etlichen spektakulären Strafverfahren (NSU-Prozess, Anschlag Diskothek La Belle, Oktoberfest-Anschlag) aufgetreten ist, bestätigt, dass er von Missbrauchsopfern beauftragt worden ist. Zu ihnen gehören der gebürtige Essener Wilfried Fesselmann und der in Bottrop lebende Markus Elstner. „Ich habe von ihnen den Auftrag zu prüfen, ob noch lebende Beteiligte in der Befehls- und Hierarchiekette vom Vatikan bis hinunter zu den jeweiligen Bistümern strafrechtlich verantwortlich sein könnten“, sagt Schulz. Und fügt hinzu: „Falls ja würde dieses Ergebnis den zuständigen Strafverfolgungsbehörden mitgeteilt werden, die dann zu entscheiden hätten, ob ein Strafverfahren einzuleiten ist.“

Berliner Strafverteidiger nennt Forderung nach Millionen-Entschädigung „eher moderat“

Eine weitere Option wäre nach Ansicht des Strafverteidigers eine Zivilklage der Geschädigten vor einem US-amerikanischen Zivilgericht. Eine Jury hätte dann zu entscheiden, ob die Vorgesetzten des Priesters Peter H. bis hin zu Ratzinger in der Verantwortung stehen. Entschädigungsforderungen in Höhe von einer Millionen Euro mögen hierzulande als überzogen angesehen werden. Rechtsanwalt Andreas Schulz nennt diese Forderung hingegen „eher moderat“.

Was ihm juristisch in die Karten spielen könnte: Bereits 2011 hätten amerikanische und deutsche Kläger – darunter auch Wilfried Fesselmann – ein Strafverfahren gegen Ratzinger beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag eingeleitet. Dieses sei damals jedoch gescheitert. Der Grund: Papst Benedikt XVI. genoss damals Immunität. „Heute stellt sich die Sach- und Rechtslage anders da: Der emeritierte Papst kann keine völkerrechtliche Immunität mehr beanspruchen“, argumentiert Schulz, der übrigens Parallelen zum chilenischen Diktator Pinochet sieht.

Münchner Missbrauchsgutachten stempelt Ratzinger als Lügner ab

Das Münchner Missbrauchsgutachten hat die Glaubwürdigkeit Ratzingers erschüttert: Ausgerechnet das frühere Oberhaupt der katholischen Kirche steht als Lügner da. Inzwischen hat der 95-Jährige seine Aussagen in einem wichtigen Punkt korrigiert. Heute räumt er ein, an der Ordinariatssitzung im Januar 1980 teilgenommen, in der die Versetzung des Skandal-Priesters Peter H. zur Sprache kam. Im Fall Peter H. ist nach Auffassung des Opfer-Anwaltes nun zu prüfen, ob Ratzinger womöglich Beihilfe zu dessen Straftaten vorgeworfen werden könne.

Im Interview mit dem Magazin „Stern“ sagt Schulz über die Straftaten von Peter H.: „Der Missbrauch fand unter dem Deckmantel seelsorgerischer Fürsorge statt. Das war gleichsam der ‘Dark Room’ der katholischen Kirche.“

H., der in Bottrop, Essen und in mehreren bayerischen Städten als Kaplan und Priester wirkte und inzwischen als Pensionär in Essen-Schönebeck lebt, habe seine Opfer gezielt ausgesucht. Er habe es auf Minderjährige abgesehen, die sich, so Schulz im Stern-Interview, in keinem stabilen familiären oder sozialen Umfeld befanden und mit kleinen Aufmerksamkeiten in sein pädo-kriminelles Netz gelockt wurden. Er habe ihnen Alkohol eingeschenkt, ihnen Pornofilme gezeigt und „einschlägige sexuelle Praktiken“ durchgeführt.

Anwalt über Peter H.: „Auf einer Missbrauchsskala von 1 bis 10 ohne Not die höchste Bewertung“

Peter H. stand zwar ständig unter Aufsicht und wurde 1986 sogar zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, trotzdem wurde er auch in Bayern immer wieder rückfällig: Es ist die Rede von etlichen Vorwürfen sexuellen Missbrauchs an 23 namentlich bekannten Personen. Der Geistliche habe seinen Opfern die Einzelbeichte abgenommen und von ihnen zur Vergebung vermeintlicher Sünden sexuelle Dienstleistungen am Beichtvater verlangt. „Obwohl H. auf einer Missbrauchsskala von 1 bis 10 ohne Not die höchste Bewertung verdiente, lehnte die Glaubenskongregation seine Entlassung aus dem klerikalen Stand mit allen damit verbundenen Nachteilen ab“, urteilt Rechtsanwalt Andreas Schulz, der aus weltlicher Sicht „ein perfides System des Verschweigens und der Vertuschung“ anprangert.

Für Wilfried Fesselmann, der inzwischen in Gelsenkirchen lebt, steht die moralische Schuld der Kirchenoberen fest: „Joseph Kardinal Ratzinger hätte Peter H. frühzeitig stoppen und weitere Opfer verhindern können.“