Essen. Steigende Corona-Zahlen lassen den Oberbürgermeister für die strengere „2 G“-Linie werben. Und er ist nicht der einzige, der Warnsignale erkennt.

Nachher ist man immer schlauer. Und „nachher“, das heißt in diesem Fall: schon nach ein paar Tagen. Während Thomas Kufen auf der städtischen Internetseite per Video also noch „3 G“, den Dreiklang „geimpft, genesen, getestet“, als Ausweg aus der Corona-Pandemie beschreibt, gibt Essens Oberbürgermeister inzwischen auch schriftlich zu Protokoll: Das letzte „G“, es überzeugt ihn nicht mehr wirklich. Will sagen: Wer ins Kino oder ins Restaurant möchte, ins Stadion oder ins Fitnessstudio, der soll sich impfen lassen – oder draußen bleiben.

Ein Trick, um die Leute zum Impfen zu bewegen? Das vielleicht auch. Mehr noch aber der Versuch, Schlimmeres zu verhindern, wenn dieser Sommer erst einmal vorüber ist und mit ihm das trotz mancher Regengüsse gewohnte Leben im Freien. „Besorgniserregend“ findet der OB jedenfalls die Corona-Statistik, in der die gestern noch alarmierenden Inzidenzwerte heute zwar vielfach nur Achselzucken auslösen, wo aber die Zahl der Krankenhaus-Einweisungen umso sorgenvoller beäugt wird.

15 Corona-Patienten auf der Intensivstation und die meisten nicht geimpft

Für 15 Patienten ist die Lage derzeit so kritisch, dass sie auf der Intensivstation liegen. Die allermeisten werden dort invasiv beatmet, und was auffällt: Bis auf einen 64-Jährigen waren sie alle entweder nicht oder nur einmal geimpft. „Das sind Warnsignale, die ich als OB nicht einfach übersehen kann“, sagt Kufen und hat als stellvertretender Vorsitzender des NRW-Städtetages gemeinsam mit seinem Bielefelder Amtskollegen Pit Clausen einen dringenden Appell an die Landesregierung gerichtet, strengere Regelungen durchzusetzen: „Für Menschen ab 12 Jahren sollte im Freizeitbereich 2G gelten, ein Test allein darf für den Zutritt nicht mehr ausreichend sein.“

Die Frage, ob er damit das Problem nicht einfach abwälzt, beantwortet Kufen mit einer Gegenfrage: „Tun wir das nicht längst?“ Eine weitgehende Rückkehr zum „normalen Leben“ nur jenen zu ermöglichen, die geimpft oder von Corona genesen sind, das sei doch der berühmte „Elefant im Raum“ – ein für alle offensichtliches Problem, das sich aber keiner anzusprechen traut.

Messe und Rot-Weiss Essen bleiben vorerst noch bei der 3 G-Regel

Kufen traut sich. Und glaubt, dass mindestens genauso viele Veranstalter die strengere 2 G-Regelung begrüßen, wie es Kritiker gibt, die nur höchst ungern von sich aus ihr potenzielles Publikum beschneiden. „Die großen Veranstalter brauchen Planungssicherheit“, meint der OB, und die bekämen sie mit dieser Regelung. Mancher prescht schon vor: Beim Rüttenscheider Oktoberfest etwa kommen Feierwütige nicht ins Zelt, wenn sie nur einen Negativ-Test vorweisen können.

Stadt rüstet das Gesundheitsamt wieder auf

Angesichts deutlich steigender Corona-Infektionszahlen plant die Stadt, dem Gesundheitsamt wieder personell unter die Arme zu greifen.

Gesucht werden über alle Fachbereiche hinweg rund 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bei der Nachverfolgung von Kontakten infizierter Personen aushelfen.

Auch hier gilt nach Ansicht des OB: Wo die 2 G-Regel konsequent angewendet wird, würde ein nennenswerter Teil der Arbeit gar nicht erst anfallen.

Andernorts übt man sich noch in Zurückhaltung: Die Messe an der Norbertstraße hält derzeit genauso an der 3 G-Regel fest wie Rot-Weiss Essen: „Wir empfehlen, sich impfen zu lassen“, betont zwar ein Sprecher des Vereins, der bei Heimspielen zurzeit wieder tausende Fans ins Stadion lassen darf. Dort aber hält man sich strikt an die aktuelle Corona-Schutzverordnung Nordrhein-Westfalens, und die verlangt nur 3 G. Wie es einem Club ergeht, der einfach vorprescht und – mit Ausnahme einiger Kinder und Jugendliche – nur noch Geimpfte oder Genesene in die Arena lässt, war beim Erstliga-Club 1. FC Köln zu sehen: Dort hagelte es regelrecht Kritik.

Die Kritik weiterreichen nach dem Motto: „Hier steht es ja, wir können nicht anders“

Wer die als Veranstalter, Restaurant-Besitzer oder Kino-Betreiber aushält, macht es sich mit 2 G fraglos leichter, und so entsteht Zug um Zug, was Essens OB nie als sonderlich glücklich empfand: ein Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen, die man nur durch jene landeseinheitliche Verpflichtung lösen könnte, die Kufen und Co. jetzt einfordern. Mit ihr könnten alle Zögerlichen den Schwarzen Peter gekonnt an die Politik weiterreichen und auf die geänderte Corona-Schutzverordnung verweisen. Motto: „Hier steht es ja, wir können nicht anders.“

Vielleicht ringt sich die Landespolitik Mitte September dazu durch, wenn die aktuelle Regelung ausfällt, vielleicht aber auch erst nach der Bundestagswahl, wie Ulrich Kanders vermutet, der Hauptgeschäftsführer des Essener Unternehmensverbands (EUV).

Unternehmen dürfen dem Impfstatus berücksichtigen – aber nicht danach fragen

Unter seinen rund 500 Mitglieds-Unternehmen sei das Thema 2 G „ein heißes Thema“, sagt Kanders, das zeige die Vielzahl von Anfragen, mit denen sich die Juristen im Haus jetzt befassen müssten. Denn wie leicht wäre es, den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz einfacher umzusetzen, wüssten die Firmen, wer in der Belegschaft nun geimpft oder genesen ist. Berücksichtigen dürfte man den Impfstatus, allein: danach zu fragen ist mit Blick auf den Datenschutz schlicht nicht erlaubt.

Und so behilft sich der EUV damit, größeren Unternehmen eine Betriebsvereinbarung mit dem jeweiligen Betriebsrat zu empfehlen. Hier ließe sich womöglich regeln, was als Rechtsgrundlage vor dem Datenschutzgesetz Bestand hat.

Den Coronaschutz allzu lax zu handhaben, empfiehlt sich nicht, sagt der Oberbürgermeister. Ob nun 3 G oder 2 G – „es gibt Stichproben“, sagt Thomas Kufen, der jüngst in einem Essener Café selbst seinen Impfnachweis vorzeigen musste und den Ausweis sicherheitshalber noch dazu. „Fand ich gut“, sagt der OB. Gleiches Recht für alle.