Essen. Auch in der Stadt Essen finden sogenannte „Spaziergänge“ gegen die Corona-Maßnahmen statt. Wer hinter den unterschiedlichen Veranstaltungen steht.

Dieser Artikel erschien das erste Mal am Dienstag, 4. Januar 2022

Corona-Skeptiker und Impfgegner sind am Montagabend (3.1.) erneut durch Essen-Rüttenscheid gezogen. Im Gegensatz zu vergleichbaren Kundgebungen in anderen Städten kam es jedoch zu keinen Regelbrüchen oder gar Ausschreitungen, zudem war die Veranstaltung angemeldet. Auch Gegenproteste wie in Mülheim blieben aus - noch...

Die Polizei sprach am Dienstagmorgen (4.1.) in der vergangenen Woche von einem friedlichen Verlauf mit etwa 350 Teilnehmern, die mit Trommeln, Pfeifen und Transparenten ab 18.10 Uhr vom Rüttenscheider Markt über die Richard-Wagner-Straße, die Julienstraße und die Rüttenscheider Straße zurück zum Ausgangspunkt liefen.

Mit einer Abschlusskundgebung dort endete die angemeldete Versammlung ohne Zwischenfälle gegen 19.50 Uhr, sagte Polizeisprecher Matthias Werk. Einen Aufruf hatte erneut die Partei „Die Basis“ verbreitet, die als Arm der „Querdenken“-Bewegung gilt und das Ende aller Corona-Maßnahmen fordert. Initiiert würden die Veranstaltungen aber nicht von der Partei, heißt es seitens „Der Basis“. Auch in dieser Woche verbreitete die Partei einen Aufruf, wieder soll in Rüttenscheid demonstriert werden.

Die Essener Protestszene ist alles andere als homogen

Der Behörde liegen nach eigenen Angaben aber auch Serienanmeldungen von Privatleuten für das komplette Jahr 2022 vor. Immer samstags zwischen 15.30 und 22 Uhr wollen sich 15 bis 25 Protestler vor der Marktkirche, auf dem Willy-Brandt-Platz oder auf der Kettwiger Straße einfinden. Über die Örtlichkeit befindet jeweils die Polizei.

Eine andere bis zu 50-köpfige Gruppe will jeweils freitags zwischen 18 bis 20 Uhr vor dem Rathaus gegen die Corona-Maßnahmen mobil machen – das erste Mal am 14. Januar.

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Statt einer einzelnen Bewegung, die wie in anderen Städten die unterschiedlichsten Strömungen von Gegnern der Coronapolitik hinter sich vereint, ist die Essener Protestszene offenbar alles andere als homogen. Die Polizei hat bislang die beschriebenen „drei Blöcke“ ausgemacht, so Werk.

Jede Gruppe will offenbar den Ton angeben

So eindeutig scheint die Lage aber nicht zu sein. Andere Beobachter wie das Bündnis „Essen stellt sich quer“ (Essq) sprechen von vier bis sechs Gruppierungen, die allenfalls nur eins eint: Dass sie sich alles andere als grün seien. Da jeder den Ton angeben wolle, empfinde man sich als gegenseitige Konkurrenz mit diversen politischen Überzeugungen, deren Protagonisten ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus zuzurechnen seien.

Vor diesem Hintergrund eines nicht klar umrissenen „Gegners“ seien bislang auch keine Gegendemonstrationen in Essen geplant, bestätigt Essq-Sprecher Christian Baumann: „Aber wir beobachten die Szene.“

Das lokale Spektrum ist breit: Während die Rüttenscheider „Montagsdemo“, die nach Angaben der Polizei zum mittlerweile dritten Mal friedlich über die Bühne gegangen ist, ein eher „gutbürgerliches“ Publikum anziehe, so Matthias Werk, hat Essq-Sprecher Christian Baumann etwa in der Gruppe „Unbesiegbar“, die über den Telegram-Messenger seit November mehr als 1100 Mitglieder mobilisieren konnte, nicht nur „sämtliche gängigen Verschwörungsideologien“, sondern auch verfassungsfeindliche Tendenzen ausgemacht.

Den Demo-Schwerpunkt nach Düsseldorf verlegt

Es werde dort rechtsradikaler und antisemitischer Inhalt geteilt, „freudig positiv“ Bezug genommen auf den Oberfeldwebel der Bundeswehr, der zu einem Umsturz aufgerufen haben soll, oder auch gegen sexuelle Orientierungen agitiert, die von klassischen Geschlechterrollen abweichen. Die Coronamaßnahmen der Regierung setze man mit dem Nationalsozialismus gleich, heißt es bei „Essen stellt sich quer“.

Bei den Administratoren dieser Telegram-Gruppe, die sich selbst als „friedliche Freiheitsbewegung in der Mitte der Gesellschaft“ sieht, handele es sich um ein Ehepaar aus Haarzopf, das sich unter den Pseudonymen „Marky“ und „Goldy“ im Netz tummele und den persönlichen Demo-Schwerpunkt nach Düsseldorf verlagert habe. Eine Rückkehr nach Essen scheint jedoch nicht ausgeschlossen zu sein.

Auf ihr Betreiben hin sollen aber auch bereits zwei Treffen in Essen organisiert worden sein: Am 28. November habe man sich auf einem Parkplatz Haarzopf Neue Mitte eingefunden, eine zweite Zusammenkunft sei am 5. Dezember als unangemeldeter Zug durch ein Wohnviertel über die Bühne gegangen.

Verstöße gegen das Versammlungsgesetz werden angezeigt

Die Polizei hat diesen „Spaziergang“ nicht gleich unterbunden, obwohl er aufgrund politischer Botschaften nach geltendem Recht als Versammlung hätte angemeldet werden müssen. Es sei vor allem die Pflicht der Behörde, die Versammlungsfreiheit zu schützen, betont Matthias Werk. Ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, etwa durch eine unterlassene Anmeldung, werde aber konsequent angezeigt, auch wenn man die Demonstranten erst einmal gewähren lasse.

Ob und wann eine Kundgebung oder Demo aufzulösen sei, wenn etwa Sicherheit und Ordnung gefährdet seien, falle in die Entscheidungshoheit des Polizeiführers vor Ort. Zur Zeit sehe die Coronaschutzverordnung eine maximale Teilnehmerzahl von 750 vor, bevor die Maskenpflicht greife. Zudem seien Mindestabstände untereinander einzuhalten.

Beobachtungen, wonach dies auf dem jüngsten Protest-Zug in den vielerorts engen Straßen Rüttenscheids nicht der Fall gewesen sei, will die Behörde in der Nachbetrachtung ihres Einsatzes vom Montagabend prüfen und einen denkbaren künftigen Demonstrationsweg womöglich anpassen.